Tragödie, was für eine Tragödie!

24. April 2018 | Kultur | 3 Kommentare

Am gestrigen Abend, 20. April 2018, lud das Neue Theater zu einer Premiere von Georges Feydeaus Stück „Floh im Ohr“ (in der Übersetzung von Elfriede Jelinek) ein. Und auch wenn eine Literaturnobelpreisträgerin das Stück aus dem Paris des Fin de Siècle für die deutsche Bühne bearbeitet hat, muß das Publikum wahrlich kein schwer verdauliches Bildungsprogramm erwarten, eher einen sommerlichen Theaterspaß. Und den bereitete das Ensemble des NT unter der Regie von Philippe Besson und dem Bühnen- und Kostümbild von Henrike Engel dem Publikum auf turbulente Weise. Es blieb kein Auge trocken und viele im ausverkauften Hause waren nach der Vorstellung heiser vor Lachen. Willkommen im Theatersommer! (Halt! Wir haben erst April, oder?)

Am Anfang war ein Hosenträger

Diener Etienne, Lucienne und Dr. Finache

Auch inhaltsschwer ist das Stück keinesfalls: Direktor Victor-Emmanuel Chandebise (Till Schmidt), der beste Ehemann von allen, hat ein kleines Problem „mit der Auferstehung des Fleisches“ (wie man so gutkatholisch sagt). Das macht seiner Ehefrau Raymonde Chandebise (Elke Richter) noch keine Sorgen. Erst als sie in der Post einen Hosenträger ihres Mannes vorfindet, der ihr von einem Hotel mit Namen „Zur zärtlichen Miezekatze“ zugesandt wird, wächst ihr Mißtrauen. Victor-Emmanuel hat doch nicht etwa eine Geliebte, an die er alle Energie verliert? Das muß überprüft werden! Raymonde setzt sich mit ihrer besten Freundin Lucienne (Petra Ehlert) zusammen, um Victor-Emmanuel einen Liebesbrief einer Unbekannten zukommen zu lassen, die ihn zu einem Liebestreffen ins Hotel „Zur zärtlichen Miezekatze“ beordert. Der beste Ehemann von allen fühlt sich zwar sehr geschmeichelt, aber er hat keinesfalls vor, seine Frau zu betrügen. So schickt er seinen Stellvertreter in der Firma, Romain Tournel (Matthias Walter), zum Treffpunkt, der ohnehin immer ein Bedürfnis nach Damenbekanntschaften hat. Da aber Victor-Emmanuel sich nicht enthalten kann, mit dem Brief zu prahlen, bekommt diesen auch der Ehemann von Lucienne, der Hidalgo Carlos Homenides de Histangua (Andreas Range), zu Gesicht. Der eifersüchtige Spanier zückt die Pistole und macht sich auf dem Weg ins Hotel. Dorthin eilen auch Camille Chandebise (Hagen Ritschel), der Neffe von Victor-Emmanuel, der an der Hosenträgergeschichte schuld ist, und Antoinette (Annemarie Brüntjen), das Dienstmädchen, die dort auch ihren Vergnügungen zum Schaden von Antoinettes Ehemann Etienne (Nils Thorben Bartling), Diener bei den Chandebise, nachgehen wollen. Auch Dr. Finache (Peter W. Bachmann), Leibarzt der Familie,  hat seine eigenen Interessen, was das Hotel „Zur zärtlichen Miezekatze“ betrifft. Es kann der zweite Akt beginnen, das Bühnenbild wechselt. Till Schmidt tritt nun auch als Poche, Diener im rotbeleuchteten Hotel auf, der dem Direkter Chandebise zum Verwechseln ähnlich sieht. Sie können es sich denken, die Verwirrungen nehmen kein Ende, das Türenschlagen, Herumrennen läßt Ensemble und Publikum schier atemlos zurück, bis der eifersüchtige Spanier den Akt mit einer grandiosen Schießerei erlöst. Hier treten weiter auf Karl-Fred Müller als Hotelbesitzer, Enrico Petters als seine Frau Olympe, Paul Sies als Eugenie, das Zimmermädchen, Malick Bauer als englischer Gast und Jörg Simonides als alter Onkel Baptistin in einer besonderen Bettrolle auf. Das Publikum erholt sich in der Pause.

Poche (Till Schmidt) erhält viele Tritte im Stück

Der dritte Akt spielt wieder im Hause Chandebise, wohin alle, die es konnten, aus dem Hotel wieder zurückgeflüchtet waren. Nach weiteren Verwirrungen kamen die Auflösungen, ein geknickter Spanier, der seine Frau falsch verdächtigt hatte, und Direktor Chandebise fühlte sich gestärkt, seinen ehelichen Verpflichtungen auch ohne Ausflug zu „Miezekatzen“ nachkommen zu können. Das Premierenpublikum, sofern es sich vom Lachen erholt hatte, klatschte ausgiebig und langanhaltend. Besonders viel Applaus erhielten Till Schmidt für seine Doppelrolle, Hagen Ritschel als Mann mit dem Sprachfehler (für den extra eine Zahnschiene angefertigt wurde) und Malick Bauer, der optisch das weibliche Publikum entzückte.

Theatervergnügen mit Stil und vielen Fußtritten

Ist das Stück, über das bereits eine weitere Jahrhundertwende hinweg gegangen ist, veraltet, sprich altmodisch? Auch wenn Jelinek etwas vom Ballast befreit hat, so stammt das Stück aus einer Zeit, in der es ein Vergnügen war, ins Theater zu gehen. Vergnügen vermittelt das Stück, zwar mit viel Verrücktheiten und Hysterie, in seiner reinsten Form, es war dem lachenden Publikum anzumerken. Nein, Theater muß nicht immer Bildung sein, es darf auch immer Spaß machen. Beides kann das Ensemble des NT sehr gut. Nicht zuletzt ist der „Floh im Ohr“ gute alte Theaterarbeit, mit viel Bewegung, Türenschlagen und exakten Auftrittsplan. Gewisse Personen dürfen sich auf keinen Fall gleichzeitig in einem Raum treffen, darin besteht oftmals die Technik von Feydeau. Das Ensemble absolviert ein Hochleistungsprogramm. Die Frage geht an Till Schmidt, wie er es immer so schnell geschafft hat, sich umzuziehen? Allein für diesen Dialog- und Bewegungsmarathon von über 2 1/2 Stunden haben die Schauspieler/innen einen großen Beifall mehr als verdient. Gönnen Sie sich einfach das Vergnügen und lassen Sie sich im Neuem Theater einen „Floh ins Ohr“ setzen. Im Gegensatz zur seichten Unterhaltung im Fernsehen hat dieses Theatervernügen Stil. Und wer im Neuen Theater immer nur spartanisches Bühnenbild erwartet, wird rasch merken: Auch hier kann hier NT anders. Stil kann niemals aus der Mode kommen, was meinen Sie?

Premiere: Freitag, 20.04., 19.30 Uhr, nt–Saal
Weitere Termine: 21.04., 19.30 Uhr | 29.04., 15 Uhr | 26.05., 19.30 Uhr | 27.05., 18 Uhr , nt–Saal
Für die weiteren Termine sind Karten zu einem Preis von 20,- € (erm. 10,-€) an der Konzert- und Theaterkasse, telefonisch unter 0345 5110 777 sowie unter www.buehnen-halle.de erhältlich.
Fotos: Falk Wenzel

 

AK und TK

Print Friendly, PDF & Email
3 Kommentare

Kommentar schreiben