Chinesischer Kulturbereicherer sorgt für Spinner und Tweets

17. Juli 2017 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Sieht aus wie Froschlaich. Das liegt an der Vergrößerung. Um die Frucht abzubilden, haben wir sie einfach auf einen Flachbettscanner gelegt und bei 1200 DPI gescannt. Sowas geht. Das chinesische Schriftzeichen könnte die Bezeichnung der Pflanze widergeben. Wir sind uns da nicht sicher. Wikipedia halt, umschalten, andere Sprache suchen.

Auch unser neuer Gast ist weit gereist: er stammt aus China, ist aber auch in unserem Kulturraum assimiliert und seit Jahrhunderten einfach hier.  „Der Asiate an sich“ ist eben sehr integrationsfäghig. Seine Begierlichkeit,  westliche kulturelle Errungenschaften schlitzohrig zu kopieren, ist ja hinlänglich bekannt. Im Falle unsereres Gastes, nein, unserer sehr integrierten Pflanze, ist es allerdings andersrum.

Wir kennen ja die Geschichte des Porzellans. Da produziert der Chinese dieses wunderhübsche weiße Steinzeug, und will das Geheimnis nicht preisgeben. Erst die Alchemisten Böttger ud Tschirnhaus schaffen es dann irgendwann, eine Ware zu produzieren, die dem begehrten Importgut aus Fernost ebenbürtig ist. Das war im 18. Jahrhndert. Da war unsere Pflanze hier längst zuhause. Was war so begehrenswert an ihr? Sie heißt übrigens nicht Gao-Ling.

Heute ist wieder Kinderbespaßung  in einem Halleschen Park.  Irgendwo, wo halt Ziersträucher und Bäume stehen (Mahonien beispielsweise), der Wind rauscht leise, es ist ein bisschen schwül, und klein Julian findet „weiße Himbeeren“ auf der Wiese. Flutsch, rein damit in den Mund. Warum erklären Eltern ihren Kindern heute nicht, dass man unbekannte Beeren einfach so in den Mund steckt? „Namm, die ist aber süß, aber die schmeckt ach nüscht !“ Nichemal sauor, Mutti!“  Mutter Kathleen Seidensticker-Messerschmitt würgt ihrem Sohn die Beere aus dem Maul.  Aber Sohnemann hat recht: die „Himbeere“ ist weiß, süß, aber es fehlt ihr das, was zumindest Erwachsene mögen: eine gewisse Säure und Aroma. Panischer Anruf bei der Vergiftungszentrale: zum Glück Entwarnung.  Denn nicht nur unbeaufsichtigte Kinder, auch die gefiederten Flattergeister, die oben in Baum sitzen, sind scharf drauf. Klatsch machte es nämlich, das kam von oben, und Mutti hat einen schönen weißen Fleck auf dem Seidenkleid – gerade dem, das ihr Mann, Gechäftsführer einer großen Tochter eines halleschen kommunalen Betriebes,  aus China mitgebracht hat. Das hysterische Geschrei ließ natürlich alle Tauben aufflattern,  aber ob der Sorge um den kleinen Sprößlings, der sich das unbekannte Zeugs in den Mund gesteckt hatte,  war das natürlich zweitrangig. „Man soll hier alle Bäume umhauen und diese Drecksviecher meinetwegen  ooch“, schrie die neureiche Mutti abends ihren Mann an.

Aber warum setzt man sich auch am Spielplatz unter einen Baum, in dem Vögel ein Riesengeschrei veranstalten?

