VÖGEL von Wajdi Mouawad

29. Februar 2020 | Kultur, Nachrichten, Rezensionen | Keine Kommentare

Matthias Brenner hat ein Stück in Szene gesetzt, das an die großen antiken Tragödien erinnert. Es beginnt mit der wunderbaren Musik von Vahid Shahidifar und Radwan Alhalak, die dem ganzen Abend eine zauberhafte orientalische Atmosphäre verleihen, und ist eine berührende Liebesgeschichte, eingebettet in die brutalen politischen und militärischen Auseinandersetzungen im nahen Osten.
Wahida (Cynthia Erhardt) und Eitan (Nils Andre Brünning) begegnen sich in New York. Er ist Jude, sie Araberin: „Wir haben nichts gewollt und alles wurde uns geschenkt.“ – Eine große, starke Liebe.
Wenn da nicht seine jüdische Familie wäre. Allen voran Eitans Vater David (Harald Höbinger) kann keine Araberin akzeptieren. Ich habe nichts gegen Araber, aber… Man kennt diesen Halbsatz und seine Folgen.
Auf der Bühne von Nicolaus-Johannes Heyse zwei riesige bewegliche Rollen, erinnernd an Beton, an Mauer, an Mühlsteine die alles zermalen. In ihnen aber rechteckige bespielbare Durchbrüche – die Orte der Begegnung, des Leids und der Hoffnung.
Die jüdische Familie ist alles andere als harmonisch, trotz des gemeinsamen Glaubens. Eitans Mutter Norah (Bettina Schneider) ist Kopfdoktor und gerade mit einem Maler beschäftigt, der mit seinem Sperma großformatige Bilder sehr erfolgreich in die Welt setzt. Und da sind die Großeltern, Etgar (Wolfgang Engel) und Leah (Elke Richter). Er hat das KZ überlebt und will das Familiengeheimnis nicht länger hüten: „Es gibt nicht nur eine Wahrheit und das ist die Wahrheit.“ Engel spielt das mit einer rührenden Kindlichkeit. Und Leah hat sich vor langer Zeit von Mann und Sohn getrennt und hat doch die Liebe im Herzen – Richters Realismus in dieser Rolle ist umwerfend.
Und dann ist da noch eine israelische Soldatin, Eden, gespielt von Nora Schulte – im Zwiespalt zwischen ihrer Pflicht und dem Traum von einem friedlichen Zusammenleben: „Alles liegt doch in unserer Hand.“
Der Theaterabend ist mehrsprachig: deutsch, englisch, arabisch und hebräisch. Auch das macht den Zauber aus. Man muß die Sprachen nicht beherrschen und versteht nonverbal doch jedes Wort.
Brenner hat das sprachlich und kompositorisch wirklich herausragende Stück mit einer großen Schlichtheit inszeniert. Er vertraut dem Können der Schauspieler zerrissene und widersprüchliche Figuren zu spielen. Wajdi Mouawads Text bietet dafür alle Möglichkeiten. Der Autor wurde übrigens im Libanon geboren, wuchs in Frankreich auf, emigrierte nach Kanada und arbeitet jetzt wieder in Paris.
Das Ende ist ähnlich dem in Lessings NATHAN. Nichts ist, wie es scheint. Der Glaube, welcher das auch immer aus guten Gründen sein mag, baut Mauern zwischen die Menschen. Wir sind alle, egal welcher Religion, Hautfarbe, Ethnie als Freie und Gleiche geboren. Das war auch eine Erkenntnis der europäischen Aufklärung, auf die wir so stolz sind.
Einen Theaterabend, der das so emotional, wunderbar gespielt und überzeugend vermittelt, sollte sich niemand entgehen lassen, dessen Humanität noch nicht völlig verschüttet ist.

Die nächsten Vorstellungen:
Samstag, 29. Februar 2020, 19.30 Uhr
Samstag, 07. März 2020, 19.30 Uhr
Theatertage für Schulen Freitag, 20. März 2020, 19.30 Uhr
Sonntag, 22. März 2020, 15 Uhr
Sonntag, 05. April 2020, 18 Uhr

Karten unter: https://buehnen-halle.de/voegel

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