Er hätte mit seinem Pera-Ensemble den Händelpreis verdient: Mehmet C. Yeşilçay

1. Juni 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

Der Zuschauerraum der Konzerthalle Ulrichkirche ist nahezu bis auf den letzten Platz besetzt, es sammeln sich langsam die Musiker, und neben bekannten Instrumenten der Barockmusik hatten sie  einige merkwürdige Instrumente dabei, die man in der Welt der europäischen Barockmusik üblicherweise nicht sieht: sonderbar geformte Blasinstrumente, Saiteninstrumente der allermerkwürdigsten Form und Größe. Zwei Chöre, der Kammerchor des Universitätschors Halle, und die Marktkantorei Halle, nehmen im hinteren Bühnenbereich Aufstellung. Vorne rechts nimmt der zukünftige Star des Abends bescheiden Platz, Mehmet C. Yeşilçay, mit seiner Ud, einer orientalischen Kurzhalslaute. Man möchte den stiernackigen, im legerem schwarzen Hemd  gekleideten Musiker  äußerlich für eine Edelausgabe des bekannten Satirikers Serdar Somuncu halten – weit gefehlt. In der Folge des Abends werden wir ein sowohl feinfühliges als auch feingeistiges Feuerwerk erleben, das Yeşilçay vollkommen untheatralisch, mit leisen Blicken und den Bewegungen seiner Ud von der Ecke der Bühne aus dirigieren wird. Yeşilçay ist Gründer und Leiter des mittlerweile bekannten und unter Insidern als Delikatesse hoch geschätzten Pera-Ensembles. Die türkisch – deutsche Musikergruppe, die sich der Aufführung klassischer- höfischer Musik des Orients und der Sufi-Musik ebenso verschrieben hat wie der europäischen Barockmusik, war in den vergangen Jahren schon mehrfach bei den Händelfestspielen zu Gast, immer gefeiert, aber immer am Rande, Beiwerk, so traten sie mal im Löwengebäude auf, oder in der Leopoldina. Für Festspielbesucher waren sie immer ein Geheimtip. „Pera“ ist übrigens Programm: es ist ein Statteil von Istanbul/Konstantinopel, in dem lange Zeit die christliche, jüdische und osmanische Elite lebte, und bis zur kleinasiatischen Katastrophe der Inbegriff friedlicher Koexistenz der Kulturen im osmanischen Reich war.

Mehmet C. Yehilcay

Yeşilçay, in Istanbul geboren, seit seiner Kindheit in München aufgewachsen, studierte neben Musiktheorie bei seinem Onkel das Lauteninstrument Ud und die geistliche Musik der Sufi, und ganz nebenbei Wirtschaftsingenieurwissenschaften in München, letzere schloss er als Diplomingenieur ab. Das muss man erwähnen, wenn man ahnen will, welche breit angelegten Fähigkeiten ein Genie in Stande versetzen, auf den meistens hochkarätigen Händelfestspielen alles bislang dagewesene in den Schatten zu stellen – und das mit einer spielerischen Leichtigkeit und Bescheidenheit, die Ihresgleichen sucht.

One God

Worum ging es in der Aufführung eigentlich? Im Festspielprogramm heißt es nüchtern: „Ein interreligiöses Projekt der abrahamitischen Weltreligionen. Musik aus dem Judentum, Christentum und Islam vom Mittelalter bis zum Barock“. Wer nun denkt, hier habe  zeitgeistiges Gutmenschentum Pate gestanden, es würde also der wohlgefällige Versuch unternommen, Festspielgemeinde mit gefälligen, kulturrelativistischen Credi wie „wir glauben doch alle an den selben Gott“ gegen den hässlichen Zeitgeist außerhalb der Konzerthalle einzufideln,  geht vollkommen fehl.

Der Musiker betont in seinen kurzen Erläuterungen, dass der Mittelmeerraum, insbesondere natürlich die kleinasiatische Küstenregion und Istanbul, jahrhunderte lang, besonders zur Zeit der europäischen Renaissance und Barock,  ein Zentrum kulturellen und religiösen Austauschs gewesen sei, der bis hin zu neuen kulturellen Synthesen geführt habe. Lange Zeit haben dort  unterschiedliche ethnische, aber auch religiösen Gruppen miteinander gelebt, sich auseinandergesetzt („ja, man hat sich natürlich dabei natürlich auch schon mal umgebracht“, sagt er unter Gelächter des Publikums)  und sich kulturell befruchtet, was auch  in der Musik Niederschlag gefunden habe. „Leider sind seit etwa hundert Jahren andere Kräfte am Spiel, die das nicht mehr möchten“).

