Dolde mit fahler Pfahlwurzel

3. August 2020 | Bild der Woche | Ein Kommentar

„Bringt eine schwartze Wurzel, innwendig weiß, gibt gelben Saft, hat einen rauhen Stengel… Blühet mit einer weißen Kronen, eines lieblichen Geruchs.“ So beschreibt Adamus Lonicerus 1679 in seinem Kreüterbuch unsere unbekannte wild und völlig ungezähmt auf Wiesen und entlang von Wegrändern wachsende, zweijährige Pflanze. Sie gehört zu den Doldenblütern. Man könnte sie leicht verwechseln mit der Hundspetersilie, dem Taumel- Kälberkropf und dem gefleckten Schierling. Vorsicht! Diese Pflanzen sind sehr giftig. Ein eindeutiges Erkennungsmerkmal ist die dunkle Blüte in der Mitte der Dolde. Diese Kontrastfärbung zu den weißen zwittrigen Blüten hat auf potenzielle Bestäuber eine Signalwirkung. Durch diese auffällige, sich von den restlichen weißen Blüten stark abhebende dunkle Blüte täuscht die trickreiche Pflanze bereits vorhandene, offensichtlich mit dem Nektar- und Pollenangebot zufrieden Kundschaft vor. Bestäuber sind Insekten aller Art, besonders Käfer, Wanzen und Fliegen. Im ersten Jahr bildet die tiefwurzelnde Pflanze eine bodenständige Rosette mit mehrfach gefiederten Blättern aus. Im zweiten Jahr, etwa von Juni bis Oktober, erscheinen die auffälligen Blüten. Der vielstrahlige, doppeldoldige Blütenstand ist im voll aufgeblühten Zustand flach gewölbt. Bei Schlechtwetter, in der Nacht und zur Fruchtreife sind die hygroskopisch reagierenden Doldenstrahlen vogelnestartig zusammengeneigt. Die junge Pfahlwurzel ist essbar. In der Volksmedizin diente die Wurzel traditionell als Wurm- oder Stärkungsmittel. Der Wurzelbrei wurde unter anderem bei Verbrennungen und Hautentzündungen eingesetzt. Der „Vater der Botanik“, Hieronymus Bock (1498 –1554), empfahl die Pflanze bei Beschwerden an Milz, Nieren und Blase. Hilfreich ist  sie auch bei Verdauungsstörungen. Die leicht stopfende Wirkung beruht auf dem hohen Pektin-Gehalt und den mild bakteriostatisch wirkenden ätherischen Ölen.

Manche mutmaßen, das die schwarz-purpurn gefärbte Blüte in der Doldenmitte namensgebend war zu Zeiten als man sich über rassistische Ausdrucksweise noch keine Gedanken machte. Zutreffender dürfte sein, dass der Pflanzenname sich aus einem in verschiedenen frühen Sprachen ähnlichem Wort für Wurzel entwickelt hat.  Nach den Kartoffeln und Tomaten zählt die Zuchtform zu den beliebtesten Gemüsen. In Sachsen-Anhalt wurden 2019 davon über 66.000 Tonnen geerntet. Unsere Rätselpflanze ist eine der Stammeltern davon. Wie heißt unser karotinarmes Wildgewächs?

(Hans Ferenz)

 

Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Verirrungen der US-Amerikanischen Grillkultur): Eibisch, Althaea officinalis.

Unser Dauer-Ratefuchs „Rati“ kam gleich am Montag früh drauf: wir suchten den Eibisch, Althaea officinalis. Die zu der Familie der  Malvengewäche gehörende, ausdauernde Staude stammt aus den Steppengebieten Südrusslands und Kasachstans bis hin zum Altai. Ihr Name leitet sich aber nicht von dem Gebirge her, sondern wohl vom Altgriechischen „ἀλϑαία“ (Althäa) her, was so viel wie die „Heilende“ ( άλθω =heilen).  Der gebräuchlichere griechische Name war aber „Ibiskos“, und davon stammt das deutsche Wort „Eibisch“ ebenso ab wie das Wort „Hibiskus“ für den verwandten Zierstrauch.  Die ersten Ackerbauern haben die Pflanze wohl nach Mitteleuropa verschleppt. Sie ist sehr feuchtigkeitsliebend und salzverträglich, weshalb sie sich besonders im Marschland der Küstengebiet Mitteleuropas ausbreitete: „Marsh-Mallow“ – die Marschmalve.