Nur wenige Generationen vorher hat man gewusst, wozu diese fernöstliche Pflanze gut war. In Deutschland wurde sie angebaut, und keineswegs zum Spaß. Sie war kriegsentscheidend. Beispielsweise damals, im WK II, beim Angriff Nazideutschlands auf Kreta.  Aber verdrängen wir das. Genauso wie die Geschichte, als mir vor langer Zeit der  Vermieter meiner Studentenwohnung den Vorgarten zeigte, und auf etliche seiner Meinung nach sehenswerte pflanzliche Raritäten aufmerksam machte: „Dat is en .. äh.. Dingenskirschen…“ Nachfragen nütze nichts. Er kam nicht drauf. „Ävve de Wehrmacht, die hat drop jedränck, dat man dat aapflanzen sollte … ich wor jo och Jachtflieger“

Verlassen wir auch diese zeitliche Schiene, und begeben uns weiter zurück, in die Spätantike. Da gab es eine Straße, die irgendwo im Abendland endete, und über die teure Luxusgüter aus China bis hier her kamen. In Etappen natürlich. Der Weg ging durch die Wüste, über Persien, wo unsere Pflanze sesshaft wurde, dann bis nach Kostantinopel. Das war erst im 7. oder 8. Jahrhundert n. Ch. Von da aus ging es weiter nach Palermo.  Mit der Pflanze reisten Tiere mit. Denn die waren der Grund, weswegen unsere komische Pflanze den Weg in die großen abendländischen Wirtschaftszentren mitreisen musste.  Die Königin Editha trug das Folgeprodukt unserer Pflanze als Auszeichnung, und auch so einige halbseidenen Magdeburger Erzbischöfe wusste es zu schätzen. Die heutige Mafia-Hochburg Palermo lieferte. Dann irgendwann  kamen Buna und Leuna, und spätstens mit dem  ε-Caprolactam war unsere Pfanze wenigstens in technischer Hinsicht obsolet. Als Zierpflanze wächst sie aber noch in halleschen Gärten und Parks. Die Früchte schmecken tatsächlich süss, aber ziemlich „labberig“, ihnen fehlt die Säure. Man muss schon ein „echter Spinner“ sein, um unsere Pflanze  zu mögen.

Unsere Fragen:

  • Wie heißt die Pflanze (bitte konkrete Art!)
  • Von was für Spinnern ist die Rede?
  • Und warum steht die Pflanze in Deuschland (auch in Halle) überall rum?

(Red,  Hei-Wu)

 

Auflösung der letzten Pflanze der Woche:

Die Mahonie, oder: die Macht der Invasion

Wunderbar, Agricola hat die Sache ans Licht gebracht, Hei-Wu hat ebenso richtig vermutet, aber dann hat Micha06 so richtig mit der Lösung zugeschlagen:

 

Die Gewöhnliche Mahonie (Mahonia aquifolium) ist ein nordamerikanischer Zierstrauch, der in Mitteleuropa als Neophyt gilt. Ihre große Reise ins ferne Europa war geplant, sie wurde hier im Jahre 1841 aus gartenbaulichen Gründen eingeführt. Die Mahonie breitet sich bei uns erfolgreich, aber leider invasionsartig in der freien Natur aus. Wir sprechen heute also von invasiven Pflanzen.
Meist stehen Neuzuwanderer nicht auf der Speisekarte der einheimischen Insekten, diese müssen sich sozusagen erst „einfressen“. Durch dieses Fehlen von Fressfeinden können Neophyten zum Problem werden. Anders verhält es sich bei der Mahonie, als Verwandte der einheimischen Berberitzen schmeckte sie unseren Flügeltieren rasch ausgesprochen gut. Die Mahonie konnte gegen diese neuen Gäste bisher keine Abwehrmechanismen aufbauen, sodass es ihr uneingeschränkt an den Kragen geht. Dennoch gelingt es ihr, großflächig Waldböden zu überwuchern (- dagegen kämpft der Autor in seinem Garten hartnäckig) und sich in allen Ecken des Gartens, mehr noch in öffentlichen Anlagen, auszubreiten. Ihre reichtragenden Blütenstände und ihre Neigung, rasch und weitläufig Jungtriebe auszubreiten, sind zwar auch dafür verantwortlich, primär ist es aber ein Erfolg ihrer Kultivierung: Aus der Züchtung resultierten durch die getroffene Auswahl und Kreuzung genetische Veränderungen bei den Neupflanzen. Diese riefen im Vergleich mit den amerikanischen Mutterpflanzen ein verstärktes Größenwachstum der Mahonie hervor, es entstand sozusagen ein Goliath, dem David bisher noch nicht begegnet ist. Und dieser Goliath wuchert und verdrängt. Neophyten können mithin die Biodiversität nachhaltig verändern.
Mahonie polarisiert
Pflanzenfreunde finden Gefallen an dem glänzenden, immergrünen Strauch mit den frühen, kükengelben Blütenständen, später den dunkelblauen Beeren und dann den sich rot verfärbenden Blattspitzen („aquifolium“) entlang der Blattränder. Sie wächst robust auch in schattigen, trockenen Habitaten, also in den komplizierten Ecken von Rabatten und öffentlichen Grünstreifen.

