Klare und einheitliche Corona-Regeln: Leopoldina richtet Appell an Bund und Länder

23. September 2020 | Bildung und Wissenschaft | Ein Kommentar

 

Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt seit Ende Juli in Deutschland wieder an. In Anbetracht der bald sicher sinkenden Temperaturen und der Verlagerung von Gruppenaktivitäten in Innenräume bestehe die Gefahr, dass es abermals zu einer schwer kontrollierbaren Entwicklung der Pandemie komme. Das jedenfalls schreibt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in der heute erschienenen Ad-hoc-Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie: Wirksame Regeln für Herbst und Winter aufstellen“.

Um dieser Gefahr rechtzeitig zu begegnen und das öffentliche Leben auch in den kommenden Monaten aufrecht zu erhalten, müssten jetzt Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Die Leopoldina appelliert an die Verantwortlichen in Bund und Ländern, sich rasch auf bundesweit verbindliche, wirksame und einheitliche Regeln für das Inkrafttreten von Vorsorgemaßnahmen zu einigen und letztere konsequenter als bisher um- und durchzusetzen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weisen darauf hin, dass sich der Anstieg der Infektionen mit SARS-CoV-2 in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Spanien, Niederlande und Österreich oder in Israel bereits deutlicher zeigt als in Deutschland. Ein Impfstoff gegen das Coronavirus werde auch nach optimistischer Einschätzung nicht vor dem Frühjahr 2021 in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Auch die Wirksamkeit medikamentöser Therapien sei bisher begrenzt. Mit der beginnenden Erkältungs- und Influenzasaison steige zudem die Herausforderung, Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik von COVID-19 zu unterscheiden.

Um vor diesem Hintergrund die Zahl der Infizierten in den kommenden Monaten auf niedrigem Niveau zu halten, empfiehlt die Leopoldina in ihrer sechsten Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie:

1. Schutzmaßnahmen konsequent einhalten: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen, dass die AHA-Regeln (Abstandhalten, Hygiene, Alltagsmaske/Mund-Nasen-Schutz) und ein regelmäßiger Luftaustausch in
Räumen nach wie vor die wichtigsten und wirksamsten Mittel sind, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. Mit Blick auf eine mögliche angespannte Situation im Herbst und Winter sollten bundesweit einheitliche Regeln und Eskalationsstufen für Schutzmaßnahmen definiert werden, die je nach regionalem Infektionsgeschehen greifen. Sie müssten regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

2. Schnell und gezielt testen, Quarantäne- und Isolationszeiten verkürzen: Zur Kontrolle des Infektionsgeschehens empfiehlt die Stellungnahme unter anderem den gezielten Einsatz von Testungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Infektionsrisiko sowie die Bereitstellung von laborunabhängigen Testverfahren, um schneller zwischen einer
SARS-CoV-2-Infektion und symptomähnlichen Erkrankungen wie Influenza zu unterscheiden. Um negative Auswirkungen für Einzelne, Familienangehörige sowie Wirtschaft und Gesellschaft zu reduzieren, könnte die
Isolationszeit nach Symptombeginn bei nachgewiesener Erkrankung auf etwa eine Woche verkürzt werden. Auch die Quarantänezeit von Personen, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt waren (Kategorie-I-Kontakte, beispielsweise Kontakt mit einer nachweislich infizierten Person oder Aufenthalt in einem Risikogebiet), ließe sich
nach neueren Schätzungen von 14 auf 10 Tage reduzieren.

3. Verantwortungsvolles Verhalten erleichtern: In den kommenden Monaten werde die erfolgreiche Eindämmung der Pandemie davon abhängen, ob es gelinge, die bekannten Schutzmaßnahmen noch konsequenter als bislang
umzusetzen, so die Expertinnen und Experten. Um dies zu erleichtern, benötigten die Bürgerinnen und Bürger adressatenspezifisch aufbereitetes und barrierefrei zugängliches Wissen, Motivation und die Möglichkeit, sich entsprechend zu verhalten sowie klare Regeln. Ebenso wichtig und motivationsfördernd sei die transparente Kommunikation von Grundlagen, Verfahren und Zielen politischer Entscheidungen.

4. Soziale und psychische Folgen abmildern: Die Stellungnahme weist darauf hin, dass psychische Belastungen in der Pandemie zugenommen haben, mit potentiell langfristigen Folgen für die Gesundheit vieler. Daher seien
Hilfsstrukturen notwendiger denn je, insbesondere ein deutlich vergrößertes psychotherapeutisches und psychiatrisches Angebot sowie Beratungsangebote hinsichtlich Prävention und Therapie.

Mit dieser Stellungnahme legt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die sechste Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie in Deutschland vor. Sie beruht auf dem Forschungsstand der beteiligten
Wissenschaftsdisziplinen. Entscheidungen zu treffen, ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik und der zuständigen Institutionen.

Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Dazu erarbeitet die Akademie interdisziplinäre
Stellungnahmen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesen Veröffentlichungen werden Handlungsoptionen aufgezeigt, zu entscheiden ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik. Die Leopoldina vertritt die deutsche Wissenschaft in internationalen Gremien, unter anderem bei der wissenschaftsbasierten Beratung der jährlichen G7-Gipfel. Sie hat 1.600 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Sie wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Die Leopoldina ist als unabhängige Wissenschaftsakademie dem Gemeinwohl verpflichtet.

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