Protokoll: Nietlebener Bürgerversammlung

19. April 2016 | Soziales | 3 Kommentare

Nietleben, 18.00 Uhr, 18.  April. 2016. Die Straße Waidmannsweg, in der sich  neben beschaulichen, dörflich wirkenden Häuschen aus dem frühen 20. Jahrhundert die Grundschule befindet, ist zugeparkt. Die Menschen haben ein Ziel: die Turnhalle der Grundschule.  Auf dem Schulhof stehen Polizeiwagen, vor dem Eingang der Halle Menschentrauben und ca. zehn Polizisten, die von denen, die Einlaß suchen, Ausweise verlangen. Wer nicht zur Gruppe der Nietlebener Anwohner oder Medienvertreter zählt, wird abgewiesen. Dennoch ist die Halle voll, bis auf den letzten Platz. Mindestens 300- 400 Menschen sitzen da, als Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand medienwirksam aus der Mitte des Saales per Mikrofon das Wort ergreift.  Ein Podium gibt es nicht. Der Oberbürgermeister gibt sich als Moderator. Er möchte, dass Projekte in und von Nietleben dargestellt werden,  jenem ländlichen Stadteil am Rande der Plattenbausiedlung Halle-Neustadt, das seit letzter Woche unangenehm in den bundesweiten Medien aufgefallen ist.

Wiegand bittet für die folgende halbe Stunde zunächst Vertreter des überraschend reichen Vereinslebens vor Ort, ihre Projekte für eine Nietlebener Quartiergemeinschaft vorzustellen. Danach sollen die Bürger klare Fragen stellen,  keine allgemeinpolitischen Proklamationen absondern, und schließlich miteinander diskutieren. Nach der Sommerpause möchte der OB eine weitere Veranstaltung folgen lassen, es fällt das Wort „Zukunftswerkstatt“.

Der OB begrüßt mehrere Stadtratsabgeordnete, Landtagsabgeordnete und auch den Bundestagsabgeordneten Dr. Karamba Diaby, der in der vordersten Reihe sitzt, sich aber umdrehen muß, wie alle, die vorne sitzen,  denn das Podium ist eben in der Mitte.

Oliver Paulsen, Wiegands Referent für Grundsatzfragen bekommt nun das Mikrofon und erläutert die „Clearingstelle“, die zum Zankapfel der politischen und medialen Diskussion der letzten Wochen wurde.

Unter dem Neoanglizismus „Clearingstelle“, so Paulsen, verberge sich eine Erstaufnahmestelle, deren Aufgabe es sei, neu angekommenen, unbegleiteten, möglicherweise verwaisten Jugendlichen eine erste Anlaufstelle zu bieten. Hier soll geklärt werden, wie es um den Gesundheitszustand der Jugentlichen steht, ob es Familiebangehörige gibt, und wie es um ihre möglicherweise behandlunsgbedürftigen seelischen Traumatisierungen bestellt ist. Nach gegenwärtiger gesetzlicher Regelung sollen Jugendliche ca. 8 Wochen, maximal ein viertel Jahr, in einer solchen „Clearingstelle“ verbleiben. Der Betreuungsschlüssel sei hoch. Um 16 Minderjährige sollen sich 8 Betreuer kümmern.

Nach Paulsens Erklärung nimmt der Oberbürgermeister  die Moderation wieder in die Hand. Nietlebener Vereine stellen sich vor,  legen ihre Projekte dar, und erläutern, wie sie auf Flüchtlinge reagieren.
Matthias Nobel ist Betreiber des Heidebades. Er möchte gerne Flüchtlingen Schwimmkurse anbieten. Der DLRG bietet Schwimmkurse an. Man möchte gerne kooperieren. Martin Springer organisiert den Heidelauf und würde sich freuen, wenn die jungen Neuankömmlinge mitmachen. Schließlich sei man für alle Altersgruppen offen.  Ein Vertreter der evangelischen Gemeinde fordert erst einmal allgemein Nächstenliebe ein. Er lädt die jungen Neuankömmlinge zum Johannisfeuer ein.  Heike Wetzel ist Erzieherin an der Kita Heideröschen und ruft zu einer  Sachspendenaktion auf.  Größeres hat der Heimatverein vor. Sein Sprecher Andreas Leopold möchte Deutschförderstunden anbieten. Sport gehe eher nicht, bei einem Durchschnittsalter von 65 Jahren in dem Verein.  Und „die Gegend“ will man den Jugentlichen zeigen, Kochkurse will der Heimatverein auch anbieten, und Fahrradspenden sind auch willkomen.