Die Gewöhnliche Mahonie überzieht den Waldboden mit glänzend grünen, stacheligen Blättern. Diese erinnern manche an die die Stechpalme (Ilex aquifolium) aus den wohlbekannten weihnachtlichen Illustrationen. Die Blätter der Stechpalme sind jedoch ungeteilt und deren Früchte knallrot.

Die „Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen“ fordert auf, vorbeugend auf den Anbau der Mahonie zu verzichten: „Sollten Sie diese Art schon in ihrem Garten haben, müssen Sie unbedingt eine weitere Ausbreitung verhindern, einerseits indem sie die Fruchtstände entfernen, anderseits indem Sie eventuelle Jungtriebe laufend entfernen.“
Wenn man die Pflanzen zurückschneidet oder ausreißt, fällt einem die sattgelbe Farbe der Zweige (Epidermis) und Wurzeln (Rinde) auf. Die Färbung wird durch das Alkaloid Berberin hervorgerufen, dem einzigen natürlichen, basischen Farbstoff. Er reagiert vorrangig mit sauren funktionenellen Gruppen, wie sie im Seiden- und Wollprotein, in Leder und Haut zu finden sind, und färbt dann sattgelb. Baumwolle lässt sich daher nur nach saurer Vorbehandlung färben. Man kann den unter längerwelligem UV-Licht sogar fluoreszierenden Farbstoff einfach selbst gewinnen, indem man das Holz zerkleinert und in heißem Wasser extrahiert. (Das geht auch mit der Berberitzenwurzel.) Dieser wird dann als Lösung oder eingetrocknet pulverförmig weiterverarbeitet. Zum Beispiel, um nächstes Ostern fluoreszierende Disko-Eier zu färben. Die Rinde wird auch als Gerberlohe verwendet. Eine weitere Nutzung des Mahonieholzes für Dachbedeckungen und Möbel ist beschrieben.
Noch eine Bemerkung zum Alkaloid Berberin, das aus unterschiedlichsten Pflanzen gewonnen werden kann, wie Hei-Wu trefflich andeutete. Berberin wird als hochaktives Phytotherapeutikum gesehen, als „Wunder der Natur“, das gegen kardiovaskulären Risikofaktoren und andere Gefährdungen wirkt. Diskutiert wird es u.a. als multi-potente Anti-Alzheimer-Waffe.

Der Berberitze Vorzug geben

Die blauen Beeren der Mahonie kann man derzeit kosten: Roh schmecken sie säuerlich bitter, denn auch sie enthalten ein (schwach giftiges) Alkaloid. Für Kinder und Haustiere kann das sogar gefährlich werden. Es lohnt sich aber, Marmelade und Säfte aus den vitaminreichen Beeren zu kochen. Ratsamer ist es aber, auf ihre Verwandte, die stachelige, rotfrüchtige Berberitze (Sauerdorn, Berberis vulgaris) umzusteigen. Sie ist ebenfalls trocken- und schattenresistent und wächst unkompliziert. Als einheimischer Strauch mit ähnlichen Blüten ist sie uns sowohl eine Augenweide (v.a. im Herbst mit feuerroten Beeren vor orangefarbenen Blättern), als auch nützlich durch die essbaren Früchte, welche Saucen mit fruchtig-herben Akzenten bereichern.

(A.S.)

 

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