Aufgeschmissen in einer neuen Welt: und mit dem Latein total am Ende.

23. Oktober 2023 | Bild der Woche | 3 Kommentare

„Ich bin mit meinem Latein am Ende“, verzweifelte Heino. Latein hatte er mal gehabt an der Schule, aber dann abgewählt, weil die Noten immer weiter abrutschten. „Die Beschriftung dieser alten Karte verstehe ich nicht. Es soll etwas mit dem Namen der Pflanze zu tun haben, hat der Chef gesagt, und die Abbildung ist auch gerade aus der Grafik-Abteilung gekommen. Jetzt soll ich dazu was schreiben, aber ich habe keine Ahnung“.
„Die Karte sieht ziemlich alt aus, ich schätze mal, 17. Jahrhundert“? Versuchte sich Elfriede. „Gut geraten“ bemerkte Heino „1688“ stand im Dateinamen. „Mehr nicht“?
„Nein“.

„Lass mal sehn: Virginia“ kann ich schon mal lesen. Scheint also die heutige USA zu sein“. Elfriede kannte zwar auch kein Latein, aber warum nicht einfach mal googeln?  Sie gab als Nächstes „Nova Anglia“ ein: „klar, Neu-England, also halt die ersten englischen Kolonien der neuen Welt. Mit „Novum Belgium“ kamen Elfriede und Heino aber nicht klar. Die Suche führte zu Wikipedia – und zwar dummerweise auf die lateinische Ausgabe. „Novum Belgium, vel Nova Belgica fuit provincia colonica Reipublicae Nederlandensis quae in Ora Orientali Americae Septentrionalis  ..“. Na toll. Aber vielleicht war es eine Belgische Kolonie in der Neuen Welt? Die Franzosen hatten sich damals  ja schon Kanada unter den Nagel gerissen. Also dann „Neu-Belgien“.
„Elfriede, denk doch mal nach. Gab es da denn schon Belgien ?“
Besser-Wisser Heino grinste, als er in Elfriedes Gesicht schaute.
“ Eh… Stimmt, nee….“, musste sie zugeben.
Die Googel-Suche nach Neu-Belgien half jetzt auch nicht weiter.
„Als Ostbelgien oder Ostkantone (in den 1920er Jahren waren der Begriff Neubelgien und später noch Eupen-Malmedy geläufig) werden die zu Belgien gehörenden drei Kantone mit den Städten Eupen, Malmedy[1] und Sankt Vith bezeichnet.  “ schrieb die immer so schlaue Wikipedia.

Alles Quatsch“, befand Heino. „Ich erinnere mich dumpf, dass wir die ersten Zeilen von Caesars Gallischem Krieg auswendig lernen mussten. Ich kriegs nicht mehr zusammen, aber da waren Belgier erwähnt.“

„Jedenfalls – so kommen wir nicht weiter. Die Pflanze ist allerdings klar, auf jeden Fall ein Korbblüter. Und jetzt müssen wir nur noch die Art rauskriegen.“, grübete Heino.

Alles schwierig. Aber unsere Leser könne sicher aushelfen:

Um welchen Korbblüter handelt es sich da, der statt der Windrose auf der Karte abgebildet ist?

Wem gehörte Neu-Belgien, und wie kam es zu dieser Namensgebung?

Die Kolonialherren, denen übrigens Neu-Belgien bald wieder von den Engländern abgenommen worden ist, hatten noch eine andere Kolonie. Dort haben sie auch den Namen eines germanischen Stammes verwendet, den sie auch zu ihren Vorfahren zählten. Die Stadt liegt ziemlich weit am „anderen Ende der Welt“ und ist heute Hauptstadt eines sehr großen Landes. Es ist das Land mit der viertgrößten Bevölkerung auf der Welt. Wie heißt die Stadt heute, und nach welchem „Germanenstamm“ war sie benannt? (Unsere Pflanze kommt nicht dort her)

Zurück zu der Karte mit „Neu-Belgien“: Hier soll unsere Pflanze heimisch sein. Welches ist heute die größte Stadt in diesem Gebiet?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Tzschisch“): Fagus silvatica, Rotbuche.