Für die friedliche gegenseitige Inspiration der Religionen und der Kunst  im Osmanischen Reich gibt es,  allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, mannigfaltige Belege. Ein uns weitgehend unbekannter musikalischer Kronzeuge ist der Komponist Wojciech Bobowski, der sich später Ali Ufki nannte. Sein Werk stellt Yeşilçay in die Mitte seiner Inszenierung.  Denn dieser Komponist war eine ebenso schillernde Figur wie Yeşilçay.

Bobowski, ein junger, hugenottischer Adliger aus Polen mit von hoher musikalischer Begabung, geriet bei einem Überfall von Taren als Sklave 1634 an den Hof des Sultans in Konstantinopel. Dort fielen dem Sultan die mannigfaltigen Begabungen auf. Bobowski machte Karriere als Hofmusiker, studierte religiöse Schriften, komponierte und beherrschte zuletzt 17 Sprachen.  Bobovski, der später zum Islam konvertierte und sich dann Ali Ufki nannte, beschäftigte sich intensiv mit der Musik seiner neuen Heimat, und hier insbesondere die geistliche Lieder der Sufi. Er versuchte sich in einer Synthese der Kulturen, komponierte beispielsweise die Psalter Davids 1-14, die am Hofe des Sultans auf großes Gefallen stießen. Dass es sich da um jüdische Texte handelte, war vollkommen egal. Ali Ufki starb 1675 in Konstantinopel, und hinterließ ein umfangreiches Werk an Kopmpositionen, eine türkische Bibelübersetzung, und eine türkisch-lateinische Grammatik.

Topkapi Saray, Istanbul (Sultanspalast)

Die Aufführung „one God“

Das Programm reichte von Sufi-Gesängen (geistliche Gesänge der dem Mystizismus zugewadten Derwische), christlich-katholischen Mariengesängen, hebräischen Synagogenliedern, psalmen Davids (natürlich Bobowski), dem „Stabat Mater“, protestantischen Kantaten, und natürlich Händel.

Ibrahim Suat Erbay

Eine Aneinanderreihung, bei der verschiedene Stile wahllos aufeinander prallen?  im Gegenteil. Es liegt natürlich an der starken musikalischen Bearbeitung Yesilcays, dass kein wildes Potpouri entstand,  sondern eine harmonische Aufführung, in der die unterschiedlichen Stile im Sinne einer „interpretatio turcica“ zu einer wundersamen Einheit zusammenflossen. Eine wundersam bezaubernde Synthese, in der Sufi-Gesang, händelscher Barock und hebräische Fröhlichkeit zu einem einzigartigen Bouquett  von weltlicher und transzendenter Aura zusammenfloss. „Geistliche Musik muss Spass machen“, sagt der Komponist, und wie recht er hat, demonstriert die isralische Soloistin Michal Elia Kamal besonders mit ihrem mitreissenden jemenitisch- hebräischem Halleluja – hier klatschte dann sogar der Saal mit.
Überhaupt die Solisten. Unangefochtener Star war natürlich Michal Kamal, aber auch die deutsche Sopranistin Katja Stuber, die über ein breites Repertoire von spätmittelalterlichen Gesängen bis  barocken Kantaten verfügt. Ibrahim Suat Erbay trug seine Sufigesänge derart melancholisch vor, dass man fast hätte mitweinen mögen – vielleicht auch, weil man nicht verstand, dass sein Kostüm etwas an einen vergessen Friseurumhang erinnerte. Ihm ihm ebenbütig: Ahmet Calisir (ebenfalls Sufi-Gesang)

Michal Elia Kamal

Eine Überraschung waren natürlich auch die Hallischen Chöre – sie schienen scheinbar nicht nur türkisch und hebräisch zu beherrschen – sondern hatten sich in der Vorbereitungszeit, die ja nicht viel Zeit für gemeinsame Proben mit dem Münchner Pera-Enseble aufwenden konnten, auch auf die mitunter fremde Gesangstechnik eingspielt – einstudiert wurden sie von Jens Lorenz und Irénée Peyrot.

Dass das Pubklikum nach über zweieinhalb Stunden und dem obligaten „Händel-Hallelujah“ begeistert und frenetisch applaudierte , war unvermeidlich, und zurück bleibt ein Rezensent, der sich fragt, ob Mehmet C. Yeşilçay mit seinem Pera-Ensemble nicht ein würdiger Träger des Händelpreises wäre. Es muss ja nicht dieses Jahr sein, da ist er ja schon vergeben, aber nächstes Jahr: Das wäre angemessen.

 

(Händelfestspiele: One god, Mittwoch, 31. Mai 2017, 19:30 h, Konzerthalle Ulrichskirche)

 

 


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