Paulsen erläutert die Wahl der Liegenschaft. In der Clearingstelle sollen die Minderjährigen einen Ort der Geborgengheit finden, und Zeit haben, „erstmal anzukommen.“ Das DRK habe sich angeboten, die Liegenschaft der ehem. Rettungsschule zu nutzen. Landesweit gebe es keine Probleme mit derartigen Einrichtungen.

Jetzt war Zeit für Fragen aus dem Publikum.  Herr H. ist dran. Er beklagt die einseitige Darstellung der vergangenen Veranstaltung bei TV Halle. Großer Beifall im Saal. Wiegand verwies darauf, dass der Beitrag halt viele „klicks“ erzeugt habe.
Herr E. meldet sich als nächster. Er sei nicht ausländerfeindlich. Er brüllt mehrfach durch den Saal: „Das verbitte ich mir“. Ihn erinnere die Berichterstattung von Halle-TV an den „Völkischen Beobachter“. Herr E. verlangt nach rechtlichen Schritten gegen den Sender.

Herr X meldete sich. Er sei von einem Fernsehsender mehrfach gefragt worden, ob er Mitglied der AfD sei. Dabei ist er jahrelang Mitglied der FDP, beschwert er sich.

Herr B merkt an, dass das „wir schaffen das“, dazu führe, dass Flüchtlinge „in der Kaufhalle“ nicht bezahlen, sondern es  Merkel überlassen. Das habe er mehrfach gehört. Frau K ist  entsetzt. Sie hat Fremdschämen. Man rede über etwas, was gar nicht da sei. „Wir haben es gut in Deutschland. Wir müssen keine Angst um unsere Kinder haben, dass sie entführt oder ermodert werden.  Das sind völlige Luxusprobleme, die hier aufgetischt werden. Ich möchte nicht, dass die Flüchtlingskinder nun auch bei uns vor Angst Zittern müssen“. Außerdem möchte Frau K. einen längst überfälligen Spielplatz für alle Kinder in Nietleben. Viel Beifall im Saal.

Herr Y . meldet sich zu Wort, er findet  gefährlich, Flüchtlingskinder hier einwandern zu lassen. „Die werfen Steine auf Grenzsoldaten, in Mazedonien. “ Weiter kam er nicht, der OB entzog ihm das Wort.

Frau T. will einen neuen Standort für die Grundschule, weil – ob Flüchtlinge oder nicht – zu viele Kinder da sind. Frau Brederlow sagt, man wolle Container aufstellen. Gelächter im Saal. “ Nicht solche, die sie kennen, sondern ganz akzeptable“, sagte sie , was das hämisch grinsende Pubikum nicht überzeugt.

Herr H. möchte mit den Kindern Gemüsebeete anlegen. Frau Schubert (Geschäftsführerin des DRK) findet die Idee gut, aber „erst mal müssen die Kinder ankommen“.

Herr S. weist auf die vielfältige Migrationsgeschichte von Nietleben hin. „Es gibt da eine Koloniestraße, die erinnert an die Migranten, die im Mittelalter zu uns gekommen  sind“, trägt er vor.  Und auch er ist enttäuscht und wütend über die Presse.

Nun hat Andreas Schachtschneider, CDU-Stadtrat, das Wort.  Er schämt sich insbesondere über Postings seiner Ratskollegen, die auf Facebook Unmögliches geäußert hätten. Heute sei aber das Bild mit dieser Bürgerversammlung korrigiert worden. Zukünftig möchte er seber als Stadtrat vorher angesprochen werden, bevor solche Probeme weltweit über die Sender gingen.

Herr Michler von der Polizeidirektion in Halle erläutert die Kriminalitätsstatistik. Von jugendilchen Migranten ginge demnach keine Gefahr aus. Das ruft Herrn X auf den Plan. Ob man von der selben Stadt Halle rede. Er habe in der Presse gelesen, dass eine Frau vor Gut Gimritz von offensichtich „südländischen Männern  “ angegriffen worden sei. Herr Michler konterte, es seien aber keine minderjährigen Flüchtlinge gewesen, und weist den Vorwurf der „Lüge“ entschieden zurück.

Der Oberbürgermeister bedankte sich abschließend für die rege und konstruktive Teilnahme und erklärte die Versammlung gegen 19.30 für beendet.

 

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