Über den Nutzen von Parasiten

5. März 2022 | Bildung und Wissenschaft, Nachrichten, Natur & Gesundheit | 3 Kommentare

Jedes zweite Lebewesen auf unserer Erde ist ein Parasit. Parasitismus ist offenbar sehr erfolgreich. Parasitismus heißt, dass eine Art von einer anderen Art lebt, sie ausbeutet. Eine Art gewinnt, eine andere verliert. Sind Parasiten eigentlich die tonangebenden Lebewesen? Sind sie möglicherweise unentbehrlich? Müssen wir unser Bild von dieser Art des Lebens ändern?

Die meisten Menschen haben Angst vor Parasiten. Parasiten haben keinen guten Ruf. Es ist normal, dass wir auf sie negativ reagieren, Ekel empfinden. Wir versuchen, ihnen zu entgehen, indem wir unsere Umgebung sauber halten, sie desinfizieren, Hygiene walten lassen. Trotzdem sind sie allgegenwärtig. Die Tricks der Parasiten sind vielfältig.

Ekto- und Endoparasiten

Filzlaus

Parasiten sind oft extrem an ökologische Nischen angepasst. Sogenannte Ektoparasiten sind auf das Leben in bestimmten Körperregionen ihrer Wirte spezialisiert. Winzige Krätzmilben fressen sich z.B. durch die Oberhaut bei Menschen. Haarläuse saugen Blut und können dabei  Krankheiten übertragen. Endoparasiten sind auf bestimmte Gewebe oder Organe ihres Wirtes beschränkt. Malariaerreger leben z.B. in Roten Blutkörperchen, Band- und Spulwürmer im Darm, Trichine in Muskeln. Für die Vermehrung der Parasiten können Zwischenwirte erforderlich sein. Der Wirtswechsel ermöglicht eine drastische Erhöhung der Vermehrungszahlen.

Die Lebenszyklen von Parasiten können komplex sein, wie z.B. beim Kleinen Leberegel. Der ist Parasit in Pflanzenfressern und lebt z.B. in den Gallengängen der Schafleber. Er produziert Eier, die vom Schaf ausgeschieden werden. Die Eier müssen von einer Schnecke gefressen werden. In der Schnecke schlüpfen wurmartige Larven, die sich enorm vermehren und von der Schnecke mit Schleimballen ausgeschieden werden. Diese Ballen sind hochattraktiv für Ameisen, die sie fressen. In der Ameise schlüpfen aus den Eiern Würmer. Ein Wurm setzt sich im Gehirn der Ameise fest und verändert deren Verhalten. Die infizierte Ameise krabbelt an die Spitze der Wiesengräser und verbeißt sich über Nacht in die Halme. Weidende Schafe fressen dann am frühen Morgen das Gras mit der infizierten Ameise. Der Lebenszyklus des Parasiten ist geschlossen und fängt wieder von vorn an. Mit dem Wirtswechsel vom Schaf über die Zwischenwirte Schnecke und Ameise gelangt der Leberegel sehr effizient in viele neue Endwirte.

Ein weiteres Beispiel: Bestimmte Schlupfwespen stechen Schmetterlingsraupen an und injizieren in diese ihre Eier. Die Raupe wird gelähmt. Aus den Schlupfwespeneiern schlüpfen Larven, die die Raupe von innen her auffressen, schließlich die Raupenhülle verlassen, sich verpuppen und zu neuen Schlupfwespen werden.

Sprichwörtlich ist der Brutparasitismus des Kuckuck. Die Weibchen legen ihre Eier z.B. in die Nester von Teichrohrsängern. Das geschlüpfte Kuckuckjunge wirft deren Eier oder Junge instinktiv aus dem Nest und wird aufgrund seines wirkungsvollen Bettelverhalten eifrig gefüttert. 

Viele Menschen sind vom Toxoplasmoseerreger infiziert, obwohl der Mensch nicht der richtige Endwirt für diesen Parasiten ist; das sind nämlich Katzen. Dieser Parasit gelangt über Mäuse als Zwischenwirt in die Katzen. Infizierte Mäuse finden Katzenurin attraktiv. Sie verlieren auch ihr Fluchtverhalten vor Katzen und sind so natürlich leichte Beute für die Zimmertiger. Durch den engen Kontakt mit uns Menschen gelangt der Erreger von den Katzen in den Menschen. Das ist für ihn allerdings eine Sackgasse, da Katzen keine Menschen fressen. Interessant, aber nicht ausreichend belegt ist die Vermutung, dass  der Parasit infizierte Menschen risikofreudiger macht. 

