Die wichtigsten Erkenntnisse des Virologen-Kongresses 2021

29. März 2021 | Bildung und Wissenschaft, Natur & Gesundheit, Veranstaltungen | Keine Kommentare

Vergangene Woche waren die neuesten SARS-CoV-2-Forschungsergebnisse der Themenschwerpunkt bei der 30. Jahrestagung der Gesellschaft für Virologie (GfV, Society for Virology), der größten wissenschaftlichen Fachgesellschaft der Virologie in Europa (HalleSpektrum berichtete). Diese fand vom 24. bis 26. März 2021 in Hannover statt. Etwa 1.000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt tauschten hier ihre neuesten Erkenntnisse miteinander aus und diskutierten weitere globale Vorgehensweisen im Kampf gegen das Virus.

Die Quintessenz dieses wissenschaftlichen Austausches kann in sechs Meldungen zu neuen Erkenntnissen bezüglich SARS-CoV-2 zusammengefasst werden:

Stärkere Vermehrung von B.1.1.7 Mutante aus Großbritannien
Dass das mutierte B 1.1.7 Virus aus Großbritannien gefährlicher geworden ist, zeigen Studien aus Großbritannien und Dänemark. „Das Virus verbreitet sich nicht nur stärker, sondern macht auch kränker.“, erklärt etwa Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité. Beobachtungen in England und die Datenlage vergleichbarer Fälle von positivem PCR-Nachweisen bei einem Case-Matching zeigten demnach gleichermaßen die höhere Viruslast. „Ich hab das am Anfang bezweifelt, dass ein paar kleine Mutationen zu solch einer Veränderung mit deutlich mehr Virus im Menschen führen. Aber bei diesem Virus scheint es wirklich so zu sein, dass man ungefähr Faktor 10 mehr Virusausscheidung hat. Überraschend ist aber, dass in diesem Fall zuerst die Epidemiologie die harten Befunde liefert und erst dann im Zelllabor untersucht wird.“

Prof. Ralf Bartenschlager, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Virologie (GfV), geht davon aus, dass es Veränderungen am Spikeprotein sind, durch die dem mutierten Virus eine bessere Vermehrung im Menschen gelingt. Auch Versuche in Versuchstieren wiesen darauf hin, dass die größere Verbreitung mehr mit der Virusmenge als mit der Vermehrungsfähigkeit selbst zu tun habe. Schutzmaßnahmen gegenüber dem mutierten Virus seien wirkungsvoll. Es könne schließlich genauso wenig durch eine FFP Maske fliegen wie die Wildtypvariante. Jedoch könnten Verhaltensfehler eher zu einer Virusübertragung führen als das bei einer weniger infektiösen Variante der Fall ist. Entscheidend sei es, bei der neuen Virusvariante die Hygienemaßnahmen sehr viel stärker einzuhalten als bisher, ansonsten sei das Übertragungsrisiko größer.

Wann können Kinder mit einem sicheren Impfstoff rechnen?
Auch Kinder können schwere Krankheitsverläufe bei Covid-19 erleiden und auch der Aufbau einer Bevölkerungsimmunität gehe nicht ohne die Kinder, betont Prof. Klaus Überla, Mitglied der STIKO (Ständigen Impfkommission). „Prinzipiell gibt es auch immer die Möglichkeit, Impfstoffe, die für Erwachsene zugelassen sind, außerhalb der Zulassung zu nutzen.“ Aber bei einer solch individuellen Entscheidung der Eltern und des impfenden Arztes müsse dieser dafür die Verantwortung übernehmen. Da für die Coronaimpfstoffe bisher nur wenige Hinweise zu Dosierung, Wirksamkeit und Sicherheit in dieser Altersgruppe vorliegen, sei größte Zurückhaltung geboten. Auch habe die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin explizit davon abgeraten. Doch wurden schon entsprechende Studien begonnen und für einen der Impfstoffe liegen schon Erfahrungen mit Kinderimpfungen bei einem anderen Erreger vor.

Die bisher fehlende Datenlage führe dazu, dass man bei Kindern und auch bei Schwangeren trotz schwerer Krankheitsverläufe keine Impfzulassung hat, sagt Prof. Isabella Eckerle, die Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten an den Universitätskliniken in Genf. „Kinder spielen eine Rolle im Infektionsgeschehen! Insofern glaube ich, das die Impfstoffe für Kinder ein ganz wichtiger Schritt sein werden, das Virus einzudämmen.“ Mit einem anwendbaren Impfstoff sei allerdings erst Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres zu rechnen.

