Das Kraut des Wassilis

27. Mai 2024 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Bruder Wassilios hatte es immer schon geahnt: Apicio, diesen Novizen, der aus dem italienischen Neapel zu ihnen gekommen war, um die Riten der griechischen Orthodoxie kennenzulernen, hätte man nicht im Kloster aufnehmen sollen. Zwar machte er sich als Hilfe in der Küche ganz gut, aber einige Dinge, die er aus der neapolitanischen Küche mitgebracht hatte, erschienen den rechtgläubigen Klosterbrüdern gefährlich, bedenklich oder gar giftig. Die roten Früchte, die er im Ofen auf die Pita gegeben hatte, galten doch bislang als schädlich. Doch das Schlimmste, ein wirkliches Sakrileg war, die Kräuter aus den Töpfen, die sie vor ihrer Basilika aufgestellt und geweiht hatten, damit man sich während der Liturgie damit besprenge, abzuschneiden und als Krönung darauf zu tun. Den Rest der Pflanze hatte er auch noch mit Käse und Öl zerstampft und die giftgrüne Paste „Mörsergericht“ genannt. Man erinnerte sich noch mit Schrecken, als zu Mitternacht aus dem derart verstümmelten Pflanztopf plötzlich unheimliche Würmer hervortraten, Skorpione hervorschossen, bis endlich jene hahnenkrallige, unheilvolle Drachenschlange erschien. Ihr stinkender Atem war unerträglich und sie hatten sie nur unschädlich machen können, indem sie der Bestie einen Metallspiegel vorhielten: so kehrte sich der tödliche Blick gegen sie selbst. Dabei hatten doch schon die alten Gelehrten gewusst, dass dieses Gewächs den Menschen in der Nahrung schade, dass es den Augen, dem Magen, sogar dem Urin schade. Und wenn man das Kraut unter einen Stein lege, entstünden dort giftige Skorpione: das konnte man alles nachlesen. Segensreich wird das Kraut nur in der Hand des Priesters, um damit die Gläubigen zu segnen – es ist ein mächtiges Zauberkraut, das aber keinesfalls ins Essen gehört. Ein wahres Pharmakon, ein Königskraut. Und richtig: in dem Buch des antiken griechischen Kochs, der bei Kaiser Nero im Dienste war, kam das Kraut nicht ins Essen. Warum nur hielt man sich heute nicht mehr an die Regeln der Alten?
Eine merkwürdige Geschichte mal wieder. Aber tatsächlich reden wir von einer Pflanze, die aus der italienischen Küche nicht wegzudenken ist. Es ist ein Gewächs, an dessen Gebrauch die römische Reichsteilung noch nachvollziehbar ist: im oströmischen Reich kommt sie nicht ans Essen, nicht in Athen, in Istanbul und Palmyra allenfalls gelegentlich.

• Um welche Pflanze geht es hier?
• Was ist dieser Apicio für ein Koch?
• Was ist das für eine „Mörserspeise“?
• Mehrfach taucht im Text ein König auf. Wo?
• Am 11. Juni 1889 fand ein Ereignis statt, bei dem unsere Pflanze eine entscheidende Rolle spielte. Welches?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Blüchensex im Regen aus heiterem Himmel): Wetteranzeigendes Drehmoos, Funaria hygrometrica.

User Agricola hat mit seinen Bemerkungen vorsichtig angedeutet: wir suchten das Wetteranzeigende Drehmoos. Es ist ein sehr kleines, unscheinbares Pflänzchen, kaum mehr als 2 cm hoch. Die Moosart ist besonders erkennbar an ihren langen, gedrehten Sporenkapseln (Sporophyten), die an dünnen Stielen (Setae) hängen. Diese Kapseln vollführen eine hygroskopische Bewegung, was bedeutet, dass sie sich bei Feuchtigkeitsänderungen verdrehen.
Wie bei allen Moosen ist das, was wir sehen, der „haploide Gametophyt“. Der Körper der Pflanze trägt also nur den halben Chromosomensatz. Anders als bei Blütenpflanzen, wo die Pflanze einen doppelten Chromosomensatz trägt, und nur der Pollen und die Eizellen haploid sind. Diese bringen dann Eizellen und Spermazellen hervor. Und die sind auf Nässe angewiesen: nur so können sie losschwimmen und die Eizellen befruchten. Daraus entsteht auf der Moospflanze ein diploider Körperteil, die Sporenkapsel. Dort wiederum entstehen haploide Sporen, die durch die ruckartigen Bewegungen bei Feuchtewechsel verbreitet werden. Das unscheinbare Drehmoos ist eine typische Pionierpflanze, die schnell auf gestörten Böden und Flächen wächst, oft bevor andere Pflanzen sich ansiedeln können. Weil sie sich gerne auf Brandstellen ansiedelt, heißt sie im Englischen auch „Bonfire Moss“, „Lagerfeuermoos“.

Lagerfeuermoos, Wetternzeigendes Drehmoos

Was hatte es mit dem merkwürdigen Regen auf sich? Nein, der Regen stammt nicht von Blattläusen, sondern von der Weidenschaumzikade (Aphrophora salicina). Das Insekt ist etwa 10-12 mm lang, braun bis grau gefärbt und hat eine charakteristische Sprungkraft. Es bevorzugt Weiden als Wirtspflanzen. Die Weibchen legen ihre Eier in die Rinde oder die Blätter von Weiden. Nach dem Schlüpfen leben die Larven in selbst erzeugtem Schaum, der sie vor Austrocknung und Feinden schützt. Der scheinbare „Regen“ aus Weiden entsteht durch die Ausscheidungen der Weidenschaumzikadenlarven. Die Larven saugen Pflanzensaft aus den Weiden und scheiden überschüssige Flüssigkeit aus. Diese Ausscheidungen, zusammen mit dem schützenden Schaum, tropfen von den Bäumen herab. Bei starkem Befall kann es zu einer so großen Menge an Ausscheidungen kommen, dass sich richtige Pfützen bilden.

Alle seit 2016 vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr hier im Archiv.

 

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