Dirk Oschmann: Ostdeutsche sind marginalisiert – wie andere Zuwanderer auch

12. November 2023 | Rezensionen | 4 Kommentare

Der große Festsaal begann sich schon eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung zu füllen. Groß war offenbar die Angst der überwiegend betagten Zuhörerschaft, keinen Sitzplatz mehr zu bekommen. Durchschnittsalter mindestens um die siebzig, kaum Ausreißer nach unten. Am Ende musste auch noch das Hinterzimmer des Saals geöffnet werden, damit alle Platz fanden. Der Senioren – Blockbuster heißt Dirk Oschmann, seines Zeichens Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Jena. Über seine Fachkreise hinaus ist er nicht  durch seine wissenschaftliche Arbeit bekannt geworden, sondern durch ein, wie er es selber nennt, „Wut-Buch“ , in dem er in teils polemischer Art ausführt, welches Bild „der Westen“ auch nach fast einem Vierteljahrhundert über Ostdeutschland zeichne. Der Titel des Spiegel- Bestsellers: „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“.
Wer in der Wissenschaft zu Hause ist, weiß, dass das Verfassen von Texten um so leichter fällt, je weniger man fachlich in der hochkomplexen Materie steckt. Nichts ist lästiger, mühsamer, als wenn man – um vorgelegte Ergebnisse fachlich-wissenschaftlich zu begründen, umfangreiche Literatur lesen, zitieren und Statistiken auswerten muss, so etwas macht nur wenig Spaß, es ist lästiges Handwerk.
Oschmann hat sich davon befreit. Er hatte wohl viel Spaß beim Verfassen seines Buches.

Am vergangenen Donnerstag-Abend war er nun , der literarische Rächer der Unzufriedenen, Enttäuschten und Übergangenen, zur Lesung aus seinem Werk in Halle erschienen. Der Veranstalter, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, hatte eingeladen.

Die Moderation der Lesung und der anschließenden Diskussion übernahm  Rolf-Dietmar Schmidt, Herausgeber des Wirtschaftsmagazins „aspekt“.

Was es denn in dem Buch an neuen Erkenntnissen gäbe, die nicht schon wissenschaftlich von Soziologen, Pädagogen und Psychologen publiziert worden seien, wollte so auch gleich der Moderator eingangs wissen.

Das Buch sage überhaupt nichts Neues, preschte Oschmann vor. Es gäbe tausend Studien zu dem Thema, aber sie hätten keine gesellschaftliche Resonanz hervorgebracht. Deshalb habe er dieses „Wut-Buch“ verfasst, und beschlossen, den Ton zu ändern. Bewusst zeichne er in seinem Buch über den Westen „Schwarz weiß“. „Bitte kein Professoren-Buch“, habe der Verlag ihn gebeten.

Oschmann trug nun einzelne Passagen vor – unter oft zustimmenden, begeisterten Lautäußerungen im Saal. Es ist ein Buch über den Westen, sagt der Autor. Tenor des Westens sei, die Ossis müssten noch viel an sich arbeiten. Wogegen der Westen seine Bilder nicht geändert habe. Oschmann spricht von Asymmetrie, einer „westlichen Diffamierungsstruktur“ und kolonialen Phantasien. Diese belegt er mit dem berühmten Zitat des (Ex-) Springer-Chefs Mathias Döpfner: „Meine Mutter hat es schon immer gesagt. Die Ossis werden nie Demokraten. Vielleicht sollte man aus der ehemaligen DDR eine Agrar- und Produktionszone mit Einheitslohn machen.“

Dirk Oschmann

Empörend seien auch Äußerungen des Juristen Arnulf Baring (1991): „Das Regime hat fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt. Viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiter verwendbar “

Aber auch heute noch seien solche Positionen im Westen verbreitet. Armin Laschet habe erst kürzlich gesagt, „die DDR habe die Köpfe der Menschen zerstört.“ Daraus folgert Oschmann, der Westen habe sich als Norm gesetzt, der Osten werde als Abweichung, sogar „als Geschwür“ dargestellt.

Und auch Oschmann verschriftlicht das, was man allenthalben schon in der Straßenbahn hört: Wessis wüssten ja nicht einmal, dass Ossis auch den Soli zahlen. Schon das Wort „Soli“ sei ja schon diffamierend.

Und dass die AfD als Ostdeutsches Phänomen behandelt werde, obwohl Höcke doch ein Faschist aus dem Westen sei.