Virologen für Niedrige-Inzidenz-Strategie: „Wegtesten können wir das Virus nicht!“
Je weniger Virus, desto besser – so das einhellige Votum der Virologen. Wie Christian Drosten betonte, sei es die Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft, „dass wir in der jetzigen Situation einfach noch nicht so weit sind, den Schalter umzulegen, weil demnächst auch mehr getestet und irgendwann auch mal mehr geimpft wird“. Höchste Priorität sei es, die Inzidenzien niedrig zu halten, damit man nicht in eine unkontrollierte Situation hineinkomme. Je niedriger, desto besser – so das einhellige Credo der GfV.

Urlaub 2021: Virologen raten von Auslandsreisen ab
Es steht nicht gut für Urlaubsreisepläne im Sommer 2021. Von Auslandsreisen raten Virologen in jedem Fall ab. „Bestenfalls spontan ins Umfeld von Berlin mit dem Fahrrad oder dem Auto.“ so die Aussage von Prof. Drosten. Denn einen möglichen saisonalen Effekt dürfe man angesichts der aktuell enormen Ausbreitung der britischen Virus-Variante 1.1.7. nicht überschätzen. Die weitere Entwicklung sei derzeit aber noch sehr schwer abzuschätzen.

„Wir haben das alte Virus im vergangenen Jahr gut in den Griff bekommen, aber jetzt haben wir es mit einem Virus zu tun, das seine Eigenschaften erheblich verändert hat.“, sagt Prof. John Ziebuhr, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Gießen. „Wir bekommen diese Variante derzeit trotz Lockdowns nicht in den Griff.“ Solange die Impfungen in Deutschland nicht zügiger vorankämen, sei mit einer Entspannung der Situation daher eher im Herbst zu rechnen als im Sommer.

Longcovid: Von der Lunge in den Darm?
Auch bei einer mild verlaufenden Infektion mit SARS-CoV-2 Viren können Symptome wie Kurzatmigkeit und Erschöpfungserscheinungen noch sehr lange anhalten. „Das ist ein Phänomen, das man bislang noch nicht allzu gut versteht.“, so Prof. Bartenschlager: „Das könnte damit zu tun haben, dass bei manchen Menschen das Virus auch die Darmzellen infiziert und dort eine Art chronische Infektion auslöst, die weit über die Primärinfektion hinausgehen kann.“

Das sogenannte Longcovid-Syndrom tritt bei etwa ein bis zwei Prozent der Fälle auf und kann Schäden bis hin zu ausgeprägten Lungenfibrosen aufweisen. Dass bei manchen Patienten aber auch ohne virusbedingte Veränderungen im Lungengewebe massive Beschwerden zurückbleiben, gibt den Experten noch Rätsel auf.

Prof. Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Essen, rät Patienten mit anhaltenden Beschwerden daher: „Inzwischen gibt es an allen Universitätskliniken Longcovid-Sprechstunden, an die man sich unbedingt wenden sollte. Ansonsten droht nämlich womöglich eine lange Odyssee.“

Escape-Varianten: Keine komplette Immunflucht
Die Virusmutationen B.1.351 aus Südafrika oder P.1. aus Brasilien können dem Immunsystem von geimpften oder genesenen Menschen ausweichen, ihm aber nicht komplett entkommen. Bei den Escape-Varianten des SARS-Cov-2 Virus binden bestimmte Antikörper nicht mehr oder deutlich schlechter.

Aber: „Unser Immunsystem verfügt über verschiedene Mechanismen, um die Virusvermehrung zu unterdrücken. Es gibt aber noch einen anderen Arm des Immunsystems: die T-Zellen, die über komplett andere Mechanismen wirken.“, erklärt Prof. Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts am Uniklinikum Erlangen. Hier habe man bislang keine Hinweise auf eine Immunflucht (Escape).

Scheinbar erlangen Virusvarianten, die bereits bestehenden Immunantworten entkommen können, dort einen Ausbreitungsvorteil, wo ein Großteil der Bevölkerung bereits durch Impfung oder eine durchgemachte Infektion immun ist – wie beispielsweise aktuell in Brasilien. In Europa würden P.1. oder auch der südafrikanische Virustyp sporadisch nachgewiesen.

„In der Schweiz finden wir sie regelmäßig, allerdings machen sie nur einen sehr geringen Anteil aus und der scheint im Moment nicht zuzunehmen.“, so Prof. Eckerle. Vorherzusagen, wie sich das entwickelt, wenn ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist, sei allerdings noch extrem schwer.

 

 

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar schreiben