María, vergessen bist du unter allen Frauen

30. November 2017 | Kultur | 4 Kommentare

Die Aufgabe des Kritikers ist dieses Mal eine außerordentlich leichte. Denn die Erwartungen wurden erfüllt, sogar übertroffen! Die Premiere der Operita „María de Buenos Aires“ von Astor Piazzola und Horacio Ferrer (Libretto) am 26.11. 2017, Sonntag, im Opernhaus wurde schnörkellos und schwungvoll aufgeführt, ohne doppelten Boden, dafür aber mit einer höchst authentischen Hauptdarstellerin. Dazu kam ein Geist wie der Abglanz des lateinamerikanischen Majo, ein sinnliches Ballett Rossa und eine enthusiastische Staatskapelle, die in dieser Formation täglich in einem Tangolokal aufspielen könnte. Und das mit riesigen Erfolg! Aber ich hörte, sie hat anderes zu tun. Besseres bestimmt nicht, denn was könnte es besseres geben, als Tango zu spielen?

„María des Buenos Aires“ ist nicht mit dem intellektuellen Schreibgriffel zu erfassen. Hier hat das Herz zu entscheiden. Als ich Piazzolas Stück das erste Mal sah/hörte, ging das nicht ohne Tränen ab. Auch die weiteren Mal war die Mitnahme von Taschentüchern angebracht gewesen. Hätte ich diese Besetzung beim ersten Mal erlebt, hätte ich wohl wie ein Schlosshund geheult. Ich wäre aus dem Opernhaus geflogen ganz ohne Trockeneisnebel.

Diese kleine Oper ist im Grunde ein szenisch aufgeführte Gedicht, ein Platzregen aus Metaphern untermalt von der Musik von Astor Piazzola. Es ist ein Poem über eine Frau aus den Vorstädten (Barrios) de Buenos Aires, die strauchelt, stirbt und als Schatten weiterlebt. Wir erfahren von ihrem Leben in den armen Vorstädten, ihrer Flucht in die große Stadt und ihr Abgleiten in die Prostitution. Ebenso werden wir Zeuge ihres Todes und folgen ihrem Geist rastlos durch die Straßen Buenos Aires, bis ihr Schatten (der Schatten eines Schattens) ein Kind zur Welt bringt. Der Geist sagt: Es ist nicht Jesus, es ist kein Junge, es ist ein Mädchen. Es ist María. Ist das das Ende oder erst der Anfang? María ist nicht wie in der Oper Carmen die Täterin als Männerphantasie, María ist das Opfer. Marias sterben jeden zweiten Tag, ermordet von Ihren Männern, Partnern, Zufallsbekanntschaften.

Luciana Mancini ist María.

Luciana Mancini ist María de Buenos Aires

María wird gespielt von Luciana Mancini. Die Mezzosopranistin ist in der Welt der Alten Musik und der Barockopern zu Hause. In der Rolle der María de Buenos Aires debütierte sie 2016 an der Oper Bonn. An der Oper Halle ist sie in der Spielzeit 2017/2018 zum ersten Mal zu erleben. Ein Glücksgriff! Denn Frau Mancini spielt nicht María, sie verkörpert nicht María, sie ist es. Ich habe noch nie eine so authentische María de Buenos Aires gesehen oder gehört. Es ist zu befürchten, dass die Oper ein neues Phantom hat: Luciana Mancini als María, die leise summend nachts durch die Gänge und Treppenaufgänge irrt.

Daniel Bonilla-Torres als El Duende

Fast genauso unwirklich wichtig ist Daniel Bonilla-Torres in der Rolle des El Duende, des Geistes, der María beschwört und als Erzähler durch die Handlung spukt. Dieser behäbige, aber lässige alte Dandy, nur noch ein Schatten der Zeit als der Tango in Buenos Aires seine goldene Zeit erlebte, wirkt authentischer als Fassungen, in den El Duende wie der Puck aus dem „Sommernachtstraum“ gegeben wird. Auf Daniel Bonilla-Torres, der die szenische Leitung inne hat, scheint mir auch die Kürzung der verschiedenen Sprechchöre zurückzugehen. Das erlaubt Raum für das Ballett.

