Schon gewusst? Erneutes Massensterben im Anthropozän?

31. Oktober 2020 | Bildung und Wissenschaft | 6 Kommentare

Fischfossil aus Jurazeit

Wir Menschen sind dabei, das sechste große Massensterben in der Geschichte der Erde herbeizuführen. Auf der Erde leben derzeit wahrscheinlich acht Millionen Tier- und Pflanzenarten, einschließlich 5,5 Millionen Insektenarten. Etwa eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht. Wie viele Tier- und Pflanzenarten es tatsächlich auf der Welt gibt, weiß niemand genau. Längst sind nicht alle Arten bekannt. Gerade in unzugänglichen Gegenden wie dem Amazonasgebiet werden noch viele unbekannte Tiere und Pflanzen vermutet, von denen die meisten verschwunden sein werden bevor wir sie wahrgenommen haben. 

Die paläontologische Forschung konnte bis heute fünf große Massensterben in der Erdgeschichte und etwa 20 kleine nachweisen. Solche Katastrophen hatten verschiedene Ursachen: Vulkanausbrüche, Asteroideneinschläge, verdunstende Meere, Änderungen des Salzgehaltes der Ozeane oder Klimaänderungen. Vermutet werden auch riesige Methangasausbrüche aus dem Untergrund oder kosmische Explosionen in der Nähe der Erde.

Tödlicher Sauerstoff

Das erste Massensterben ereignete sich vor etwa 2,3 Milliarden Jahren (Präkambium), als die Atmosphäre erstmals mit Sauerstoff angereichert wurde, und die bis dahin weitgehend anaerobe Lebewelt ausstarb, weil der reaktive Sauerstoff Gift für sie war. Über Jahrmillionen hatte der Sauerstoff mit dem an der Erdoberfläche reichlich vorhandenen Eisen reagiert und mächtige rote rosthaltige Sedimente gebildet.

Hü-hot der Temperaturen

Trilobit-Fossil

Im großen Massensterben vor etwa 440 Millionen Jahren (Ordovizium) starben zahllose Meerestiere aus. Vor allem viele Armfüßer, Trilobiten, Kopffüßer und zahlreiche riffbildende Organismen – wie etwa Moostierchen – waren betroffen. Insgesamt verschwanden vermutlich bis zu 75 Prozent der damals lebenden Tierarten. Ursache waren extreme Temperaturschwankungen: auf sehr warme Zeiten folgten sehr kalte Zeiträume. Das bekam der Tierwelt im Meer überhaupt nicht. 

Profithaie

Die nächste schwere Katastrophe ereignete sich vor etwa 360 Millionen Jahren (Devon). Wieder gehörten zahlreiche wirbellose Meeresbewohner zu den Opfern. Aber auch Wirbeltiere waren von einem Massensterben betroffen: Viele Fischarten verschwanden, darunter auch die großen, räuberischen Panzerfische. Nach ihrem Aussterben wurden die Haie zu den beherrschenden Raubfischen der Meere.

Sibirisch heiß

Ichthyosaurier (Fossil; Quelle: Museum Hauff Holzmaden)

Das nächste Massensterben vor etwa 250 Millionen Jahren (Perm) war das größte der Erdgeschichte. Man schätzt, dass ihm bis zu 95 Prozent aller damals im Meer lebenden Tierarten zum Opfer gefallen sind. Erstmalig war auch das Leben auf dem Festland massiv betroffen. Viele Insekten-, Amphibien- und Reptilienarten starben aus. In Sibirien brachen großflächig Vulkane aus. Die freigesetzten Gase ließen weltweit die Temperaturen ansteigen.

Dinos adé

Das wohl berühmteste Massensterben ereignete sich vor ca. 66 Millionen Jahren, als etwa die Hälfte aller Tierarten ausstarb, darunter mit Ausnahme der Vögel auch die Dinosaurier. Ursache war der Einschlag eines etwa zehn Kilometer großen Asteroiden im Gebiet des heutigen Mexiko. Der heute nachweisbare Chicxulub-Krater hat einen Durchmesser von etwa 200 Kilometern. Der Einschlag wirbelte vermutlich eine dichte, hartnäckige Staubschicht in die Atmosphäre und hatte so eine schnelle und dramatische Abkühlung der Erde zur Folge, auf die sich viele Tiere nicht einstellen konnten. Die Saurier wurden immer trauriger, weil mit ausbleibender Photosynthese Nahrungsketten zusammenbrachen. Das Aussterben der Dinosaurier schaffte die Voraussetzung für die Verbreitung der Säugetiere. Katastrophen waren auch immer die Chance zu einem evolutiven Neuanfang.

Anthropozän

Die Ausbreitungsgeschichte der Menschheit ist leider auch eine Geschichte des Aussterbens. Immer wenn Menschen neue Kontinente oder Inseln besiedelten, verschwanden kurz darauf viele heimische Arten. Vor Beginn der Neuzeit betraf dies vor allem die sogenannte Megafauna, also große Tierarten, wie z.B. Mammut, Riesenfaultiere, den neuseeländischen Moa oder Säbelzahnkatzen. Durch seine Eingriffe in die Natur verändert er tiefgreifend die Umwelt. Von einem sechsten Massensterben kann man vielleicht mit Blick auf die gewaltigen früheren Katastrophen noch nicht reden. Homo sapiens hat aber unübersehbar ein neues erdgeschichtliches Zeitalter eingeläutet: Das „Anthropozän“ Für 38 Prozent der Nettopflanzenproduktion der Biosphäre ist heute die menschliche Nutzung verantwortlich. Das Kohlendioxid aus der Verbrennung von Gas, Öl und Kohle hat den Säuregrad des Meerwassers auf Werte gebracht, wie es sie zuletzt im Erdaltertum gab. Und die Erfindung des Kunstdüngers verändert die globalen Stickstoffkreisläufe so stark wie seit 2,5 Milliarden Jahren nicht mehr. Berichte über verschwundene Tier- und Pflanzenarten häufen sich. Zwar wird der Mensch die Biosphäre nicht endgültig ruinieren. Aber er dürfte sie in geologisch kurzer Zeit stark verändern. Den kommenden Wandel wird er wohl überleben. Seine Zivilisation aber, die mit ihren Errungenschaften das Ergebnis einzigartig stabiler Umweltbedingungen während der vergangenen 10.000 Jahre ist, die wird wohl unwiderruflich untergehen.

(H.J. Ferenz)

Print Friendly, PDF & Email
6 Kommentare

Kommentar schreiben