Wenn das letzte Blatt von der Rolle ist: wie ein Leben ohne Klopapier funktioniert

5. April 2020 | Soziales | 6 Kommentare

Die Vorräte neigen sich dem Ende zu. Die immer verzweifelteren Durchsuchungsaktionen in Halles Supermärkten ergebnislos abgebrochen. Zehn Läden täglich nach dem weißen Gold abzuklappern, kommt jetzt nicht mehr in Frage. Das geht auf die Zeit, die Lebensqualität und könnte bei der Ansteckungsgefahr obendrein lebensgefährlich sein.

Ein Blick zurück zeigt uns: 99,999% der Menschheitsgeschichte war Klopapier nicht Bestandteil der Zivilisation. Und diese Menschen müssen das überlebt haben – sonst gäbe es uns heute nicht.

Variante 1: Reinigung per Hand

Das einzige Körperteil des Menschen (und der meisten Primaten) , das den After mühelos erreicht, ist die Hand. Und so wird man davon ausgehen dürfen, dass die Hand – ob nun mit Blättern, Moos oder Ähnlichem bewaffnet, oder blank, den größten Teil unserer Vergangenheit dazu gedient hatte, den Hintern sauber zu halten. Eine abschließende Handreinigung in feuchtem Gras, einer Wasserpfütze oder Ähnlichem dürfte die Prozedur abgeschlossen haben. Unmöglich, finden Sie? Nein.

Wer heutzutage im islamischen Raum oder in Indien unterwegs ist, sieht sich oft verzweifelt nach der gewohnten Rolle Toilettenpapier um. Stattdessen steht da ein kleines Plastikkännchen mit Wasser herum. Nein, das hat kein Kind beim Spielen hier vergessen. Gießen Sie, das Kännchen in der Rechten haltend, sich etwas Wasser über die linke Hand, und los geht die Reinigung (Weshalb es im islamischen Raum verpönt ist, sich mit der linken Hand zu begrüßen, oder gar mit der Linken ins Essen zu langen, ist klar. Das liest man in allen Reiseführern und Ratgeberseiten). Das papierlose Klo dürfte, weitern Klopi-Mangel vorausgesetzt, sich schneller durchsetzen als das papierlose Büro. Das finden Sie jetzt unhygienisch? Ist Ihnen denn beim Abwischen nie das Papier gerissen? Und was haben Sie dann getan? Genau. Die Hände gewaschen. Problem gelöst.

 

Pestwurz, Pestasites officinalis (Pixabay, Logga Wiggler)Aber es sind auch Hilfsmittel zum Abwischen archäologisch überliefert. In den bronzezeitlichen Funden aus dem Salzbergwerk Hallstatt konnten Pestwurzblätter nachgewiesen werden, die von den Bergleuten zum Abwischen benutzt wurden. Pestwurz kommt oft an Bachläufen vor und zeichnet sich durch große, flauschig behaarte, Rhabarber ähnliche Blätter aus. In Bayern nennt man sie heute noch „Arschwurzen“.

Aus dem Mittelalter sind auch Hilfsmittel wie Stoffflicken und Lappen belegt, die man wohl ähnlich eines Waschlappens benutzte. In mittelalterlichen Latrinen finden Archäologen diese Reste regelmäßig. Als Erfinder richtigen Toilettenpapiers gelten die Chinesen, literarisch ist es bereits im 6. Jhdt belegt. Es galt jedoch als Luxusartikel (wie heutzutage in der Coronakrise).

Die wohl skurrilste Methode der Gesäßreinigung kann man im Nachbau der „Batavia“, einem niederländischen Segelschiff des 17. Jahrhunderts, bewundern. Vom dortigen Abort hing ein Seil herunter, dessen pinselförmig aufgespleistes Ende in das Seewasser tauchte. Bei Bedarf holte man sich das so genannte „Allemannsend“ hoch, und ließ es nach erfolgter Reinigungsprozedur wieder zurück ins Wasser tauchen.

