Vor lauter Scham errötet

17. Oktober 2018 | Bild der Woche | 2 Kommentare

Auf dem Fluchtbalkon der kleinen halleschen Kunstblumenfabrik, einem mittelständigen Betrieb mit immerhin neun Mitarbeitern, hat der stellvertretende Geschäftsführer Hans Müller die einzige echte Pflanze des Unternehmens stehen.

Zu der Pflanze war er gekommen, wie die Jungfrau zum Kind. Er, der schon aus beruflichen Gründe keine Zierpflanzen mag, schon gar nicht solche, die aussehen wie Kunstblumen, hatte  die Pflanze von Mitarbeitern zu irgendeinem halbrunden Geburtstag geschenkt bekommen, als Ergebnis einer der typischen Sammelaktionen, bei denen zumeist die Sekretärin oder eine Praktikantin losgeschickt wurden, versehen mit einer Sammelbüchse, einer ziemlich albernen Glückwunschkarte (schunzelt Ihr Chef gerne?), die jeder unterschreiben sollte/musste, der ein paar Euro zugeben sollte/musste/nicht wollte. Alle paar Wochen gab es immer wieder irgendeinen doofen Anlass, mal hatte jemand geheiratet, ein Kind Jugendweihe oder Ähnliches, und jedesmal ging Arbeitszeit darauf, wertvolle Arbeitszeit, die an anderer Stelle wieder fehlte. Der Beschenkte hatte die  doofe Blume samt Glückwunschkarte auf den eisenbegitterten Balkon vor die  Tür im ersten Geschoss gestellt. Neben den Aschenbecher, den die lieben Kollegen immer wieder überquellen ließen, der immer diesen einen feinen Geruch der Mittelmäßigkeit verströmte, aber nur in der Mittagspause wahrgenommen wurde, wenn er sich  unter den Geruch von Fleischsalat, aufgewärmtem Muttifraß  aus Tupperdosen vom Vortag, dem bestellten Dönerzeugs oder der Pizzabude gesellen durfte. „Das elende Gewächs wird schon das zeitliche segnen“, hatte sich Müller gedacht, aber irgendwer hatte das Ding dann doch wieder gegossen, vielleicht mit dem Rest vom Fleischsalat und der Starbucksplörre, und im Herbst hatten sie den Topf in das Büro der Registratur geholt,  neben den Kopierer ans Fenster gestellt.  Nicht kaputt zu kriegen das Gewächs, so wenig, wie die ewigen uralten Bürosprüche, die hundertmal kopiert an der Wand über der Kaffeemaschine hingen:“ Wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“. „Memes“, die  Schmunzelsprüche heißen jetzt „Memes“, Whatsappscheiße, so ewig, so langweilig, wie „Frau Merkel muss weg“. Mit dem Gedanken an die Zeitverschwendung ( dass eine Gesellschaft sich in solcherlei verliert) drückte Müller den Stummel seiner Zigarette durch den Rost in Richtung des gepflasterten Betriebshofes.   Die merkelige  Topfalsobplasteblume nahm hiervon nicht einmal Notiz. Müller hingegen musste aber feststellen (er unterlag seit seinem erfolgreichen Abschluss der 9. Klasse dem Zwang, immer etwas feststellen zu müssen; „zum wiederholten Male musste ich leider feststellen“, so begannen seine Notizen an die Mitarbeiter):  dass die verschissene Büro-Memespflanze zu blühen anhob. Abschätzig  besah sich Müller die zinnoberrote, plasteglänzige Blüte, und irgendein längst vergessener Spieltrieb verleitete ihn dazu, seinen Finger in die Blüte einzuführen. Er fühlte die glitschige Feuchtigkeit an seinem Fingerglied, es tropfte und fühlte sich sehr nass an. Müller wischte sich ab.

„Na, Müller, etwas Blümchensex in der Raucherpause?“ der Angesprochene errötete. Dass er sich ausgerechnet vor Geschäftsführer Dr. Anthes eine Blöße geben musste..

Es droht Fortsetzung im nächsten Heft, es sei denn, Ihr löst folgende Fragen:

  • Um welche Pflanze handelt es sich?
  • Wo stammt sie her?
  • Und was tropft da aus den Sexualdingsda?

Auflösung der letzten Wochenpflanze (Das geheimnisvolle Loch im Garten): Reis, Oryza sativa.