Zugegeben, die letzte Pflanze war ncht einfach zu lösen, weil die Lösungswege über  viele Umleitungen führten – durch botanikfernes Gebiet, unsere Rätselfreunde wurden auf einen Ausflug in die Welt von Bauhaus, elementare Typografie bis hin zu Schuhleisten und Industriegeschichte geführt. „Schuster bleib bei Deinen Leisten“ soll Elfriede Heino nach Redaktionsschluss geschimpft haben.

Rati kam natürlich auf die Pflanze: wir suchten die Rotbuche, Fagus sylvatica. Und dass es um Bauhaus – Architektur ging, war ihm auch klar: Es war die Schuhleistenfabrik „Fagus-Werk“, eine Ikone der Bauhaus-Architektur, ausgeführt von Walter Gropius, dem Großneffen des damals berühmten Architekten Martin Gropius, der wiederum ein Schinkel-Schüler war (Gropius-Bau in Berlin). Es ist möglicherweise ein Glück, dass Walter Gropius aus einer so berühmten Architektur-Dynastie stammte, denn er hatte eigentlich ein Manko: er konnte überhaupt nicht zeichnen.  Nur auf Vermittlung eines Freundes (W. Osthaus) gelangte er in das Architekturbüro des auf Industriebauten spezialisierten  Peter Behrens , für den auch andere  berühmt gewordene Architekten gearbeitet hatten, unter anderem Ludwig Mies van der Rohe und Le Corbusier.

Das Fagus-Werk stellte aus Buche Schuhleisten her – und man tut es auch noch heute, aber nicht mehr aus Holz, sondern Kunststooff. Die Fabrik läuft immer noch, und gehört zum Weltkulturerbe. Es war das Erstlingswerk von Gropius. Viel zeichnen musste er dafür nicht.  Denn der Rohbau stand schon fast, auf der Grundlage der Pläne des Architekten  Eduard Werner.  Werners Pläne waren etwas komplexer, aber vieles ließ Gropius stehen – so etwa die bereits ausgeführten Pfeiler aus gelben Klinkern. Er bereinigte den konservativen Wernerschen Entwurf, fügte statt der Bögen und Fenster dazwischen eine vollverglaste Vorhangfassade aus – mit den typischen, nur aus Glas fassade bestehenden Ecklösungen. Das sollte später das Markenzeichen von Gropius werden, und auch des von ihm 1919 in Weimar gegründeten, 1925 nach Dessau umgezogenen Bauhauses.

Der Firmeneigenr der Faguswerke, Carl-August Bennscheid, war nicht nur moderner Architektur zugetan, sondern auch wollte seinem Corporate ID überhaupt ein neues Erscheinungsbild verleihen. Ihm wurde – möglicherweise über Gropius – der junge Maler und Garfiker Johannes Molzahn empfohlen, der mit seinen sehr schlichten, elementaren Entwürfen für Drucksachen ein Befürworter der von einigen Grafikern propagierten „Elementaren Typografie“ oder – wie deren Propagandist sie später nannte, „neuen Typografie“ war.
In dem berühmten „Manifest“ der „elementaren Typografie„, dem Sonderheft der „Typografischen Mitteilungen“, führte Jan („Iwan“) Tschichold des Heftes auch Johannes Molzahns Entwürfe für das Fagus-Werk an, und nennt ihn auch als Mitautor.

Zurück zu unserer Pflanze: In der Typografie geht es um „Buch“-staben. In wie weit sie etymologisch mit der Buche zusammenhängen, ist übrigens umstritten. Die Rotbuche (Fagus sylvatica)  ist ein bekannter Laubbaum. Die Rotbuche ist die einzige heimiche Buchenart in Mitteleuropa. Sie zeichnet sich durch ihre glatte, silbergraue Rinde und ihren Früchten, den so genannten Bucheckern,aus. Die Rotbuche spielt eine wichtige ökologische Rolle und wird in vielen Wäldern als dominante Baumart gefunden. Bucheckern sind essbar, aber sie sollten in Maßen und entsprechender  Zubereitung verzehrt werden. Roh können Bucheckern aufgrund ihres Tannin-Gehalts bitter und aufgrund des Alkaloids Fagin leicht giftig sein. Um sie genießbar zu machen, können sie geröstet oder gekocht werden. Die gerösteten Samen haben einen nussigen Geschmack.

Buchenzweig und Bucheckern von Fagus sylvatica

Alle anderen Pflanzen der Woche, seit 2016, findet Ihr hier im Archiv

 

 

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