In einem weiteren Kapitel erklärt Oschmann, dass „Osten“ steigerungsfähig sei: „Der Osten des Ostens: Sachsen“
Kein Bundesland habe ein schlechteres Image. Verbunden werde es mit Fremdenfeindlichkeit und einem hässlichen Dialekt, der „Ulbrichtssprache“. Was als Inbegriff des Ungebildeten und Hässlichen dargestellt werde. Dafür hat er einen Beleg: Thomas Rosenlöcher habe gesagt, Sächsisch sei Verlierersprache.
(Red. Anm: das Zitat stammt aus dem Buch Ostgezeter 1997; Rosenlöcher war Dresdner)

Wütend habe ihn auch die Extremismusstudie gemacht. Ostdeutsche werden dort als Demokratie-unfähig bezeichnet, weil sie in einer Diktatur sozialisiert seien. Hier sei es zu verfälschenden Aussagen gekommen, weil etliche Antworten einfach nicht widergegeben worden seien: So hätten 92% der befragten Ostdeutschen die Demokratie prinzipiell befürwortet, aber nur 40% die Demokratie, die sie gerade erlebten.

Überhaupt seien Ostdeutsche in der Gesellschaft marginalisiert. In den Spitzenpositionen in der Wirtschaft seien nur 1,7% Ostdeutsche vertreten. Weil sich die „Systemeliten aus sich selbst rekrutieren“, wie Oschmann formuliert. Und:  90% der Immobilien in Leipzig gehören Wessis.

„Nur mitgemeint“

Bei den groß inszenierten Festreden zur Wiedervereinigung mit dem immer wiederkehrenden Begriff  der „Integration“ fühlen sich Ostdeutsche nicht mitgemeint.

Nun endlich geht es in die Publikumsdiskussion. Der Moderator ermahnt noch die sich eifrig meldenden, nur Fragen zu stellen, keine Co-Referate zu halten.

Quotenforderung: Wer ist eigentlich Ossi?

Auch Hallespektrum.de hat eine Frage, anknüpfend an den letzten Punkt, zur Marginalisierung in der Wirtschaft. In mehreren Zeitungsinterviews habe Oschmann ja eine gesetzliche Ossi-Quote in Wirtschaft und Verwaltung gefordert. Da hier ja nur junge Berufseinsteiger betroffen seien, die in der Regel die DDR gar nicht mehr kennen, taucht doch die Frage auf: „Wer ist denn von denen ein Ossi? Im Osten geboren, aber von Wessi-Eltern? Was ist mit Kindern aus Mischehen, oder wenn Kinder von Ossis im Westen geboren werden?“
Oschmanns Antwort verblüfft dann schon ein wenig: Natürlich spiele die Prägung eine entscheidende Rolle dabei, sagt er. Und dann: „Das müssen halt die Juristen entscheiden“.

Ein Mann, der öfter als Fremdenführer in Halle unterwegs ist, fragt, ob Oschmanns Buch auch in andere Sprachen übersetzt werde. Werden sie tatsächlich, sagt der Autor. Ins Polnische und ins Russische.

Jemand anderes fragt, ob Oschmann seinen Studenten erklären könne, wie man Karriere im Westen machen könne. Kann er nicht, sagt der Befragte. Aber  er empfehle Studenten dringend, sich um Stipendien zu bewerben. Bei fast allen Stiftungen gäbe es viel zu wenig Bewerber aus dem Osten.

Sind Ossis benachteiligte Einwanderer?

Es meldet sich nun doch ein junger Mensch zu Wort. Eine Kunst- und Design-Studentin an der Burg. Sie ist Anfang 20, und hat eine ganz andere Frage. Es gäbe ja in der Gesellschaft viele Formen von Marginalisierung und Diskriminierung Frauen/Gender MigrantInnen usw. Sie fragt, ob Benachteiligte Ostdeutsche ihre Erfahrungen mit anderen marginalisierten Gruppen austauschen und sich solidarisieren sollten.

Oschmann kommt nun mit einem Vergleich, der  im Publikum nicht so begeistert aufgenommen wird: Ostdeutsche seien ja auch in die Mehrheitsgesellschaft Westdeutschlands „eingewandert“, sagt Oschmann. Insofern sei das schon eine richtige Sichtweise. Er beispielsweise sei von einem in Deutschland eingewanderten Kameruner angesprochen worden, nachdem er Oschmanns Buch gelesen habe. „So, wie Sie das beschrieben haben, ist es mir auch gegangen, als ich nach Deutschland kam“, habe er gesagt.

Publikum zur Lesung „Der Osten – eine westdeutsche Erfindung „

 

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