Agricola hatte immerhin Andeutungen gemacht: irgendwas mit Arsen hat die Pflanze zu tun, allerdings eher unfreiwillig. Es ging um eine der weltweit wichtigsten, und auch ziemlich alten Kulturpflanzen: schlichtem, einfachen Reis. Wir hatten gefragt, was der erfolglose Gärtner eigentlich alles falsch gemacht hat.

Dazu müssen wir etwas ausholen. Wir kennen alle diese Bilder, wie Reispflanzer im knietiefen Wasser stehen, und büschelweise Pflanzen im Schlamm versenken. Schon aus unseren Geographieschulbüchern wissen wir von den komplexen Dammsystemen, die selbst in den  den Steilhängen des Himalaya garantieren, dass die Pflanzen schön im Wasser stehen können. War es in unseren Experimenten also falsch, dem Reis zwar hin und wieder viel Wasser im Loch zu gönnen, das aber schon nach einer Stunde wieder trocken fiel?

Nicht unbedingt. Reis muss nicht ständig im Wasser stehen. Die Reispflanze Oryza sativa ist eine einkeimblättrige Pflanze, gehört zu den Poaceen (deshalb die Anspielung auf den Tippfehler im Text), also den Süßgräsern, wie viele Getreidearten auch. Sie stammt aus den wärmeren Regionen Ostasiens, eine Wildform von Oriza Sativa ist nicht bekannt, geht wahrscheinlich aus Züchtungen der Wildreisart  Oryza rufipogon zurück. Die Domestizierung geschah bereits vor 8200 Jahren in China. Von der Pflanze sind viele Zuchtformen und Untergruppen bekannt. Allen gemeinsam ist, dass sie Keine! richtigen Wasserpflanzen sind. Sie sind Wärme-liebend und haben einen hohen Wasserbedarf, aber nicht auf  stehendes Wasser angewiesen. Auch stehen Reisfelder nicht ständig unter Wasser, sondern nur, wenn die Pflanzen noch jung sind. Reis ist allerdings tolerant gegen Überschwemmungen, im Gegensatz zu vielen Unkräutern und Schädlingen, zu denen besonders auch Wühlmäuse gehören. Wenn die Bauern also Reisfelder unter Wasser setzen, rotten sie damit nur Unkraut aus und vertreiben Wühlmäuse (die zwar tauchen können, aber nicht unter Wasser zu leben in Stande sind).

Weil Reis es gerne warm und feucht hat, ist sein nördlichstes Anbaugebiet in Europa die Po-Ebene. Warum ist Hei-Wus Reisanbau denn nun gescheitert? An der fehlenden Wärme lag es diesen Sommer gewiss nicht, auch nicht an fehlendem Wasser, das unermüdlich den Weg aus der Saale in das Reisloch fand. Die Erkenntnis fand sich, als der Autor letzte Woche die letzte, kümmerliche, verblieben Pflanze aus dem Boden zog. Denn darunter verlief ein Wühlmausgang. Jämmerlich abgefressen waren die Wurzeln, der Wühler Helge hatte sich und seiner womöglichen Partnerin eine  regelrechte Graswurzelrevolution beschert: „Es gibt Reis, Baby“

Jetzt kommt die Pflanze mit den lädierten,angefressen Wurzeln in einen Topf, sie kommt Gnadenbrot auf der Fensterbank im Badezimmer, und nächstes Jahr, so der Sommer schon warm ist, darf sie wieder raus. Wollen wir doch mal sehen !

 

 

Was sollte Agricolas  Anmerkung mit dem Arsen? Reispflanzen lagern besonders gern Arsen aus dem Wasser ein.  Es liegt also in erster Linie an der meistens natürlichen Belastung des verwendeten Wasser, dass Reis in Einzelfällen bedenkliche Arsenmengen einlagert. Zu den Risikogebieten zählen insbesondere Indien, Bangladesch, Thailand und Vietnam. Allerdings fallen scheint die Arsenbelastung von Menschen in Regionen, die regelmäßig viel Reis verzehren, nicht unbedingt mehr durch Arsen-bedingte  Krankheitserscheinungen auf, als beispielsweise Mitteleuropäer.

 

In dieser seltenen historischen Aufnahme aus der Nachkriegszeit sieht man keinen geringeren als Hei-Wus Großvater, den späteren Staatspräsidenten Gim-Il-Wu den Älteren. Hier zeigt er seinem geliebten Volk, wie man amerikanischen Reis direkt aus dem Kochbeutel in die Erde bringt.

 

(HW)

 

 

 

 

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