Pflanzliche Wundermittel gegen Corona-Virus ? Leipziger Biochemie-Professor warnt vor Scharlatanerie

16. März 2020 | Bildung und Wissenschaft | 5 Kommentare

Stehen wir hilflos einer neuen oder oder (noch) nicht heilbaren Krankheit gegenüber, schlägt die Stunde von selbsternannten Alternativmedizinern, die mit allerlei Versprechen Hilfe anbieten. Doch Vorsicht! Viele natürliche Mittel sind keineswegs harmlos. Viren sind besonders schwierig zu bekämpfen. Sie haben ja keinen eigenen Stoffwechsel, in den man mit Medikamenten eingreifen könnte. Von Mitteln, die das Eindringen von krankmachenden Viren in den Körper und Zellen behindern erhofft man sich umfassenden Infektionsschutz.
Zur Zeit machen eine Empfehlungen von Naturheilkundlern und Heilpraktikern in Whatsapp, Twitter und Co die Runde: So werden Lutschbonbons mit dem Extrakt der Cistrose empfohlen. Mehrfaches Lutschen dieser Pflanzendrops soll den Coronaviren den Eintritt in den Körper sicher verwehren. Was ist daran?
Zistrosen wachsen prächtig auf einem kalk – und nährstoffarmen Boden. Die strauchförmige Pflanze ist im Mittelmeerraum verbreitet. Sie wird schon seit der Antike als Heilmittel gegen Bronchialerkrankungen, Augenkrankheiten und gegen Infektionen eingesetzt. Des Weiteren ist sie blutstillend. Das klebrige Harz, das die Pflanze absondert, ist äußerst wohlriechend. In der Antike verwendete man es als begehrtes Räuchermittel, noch heute ist es eine wichtige Grundlage für Parfums. Dieses so genannte „Labdanum“ wurde auf skurille Art gewonnen: der griechische Gelehrte Dioscurides beschrieb, wie Hirten ihre Tiere in das dichte Buschwerk trieben und anschließend die Harzklümpchen aus dem Fell (insbesondere aus dem Ziegenbart) herauskämmten.

Die kretische Zistrose, Cistus incanus.

In Zellkulturen zeigten Extrakte der Zistrose tatsächlich positive Wirkungen gegen Viren. Folgende Inhaltsstoffe können medizinisch wirken: Phenole (Protocatechussäure, hochpolymere Polyphenole, Gerbstoffe), Flavonoide (Flavanole, Proanthocyanide, Catechin, Gallocatechin), Ätherische Öle (Terpene, Monoterpen, Karvacrol, Diterpene, Labdane – Type, Sesquiterpene). So sollen diese Polyphenole und Gerbstoffe sozusagen Zellen in den Atemwegen versiegeln und damit möglicherweise einen Virenbefall behindern. Das klingt doch zuversichtlich. Doch zur Sicherheit fragte Hallespektrum.de bei einem Experten nach, der es wissen muss:

Interview mit Prof Athanassios Giannis, Uni Leipzig

Wir wandten uns an den Professor für Biochemie und approbierten Arzt, Athanassios Giannis. Er forscht an seinem Lehrstuhl an der Universität Leipzig an der Entwicklung neuer Wirkstoffe und gilt als ausgewiesener Experte für Stoffwechsel- und Wirkstoffmechanismen von Medikamenten.

Hallespektrum: Herr Prof. Giannis, Zistrosenextrakte als Corona-Medikament oder sogar zur Prophylaxe: Was halten Sie davon?

Giannis: Kurz gesagt: Gar Nichts. Zurzeit wird eine Vielzahl von Falschmeldungen in den sog. Social Media verbreitet und ich kann sagen: Alles ist falsch! Wenn es z.B. heißt „das Mittel XY schützt vor einer Corona-Infektion und dies wurde in Zellkultur getestet und da oder dort publiziert“ muss man wissen: Eine Testung in Zellkultur besagt zunächst nur sehr wenig. Man braucht weitere Studien an ganzen (Model)Organismen unter kontrollierten Bedingungen. Erst dann folgen eventuell Untersuchungen an Menschen (freiwillige, Risikogruppen etc.) unter Einbeziehung von Ethik-Kommissionen etc. Nach Abschluss dieser Untersuchungen wird entschieden. Das dauert lange Zeit. Der schnellste Weg ist allerdings die Entdeckung eines Impfstoffes und die anschließende Impfung. Sollte diese nicht gewollt sein oder abgelehnt werden kann man alternativ eine Hexe verbrennen.

Im Übrigen: Ibuprofen hilft gar nicht, alles Falschmeldungen. Ibuprofen kann darüber hinaus Nierenprobleme verursachen… Auch das Trinken von viel Wasser nützt nicht!
Was in der Tat hilft ist die Einhaltung hygienischer Maßnahmen, Vermeiden von Kontakten einschließlich Handschlag zur Begrüssung. Siehe auch: https://www.who.int

Hallespektrum: „Zur Vorbeugung oder Abwehr von Erkältungskrankheiten wird gern hochdosiertes Vitamin C empfohlen. Vitamin C braucht unser Körper ja. Kann eine hohe Dosis Vitamin C einer Infektion mit dem Corona-Virus-19 vorbeugen?

Giannis: Ein Mangel an Vitamin C oder Vitamin A ist in unseren Breitgraden und in unserer wohlgenährten Gesellschaft nicht bekannt. Alle Vitamine sind in unserer Nahrung in ausreichender Menge vorhanden. Eine weitere Zufuhr nützt nicht und hilft nur dem Apotheker…Das gleiche gilt für Vitamin A.

Hallespektrum: Wenn das alles nicht so einfach ist: in welcher Richtung sehen Sie in naher oder mittlerer Zukunft Möglichkeiten, Covid-19 medikamentös zu behandeln? Wie ist der derzeitige Forschungsstand?

Giannis:  Die Suche nach einem Medikament zur Heilung einer Corona-Virus Infektion läuft zurzeit auf Hochtouren. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass Corona-Virus (SARS-CoV-2) Rezeptor ein Protein mit dem Namen ACE2 für seinen Eintritt in die Zelle benutzt und auch ein Enzym namens Serinprotease TMPRSS2 für die Prozessierung des viralen S-Proteins verwendet. Ein für den klinischen Einsatz zugelassener TMPRSS2-Inhibitor mit dem Namen Camostat Mesylat blockierte den Eintritt des Virus in die Zellen und könnte eine Behandlungsoption darstellen. Das muss allerdings durch weitere Studien belegt werden. (Cell, 5.3.2020; https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.02.052).

Das ist ein Hoffnungsschimmer und zeigt wie wir vorgehen sollten,um eine neue rationale Therapie zu etablieren.Chinesische und andere Wissenschafler prüfen zurzeit eine Vielzahl von zugelassenen Medikamenten auf Ihre Eignung zur Therapie der Corona-Virus Infektion. Wir müssen jedoch Geduld bewahren.

Hallespektrum: „Herr Prof. Giannis, wir danken Ihnen für das Gespräch.“

Mit anderen Worten: Händewaschen und Quarantäne-Maßnahmen sind billiger und wirkungsvoller.

(H.J. Ferenz, CHW)

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