Glaubenskrieg um Grünzeug auf Pizza: gehört das nun drauf oder nicht?

18. November 2019 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Liebevoll zupfte Anna die Blättchen sauber, die sie von den rosettenförmig wachsenden, jetzt Mitte November immer noch grünen Pflanzen geerntet hatte. „So richtig scharfen Frost gab es ja bislang nicht, also will ich sie noch nutzen, so langte es geht“, dachte sie sich.  Sie liebte dieses Kraut, dessen Samen ihr Antonio einst aus seiner toscanischen Heimat mitgebracht hatte – und den sie jedes Jahr immer wieder frühjahrs im Garten ausstreute. Zunächst trieben sie kleine Keimlinge, die wie die von Radieschen aussahen, dann kamen junge, ovale Blätter, es bildeten sich Rosetten, deren Blätter mit zunehmendem Alterungsprozess begannen, gelappte Formen auszubilden . Manchmal bildeten sich dann auch weißliche Blüten an der Pflanze, die sich zu schmalen Schoten entwickelten, die an hohen Stängeln standen und gelbliche Samen enthielten. Die samten sich wieder neu aus, und bald wuchs das Zeug in jeder Ecke des Gartens. Richtig winterhart war die Wärme liebende Pflanze indes nicht, und so war es ratsam, immer wieder ein paar Samen für das nächste Jahr aufzusammeln.

Antonio kam gerade recht, als sie die Pizza, die sie gerade frisch auf dem Ofen gezogen hatte, mit den Blättern belegte.

„Eine typisch deutsche Unsitte, meine Mama hat das immer verabscheut! schrie er. Wollt Ihr Deutschen das nicht lernen, das das Zeug nicht auf die Pizza gehört?“ In Küchenangelegenheiten war Antonio dogmatisch und nationalistisch zugleich. „Warum müsst Ihr all unsere Gerichte so mit blöden Zutaten verändern, dass man sie nicht mehr wiedererkennt? Mama mia!“

„Aber bei Salvatore um die Ecke machen sie das ganz genauso“, erwiderte Anna, leicht gekränkt. „Der hat keine Ahnung, der machte die Fraß, wie Deutsche den wollen“.

Du darfst die Blätter nicht heiß werden lassen, dann geht der ganze Geschmack kaputt, und riecht dann wie deutscher Kohl, sagte Antonio, und schnüffelte über die dampfende Pizza, auf deren Oberfläche sich nun tatsächlich die eins prall grünen Blätter qualvoll zu dunkelgrünen Massen kringelten. „Weißt Du warum? Wenn Du wartest, bis die Pizza kalt ist, kannst du die drauf legen, aber kalte Pizza schmeckt nicht.

Grünes Pesto für Pasta aus Ölivenöl, Blättern unserer Pflanze und Maronen

So schnell gab Anna aber nicht auf, obwohl ihre Laune in Erwartung einer ewigen ergebnislosen Küchendiskussion mit „Meine-Mama-hat-nie-gemacht“-Argumenten ohnehin gesunken war.  OK, ich beweise Dir das mit Google! Auf dem Laptop stellte sie die Google-Spracheinstellung auf italiensch, gab die gesuchte Pflanze und „Ricette“ (Rezepte) ein, und klickte dann auf „immagini“ (Bilder).

So etwa: https://www.google.com/search?q=pianta+ricette&client=firefox-b-d&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ved=0ahUKEwigg9Ocr-zlAhUJ4aQKHXTeDe8Q_AUIESgB&biw=1753&bih=907

Nur haben wir dummerweise haben wir den italienischen Namen der Pflanze nicht in den Link eingegeben. Wäre zu einfach gewesen.  Tip: der italienische Name hat sich als Handelsname bei uns eingebürgert, unsere gesuchte Pflanze kennen sogar die wenigsten mit der deutschen Bezeichnung.

Italienische Google-Suche: keine Pizza, aber viel Grün

Was brachte die Google-Bildersuche?  Eine Fülle von Gerichten, deren vorstechendes Farbmerkmal „grün“ war. Die Pflanze schien man offenbar gerne zu Pesto zu verarbeiten, den man über alle möglichen Speisen gab, vor allem Pasta. Salate waren auch zu sehen, gerne zusammen mit Käse. Gelegentlich wurden die Blättchen auch schon mal über fein angerichtete Braten gegeben oder mit Parmaschinken serviert. Antonio triumphierte, bis auf Seite drei eine Pizza mit Blättern und Parmaschinken auftauchte und  Antonio fluchte. „Die haben keine Ahnung“.

Er machte den Test mit der deutschen Spracheinstellung: siehe da, eine Pizza nach der anderen, üppig belegt mit den Blättern der Pflanze. Und sah man genau hin: es war nicht einmal die richtige Pflanze, sondern die Variante, die man in deutschen Supermärkten angeboten bekommt. Eine mit eher schärflich-kratzigem Geschmack, die sich aber gerne dort als die richtige, südeuropäische ausgibt. Verwirrt: die wilde, „Falsche“ hatten wir vor einiger Zeit schon einmal als Pflanze der Woche serviert.

Die „Richtige“ aber unterscheidet sich von der Falschen durch:

  • den angenehm „nussigen“Geschmack der Blätter und geringere Schärfe
  • weißer statt gelber Blüten
  • größere, weichere Blätter

Weshalb in den meisten Läden nur die „Falsche“angeboten wird? unsere gesuchte Pflanze beginnt sehr schnell nach der Ernte zu welken, und übersteht daher den Transport nicht bis in den Supermarkt.

Und wem der Geschmack der Blätter nicht überzeugt, dem mag vielleicht der Hinweis des griechischen Arztes Dioskurides (1. Jh n.Ch) überzeugen: „wird diese roh viel gegessen, so reizt sie zum Beischlaf, auch ihr Same bewirkt dasselbe“

  • Welche Pflanze suchen wir? (wissenschaftlicher Name, deutscher Name) ?
  • Die Samen haben es übrigens auch in sich: sie enthält ein fettes Öl, das man früher auch als -Brennöl in Lampen verwendete. Der Geschmack des Öls ist nicht besonders gut, ziemlich bitter, und es enthält eine Fettsäure, die zumindet in Mäuseversuchen als leberschädigend gilt. Die Fettsäure hat ihren Namen von der lateinischen Bezeichnung unserer gesuchten Pflanze erhalten. Wie heißt sie?
  • Allerdings ist diese Fettsäure Bestandteil eines bestimmten Öls, das  in der (Alternativ-)Medizin zur Behandlung einer seltenen, oftmals tödlich verlaufenden Stoffwechselerkrankung angepriesen wird. Wie nennt sich dieses Öl ? 

(HW)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche: („Gewürz für Blähboys und -girls“): Anis

Bei der gesuchten Pflanze handelte es sich um den Anis, Pimpinella anisum.

Umgangssprachlich heißt Anis auch Brotsamen, Runder Fenchel, Süßer Kümmel. Anis nahm seinen Weg vom Orient über das Mittelmeer nach Europa. Es macht sich gut in Lebkuchen, Honigkuchen, Ingwergebäck und Likör (Anisette). Fischgerichten und Gemüsen wie Rotkohl und Möhren gibt es ungewöhnliche Geschmacksnoten. Könnte man ja mal zum Weihnachtsfest ausprobieren.

(Hans Ferenz)

 

 

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