Die „heilsame“ Wirkung der Pflanze beruht auf einem gehörigen Gehalt an Schleimstoffen, die in den Blättern und den Wurzeln enthalten sind. Der Schleim lindert Magenbeschwerden, aber auch Husten. Schlichtweg ist er überall da nützlich, wo er sich als Schutzschicht über die Schleimhäute legen kann.  In den Apotheken der frühen Neuzeit kombinierte man heilende Pflanzenextrakte gerne mit  Zucker oder Honig – so wurde der unangenehme Geschmack gelindert, und manche Arznei wurde dadurch so attraktiv, dass sie sich als Leckerei verselbstständigte. Auf diesem Weg fanden dann etliche Apothekerzubereitungen den Weg ins Angebot der Zuckerbäcker. Das war bei der Lakritze so, aber auch mit dem Eibischsirup. In einem Rezeptbuch aus dem Jahre 1805 heißt es, man solle Eibischschleim mit Zucker und Gummi arabikum zu einem dicken Sirup verkochen, dann vermischte man das mit frisch aufgeschlagenem Hühnereiweis und trocknete den stabilen Schaum im Ofen. Aromatisiert wurde mit „ätherischem Wasser“, also Aromadestillate wie beispielsweise Rosenwasser, Orangen- oder Bittermandelwasser.

Aus: D. Ludwig Vogel, Formel- oder Recept-Lexicon, Erfurt 1805, Band II

Heraus kam eine fluffig-süße, speckige Masse, die in den Apotheken als „Brustleder“ verkauft wurde. Das Rezept stammt wohl ursprünglich aus Frankreich, wo es „Pate de Guimauve“ genannt wurde. Heute werden Marshmallows nicht mehr aus Eibisch hergestellt, das wäre zu aufwendig. Statt des Pflanzenschleims nimmt man nun ein tierisches Abfallprodukt aus den Schlachthöfen: Gelatine, meistens vom Schwein. Damit sind Marshmallows weder helal, koscher noch vegan. Aber natürlich gibt es Abhilfe: Haribo bietet bereits Helal-Marshmallows auf Rindergelatine-Basis an.

Nicht mal Veganer müssen zurückstecken: mehrere Hersteller bieten vegane Mallows an. Die Zutatenliste liest sich etwa so: Glukose-Fruktose-Sirup, Zucker, Dextrose, Geliermittel: Carrageen, Maisstärke, hydrolysiertes Sojaprotein, natürliches Vanillearoma, natürliches Erdbeeraroma, Stabilisator: Polyphosphate, Farbstoffe: E162, E171.

 

Hier gibt es sogar ein Rezept, das ohne E-Nummern auskommt. Statt Eiweiß nimmt man das Abtropfwasser von Kichererbsen. Aber der Eibisch fehlt auch hier. Welch bedauerlich verlorenes Wissen.

Eibisch im Klostergarten von Jerichow (Altmark, Sachsen-Anhalt)

Eibisch im Klostergarten von Jerichow (Altmark, Sachsen-Anhalt)

Wir hatten ja noch nach weiteren Gemüse-und Nutzpflanzen aus der Familie der Malvengewächse gefragt. Neben Okraschoten (die ja, gekocht, auch eine ziemlich schleimige Angelegenheit darstellen) nannte uns Rati auch noch den Affenbrotbaum und die Kakaopflanze. Erstaunlich, es stimmt, wir selbst wären gar nicht darauf gekommen.

Karrikatur auf ein Hustenmittel aus Schneckenschleim (C. Jacque, 18449

Alle bisher (seit 2016) erschienenen Wochenpflanzen findet man auch hier im Archiv:

Archiv: alle „Pflanzen der Woche“ von 2016-2020

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