Johannes Mertes (Mitte), hier als Analytiker.

Fast zu wenige Worte bleiben für den Tenor Johannes Mertes. Er gehört zum Ensemble des Theater Bonn, wo er bereits zuvor mit Luciana Mancini und Daniel Bonilla-Torres „María de Buenos Aires“ aufgeführt hat. Er wurde keinesfalls an die Wand gespielt. Ihn einfach einen wunderbar lyrischen Tenor zu nennen, wäre zu wenig. Er ist dieser ganz normale argentinische Mann, der Frauen wie María in die Ehe, ins Bordell oder in den Tor treibt. Wenn sie nicht so will wie er, verflucht er sie. Ganz groß: Im Stil einer Parodie des „Phantoms der Oper“ kommt er die Treppe singend in der Rolle des „Ladrón Antiguo Mayor“ herunter.

Erster Kapellmeister Christopher Sprenger der Staatsoper leitet wie in Bonn auch in Halle das Tangoorchester. Aber, er möge es mir verzeihen, die Hauptperson bei den Instrumenten ist das Bandoneon, gespielt von Christian Gerber. Was wäre der Tango oder Piazollas Tango Nuevo ohne dieses Instrument? Es ist so wichtig, dass selbst El Duende mit dem Messer auf das Bandoneon losgeht. Fast wäre der Abend geschmissen gewesen, wenn das Ballett Rossa nicht dazwischen gegangen wäre.

Deswegen möchte den Lobgesang auch auf das Ballett Rossa ausdehnen, das bisher zu kurz gekommen ist und doch so viel Sinnlichkeit zu alle der Melancholie aus Tango und Sprachmetaphern bestehenden Aufführung beitrug. Meine Lieblingsstelle darf ich noch kurz schildern, weil sie zu all den Tränen auf meiner Wange auch ein Lächeln auf meinen Lippen zauberte: El Duende (Daniel Bonilla-Torres) betrinkt „magischen Bar der Glücksbringer“. Die Drei von Dingen trunkenen Marionetten, mit wunderschönen Narrenhüten versehenden Tänzerinnen Laura Busquets Garro, Margherita Sabbadini und Ayana Kamemoto albern um ihn herum, dass es eine wahre Freude ist. Was ist verspielter, die Tänzerinnen oder die sprachlichen Metaphern des Geistes? Was macht trunkener?

Kurz, diese Aufgabe einer Opernkritik war wirklich leicht und damit ist (fast) alles geschrieben. Diese Aufführung braucht sich nicht zu verstecken. Sie kann selbst international bestehen. Und da die Musik von Astor Piazzola ein Grenzgang zwischen den Genres ist, auch ein Grenzgang zwischen der Literatur des Magischen Realismus und der lateinamerikanischen Großstadtmusik, wird auch der Jazz-, Folk-, selbst der Rockfreund seinen Spaß an dieser Aufführung haben. Wir sind alle Opernhaus, diese Aufführung beweist es. Versuchen Sie unbedingt eine Karte zu ergattern. Tango tut Seele und Körper gut!

Die Aufführung ist auf Spanisch (Südamerika). Es gibt deutsche Untertitel.

Weitere Vorstellungen am: 2.12., 19.30 Uhr | 10.12., 15 Uhr | 31.12.2017, 15 & 19.30 | 7.1.2018, 15 Uhr | 12.01.2018, 19.30 Uhr in der Oper Halle

Karten für (16,- bis 34,- Euro/ erm. 8,- bis 17,- Euro) sind an der Theater- und Konzertkasse sowie unter www.buehnen-halle.de erhältlich.

Alle Fotos: Falk Wenzel. Mit freundl. Genehm. der Bühnen Halle

 

 

 

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