Choreographie von Vogelschwärmen

5. November 2022 | Bildung und Wissenschaft | 4 Kommentare

Starenschwarm

Staunend beobachten wir, wie manche Tiere sich in riesigen Schwärmen kunstvoll, synchron und unfallfrei bewegen. Spektakuläre Beispiele sind Stare, Blutschnabelwebervögel, Wanderheuschrecken, Fische. Schwarmbildung kann für die einzelnen Tiere bei der Nahrungssuche nützlich sein oder auch vor möglichen Fressfeinden schützen. Wie gelingt das den Flugakrobaten?                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        

Starenschwärme über Rom

Riesige Starenschwärme mit über einer Million Vögel suchen alljährlich in den Wintermonaten Schlafplätze in Rom auf. Allabendlich vereinigen sich viele kleine Schwärme dort zu einem faszinierendem Himmels-Ballett. Den Vogelschwärmen gelingt das ohne einen Leitvogel oder Anführer. Trotzdem scheint jeder Vogel innerhalb des Schwarms zu jeder Sekunde zu wissen, was die anderen tun und in welche Richtung er zu fliegen hat. Damit das Fliegen im Schwarm kollisionsfrei funktioniert, arbeiten Schwarmvögel stets zusammen und halten sich dabei an ein paar simple Verkehrsregeln. Jeder Vogel eines Schwarms hat durchschnittlich 15 andere Vögel in seinem Sichtfeld. Orientieren tut sich ein Individuum aber nur an seinen sechs bis sieben unmittelbaren Nachbarn. Generell halten sie mindestens eine Flügelspanne als Abstand zueinander. Richtungsänderungen des Schwarms entscheiden sich nicht unbedingt an der Schwarmspitze. Im Schwarm kann jeder Vogel ein Flugmanöver initiieren, das dann wie eine plötzliche Welle den gesamten Vogelschwarm durchläuft. Durch konzentriertes Beobachten der anderen Schwarmmitglieder können Vögel auf diese Weise Richtungsänderungen schon früh erahnen – etwa so, wie Sportfans eine wogende La-Ola-Welle erkennen und koordinieren.

Flotter Sehsinn

Ermöglicht wird den Vögeln das problemlose Fliegen im Schwarm durch ihren besonders leistungsfähigen Sehsinn. Das Adlerauge hat z.B. eine mehr als doppelt so hohe räumliche Auflösung wie unser eigenes Sehorgan. Auch das wahrnehmbare Farbspektrum ist oft bei Vögeln durch einen zusätzlichen Rezeptor für UV-Licht erheblich erweitert. Beim Fliegen ist eine besonders große zeitliche Auflösung des Sehsinns sehr vorteilhaft. Flott fliegende Mauersegler erkennen und jagen dadurch erfolgreich fliegende Insekten. Experimente zeigten, dass viele Vögel ein Licht-Flackern selbst dann noch erkennen, wenn wir Menschen nur noch Dauerlicht wahrnehmen können. Für uns ist beispielsweise schon eine Flacker-Frequenz von nur 60 Hertz nicht mehr zeitlich auflösbar. Wir sehen im Kino oder am Fernseher einen bewegten Film ohne ruckelige Übergänge. Würde jedoch einer dieser Vögel den Film anschauen, erschiene er für ihn als langsame, ruckelige Abfolge von klar erkennbaren Einzelbildern.  Stubenfliegen geht es genauso. Der Versuch, sie zu erschlagen, scheitert meist daran, dass sie unsere Schlagbewegung wie in Zeitlupe wahrnehmen. Besonders angenehm dürfte also unsere Kunstlichtwelt vielen Vögeln und Insekten nicht sein. Neue Leuchtmittel wie Energiesparlampen oder LEDs flackern nämlich meist mit einer Frequenz von rund 100 Hertz. Unsere vergleichsweise langsamen Augen bemerken dies nicht; Vögel, die diesem künstlichen Licht ausgesetzt sind, dagegen schon.

Welche Sinnesleistungen anderen Tieren das komplikationslose Schwärmen ermöglichen, ist meist nicht gut bekannt. Wanderheuschrecken nutzen wahrscheinlich auch ihren flotten optischen Sinn zusammen mit beweglichen, über den Körper verteilten Sinneshärchen, die Luftströmungen registrieren. Bei Fledermäusen garantiert sicherlich auch die Ultraschallorientierung kollisionsfreies Fliegen im Schwarm. Fische verlassen sich im Schwarm wahrscheinlich auf ihr Seitenlinienorgan, mit dem sie Strömungen und Druckwellen wahrnehmen. Die Vorbilder aus der Natur könnten uns Menschen möglicherweise Anregungen liefern, mit Hilfe künstlicher Intelligenz schwarmrelevante Probleme zu lösen.

(H.J. Ferenz)

Print Friendly, PDF & Email
4 Kommentare

Kommentar schreiben