In den Tropen sind die Gefahren durch Parasiten besonders groß. Die blutsaugende Tsetse-Fliege überträgt die Erreger der Schlafkrankheit, die Trypanosomen. Die vermehren sich im Blut und werden von unserem Immunsystem attackiert. Allerdings vergeblich. Denn sie verändern rasch ihre Oberfläche und werden nicht als fremd erkannt. So überschwemmen sie ungehindert den Körper und schwächen ihn mit Todesfolge. Sicher sind wir in den gemäßigten Klimazonen vor der Schlafkrankheit nicht mehr. Denn der Klimawandel und die Globalisierung begünstigen die Ausbreitung der Tsetsefliege. 

Sozialparasitismus

Besonders trickreich sind Anpassungen, die man als Sozialparasitismus bezeichnet. Dabei manipulieren Parasiten ihre Wirte. Die Larven eines bestimmten Käfers werden z.B. in einem Ameisennest geduldet, weil sie mit imitierten Duftstoffen (Pheromone) ihrer Wirte die Ameisen erfolgreich veranlassen, sie nicht nur im Nest zu dulden, sondern auch bevorzugt zu füttern. Zusätzlich haben sich die Käferlarven Verhaltensweisen der Ameisen wie z.B. das Bettelverhalten angeeignet. Durch Anpassungen an die chemische und mechanische Kommunikation der Ameisen haben sich die Käferlarven Zugang zum gesamten Sozialverhaltensrepertoire der Ameisen verschafft.  

Besonders fies ist der Parasitismus, bei dem sich Parasiten als Artgenossen tarnen. Es gibt sklavenhaltende Ameisen, die mit dieser Tarnkappe (Pheromone) in andere Ameisenvölker eindringen und deren Puppen stehlen. Die daraus schlüpfenden Ameisen merken nicht, dass sie entführt wurden und ziehen die Brut der Sklavenhalter auf. Allmählich merken aber die Sklaven, dass die Puppen der Sklavenhalter anders riechen und beginnen diese zu töten. Es kommt  zum Aufstand der Sklaven. Noch radikaler sind Ameisen, bei denen die Königin keinen neuen Staat begründen kann, weil sie keine Larven füttern und großziehen kann. Sie dringt daher allein in ein Volk einer anderen Art ein, kämpft sich zu dessen Königin durch und bringt sie um. Mit ihren eigenen Duftstoffen macht sie dann das eroberte Volk gefügig, dass sich nun um ihre Eier kümmert. Die sich daraus entwickelnden Nachkommen der neuen Königin ersetzen dann zunehmend die Sklavenameisen. 

Parasitismus Motor der Evolution

Parasitismus löst offensichtlich fortwährende Anpassungen aus. Der Parasit sucht immer subtilere Strategien, um einen Wirt auszubeuten. Die Wirte dagegen verbessern stetig ihre Methoden, mit denen sie ihr Überleben sichern. Wirt und Parasit befinden sich in einem ständigen Wettrennen. Diese Koevolution beobachtete bereits Charles Darwin, als er die Anpassungen von Finkenvögeln auf den Galapagos-Inseln studierte. Parasitismus ist also eine wesentliche, treibende Kraft der Evolution. Parasiten sind allgegenwärtig. Wildtiere können Dutzende gleichzeitig haben. Bedeutsam waren Parasiten bei der Evolution von Sex. Ursprünglich vermehrten sich Organismen durch Zellteilung. Alle Nachkommen sind dann identisch. Veränderungen geschehen nur sehr langsam. Sexuelle Fortpflanzung ermöglicht Durchmischen des Erbgutes und bessere und raschere Resistenz gegen Parasiten. Parasiten stabilisieren Ökosysteme, indem sie die Nahrungsketten beeinflussen. Es ist also nicht sinnvoll, alle Parasiten auszurotten. Sie sind nicht immer erfreuliche, aber doch wichtige Elemente im Netzwerk der Natur – eine zwar nicht neue, aber erst jetzt näher erforschte Erkenntnis.

(H.J. Ferenz)

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