In Europa wurde erst mit der massenhaften Verbreitung der Zeitung auch Papier in nennenswertem Umfange auf den Aborten benutzt.  Spezielles hergestelltes  Toilettenpapier gibt es erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, zuerst in den angelsächsischen Ländern. In Deutschland waren es um 1888 die Eisenwerke Gaggenau, die zu ihren Rollenhaltern auch die passenden Klorollen produzierten und vermarkteten.

Nach und nach wurden spezielle Papiermischungen und Verarbeitungstechniken entwickelt. Das heute meistverkaufte, weiche „Tissue“papier gibt es seit den 1950er Jahren. Alle speziell als Toilettenpapier gefertigten Klopapiere weisen zudem noch eine  Besonderheit aus, die sie von ähnlichen Zellstoffware unterscheidet: sie zerfallen schnell im Wasser. Andere Papiere, beispielsweise die heute gerne als Ersatz gekauften Küchenrollen, tun genau das nicht. Sie sind mit speziellen Kunstharze und Fasern versehen, dass sie beim Gebrauch in der Küche nicht gleich zu Brei werden. Damit hat nun leider zunehmend die Abwasserwirtschaft zu kämpfen. Das Zeug bildet zähe Pfropfen, die die Leitungen verstopfen, oft schlängeln sich hunderte Meter lange Zöpfe aus Papierresten in den Leitungen, bis sie ganz dicht sind.

Tip 2: Benutztes Küchenpapier nicht ins Klo werfen, sondern in den Müll.

Deshalb noch ein Rat: Wenn es denn wirklich die Küchenrolle sein muss, dann werfen Sie ihre gebrauchten Tücher NICHT in die Toilette. Wer von Ihnen schon einmal in Griechenland war, hat vielleicht die Schilder entdeckt, auf denen Touristen gebeten werden, das Papier nicht ins Klo zu werfen. Das ist keine Marotte, sondern hat etwas mit dem dortigen Abwassersystem zu tun. Alle griechischen Haushalte, bis in die obersten sozialen Schichten, haben dafür neben dem Klo einen kleinen Plaste- oder Metallmülleimer mit Deckel stehen. Drinnen befindet sich ein Müllbeutel, da kommt das gebrauchte Klopapier rein. Ein Tip zum Nachmachen, wenn man tatsächlich zu Alternativen für unser geliebtes, weiches Klopi greifen muss.

Tip 3, exklusive Variante für die Zukunft: Das Bidet

La toilette intime von Louis-Léopold Boilly (1761–1845)

Franzosen und Italiener verstehen oft nicht die deutschen Klopapier-Hamsterkäufe. Dass sie andere Dinge horten, ist zur Zeit Gegenstand vieler umlaufender Whatsapp-Späße. In Italien und Frankreich gehört das so genannte Bidet zur sanitären Grundausstattung in heimischen Bädern und Toiletten. In Frankreich gibt es dieses Sanitärmöbel bereits seit Anfang des 18. Jahrhunderts.

Es ist ein zumeist in Hockhöhe angebrachtes Becken, in das Wasser ein- und wieder augelassen werden kann. Viele sind zudem noch mit einer kleinen Brause ausgestattet. Es dient zum Reinigen des Hintern, aber auch zur Reinigung der Genitalien. Laut einer französischen Umfrage von 1995 wird das Bidet in Europa in Italien am häufigsten genutzt (97 %), gefolgt von Portugal an zweiter Stelle (92 %) und Frankreich an dritter Stelle (42 %). Am seltensten wird das Bidet in Deutschland (6 %) und Großbritannien (3 %) genutzt. Ob die Corona-Krise dazu führen wird, dass die deutsche Sanitärlandschaft eines Tages um ein Ausstattungsstück reicher wird?

In dem Sinne: Bleiben Sie gesund! Und Sauber.

 

 

 

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