Zum 35. Jubiläum der Städtepartnerschaft Karlsruhe – Halle

11. Mai 2022 | Politik | Keine Kommentare

Die Partnerschaften zwischen Städten der DDR und der Bundesrepublik entstanden Ende der DDR und blieben bis Ende 1989 auf die Entsendung von handverlesenen Funktionsträgern der DDR beschränkt.

Über die Partnerschaft erfuhren die Hallenser damals aus der Zeitung. Das SED-Bezirksorgan „Freiheit“ berichtete erstmals am 30.5.1987, etwa ein Jahr nach den Badischen Neuesten Nachrichten, unter der Überschrift „Städtepartnerschaft Halle-Karlsruhe ist paraphiert“ (Bezirksseite) und „Verantwortung für Sicherung des Friedens bekräftigt – Erklärung der Delegationen von Halle und Karlsruhe“ (Lokalseite). In Auszügen veröffentlichte die „Freiheit“ darin die Gemeinsame Erklärung beider Oberbürgermeister, die in wesentlichen Punkten den Inhalten des Vertrages entsprach. Die Leser konnten erfahren, was die Städtepartnerschaft ausmachen sollte: Begegnungen und Kontakte zwischen Bürgern beider Städte, Dialog und Meinungsaustausch, Ausstellungen und Dokumentationen. Man versprach „beide Städte wollen dafür sorgen, dass gesellschaftliche Organisationen und Gruppen im Gemeinschaftsleben, Bürgerinnen und Bürger aller Herkunft und Tätigkeit, z.B. Abgeordnete und Stadträte, Arbeiter und Angestellte und auch Jugendliche, Gelegenheit zum Austausch haben.“ Dabei erwartete wohl kaum ein Hallenser, dass nun breite Bevölkerungsmassen die Gelegenheit haben würden, an einer Karlsruhefahrt teilnehmen zu können.

Einige Bürger veranlasste diese Ankündigung dennoch dazu, Eingaben an den Oberbürgermeister der Stadt Halle zu richten, um zu erfahren, wie man sich an der Städtepartnerschaft beteiligen könne.
Die für den Umgang von DDR-Behörden mit ihren Bürgen beispielhafte Antwort des Oberbürgermeisters an eine der Eingabenverfasserinnen, Dorothea Stolle, war sehr allgemein gehalten, wies aber daraufhin, dass Städtepartnerschaften „weder völkerrechtlich verbindliche Verträge zwischen den Staaten ersetzen, noch zentrale Bestimmungen eines souveränen Staates außer Kraft setzen“ außerdem seien der Bürgerin „die in der Deutschen Demokratischen Republik gültigen Bestimmungen über die Ein- und Ausreise“ bekannt.
Und auf das Angebot eines halleschen Bildjournalisten, der der Stadt Halle Fotos von Karlsruhe für eine Ausstellung im Ratshof anbot, teilte der Oberbürgermeister mit, dass die Stadt genug eigenes Bildmaterial für eine Ausstellung habe, obwohl, wie heute bekannt ist, eine solche natürlich nicht in Vorbereitung war.

In Halle engagierte sich die Ökologische Arbeitsgruppe (ÖAG), eine unter dem Dach der Kirche aktive Gruppe, in vielfältiger Weise für die Öffnung der Städtepartnerschaft.

Weil der Städtepartnerschaftsvertrag Halle – Karlsruhe für Hallenser nicht öffentlich einsehbar war, wandte sich deren Mitglied Matthias Waschitschka an die Stadt. Nach längerem hin und her durfte er dann das Dokument im Rathaus einsehen.

Die staatlichen Stellen wussten jedoch nicht, dass die ÖAG sich den Vertragstext über westdeutsche Freunde in Karlsruhe bereits besorgt hatte. Die ÖAG veröffentlichte den Vertragstext daraufhin in ihrer Samisdat-Zeitschrift „Blattwerk“.

Eine Ausstellung über Karlsruhe fertigte die ÖAG ebenfalls an – im Wohnzimmer von Wolfgang Schuster und seiner gestalterisch begabten Frau Margret. Mit über verschlungenen Wegen von der Gruppe besorgtem Material aus Westdeutschland wurden die Ausstellungstafeln gefüllt. Am 2.6. 1989 wurde die Ausstellung in der Georgenkirche eröffnet (siehe Fotos, deren Autor immer noch unbekannt ist!).

In der Samisdat-Zeitschrift Blattwerk 5/1989 war dann zu lesen: „Auf 18 Informationstafeln wurden den Hallensern Karlsruhe und Umgebung sowie etliche Kultur- und Umweltprobleme veranschaulicht. Nicht alles von dem reichhaltigen Bild- und Textmaterial, das Karlsruher Bürger beigesteuert hatten, war – vielleicht nur nicht rechtzeitig? – angekommen, aber immer noch genug, um während der Ausstellungseröffnung Karlsruher Plakate auch versteigern zu können.“

Nebenbei gab es eine Getränkebar, Live-Musik und viele Gespräche. Ausgehängte Presseprodukte, die in der der DDR nur schwer zu bekommen waren, waren stets dicht umlagert. Groß ausgehängt hatte man auch den Städtepartnerschaftsvertrag und den Vorhabenplan für 1988.

Ein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit berichtete anschließend dem MfS über einen in der Ausstellung angebrachten Artikel aus der „Freiheit“, der Aussage für Aussage widerlegt wurde. Unter der Überschrift „In Karlsruhe war für mich Schluss“ hatte die „Freiheit“ über einen Hettstedter Bürger berichtet, der nach Karlsruhe ausgereist, allerdings nach kurzer Zeit zurückgekehrt war, weil er die dort vorgefundenen Lebensbedingungen für nicht ausreichend hielt. Er beklagte hohe Lebenshaltungskosten, etwa dass eine Hose 170 DM kosten würde, das billigste Steak 14,50 DM und dass er außerdem weder Wohnung noch Arbeit finden konnte. Mit Hilfe von Modejournalseiten aus westdeutschen Katalogen, einer Speisekarte aus einem Restaurant in Karlsruhe, sowie einer Seite mit Stellen- und Wohnungsannoncen strafte man den Artikel lügen. Und natürlich ging es dabei weniger um die Städtepartnerschaft. Auch das MfS hatte erkannt „dadurch soll zum Ausdruck kommen, dass der `Freiheit`-Artikel nicht den Tatsachen entspricht“.

Die Ausstellung wanderte nach 14 Tagen in die Marktkirche weiter, wo ihr aufgrund des höheren Besucherverkehrs noch etwas mehr Aufmerksamkeit sicher war. Infolgedessen wurde der Pfarrer der Marktgemeinde, Gottfried Arlt, gemeinsam mit Matthias Waschitschka zum Rat des Stadtbezirks Halle-West einbestellt. Dort wurde kritisiert, „dass die Ausstellung sehr einseitig aufgebaut ist, Karlsruhe in sehr positivem Licht dargestellt wird und keinerlei Kommentare zu den aufgeworfenen Problemen gegeben werden. Hauptproblem war wohl, dass ein Ausreiseantragsteller an eine Ausstellungstafel einen Zettel mit Kontaktwünschen angebracht hatte, der von der Kirchenleitung nicht entfernt worden war.
Außerdem wurde „auf die Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit hingewiesen, denn eine solche Ausstellung bedarf der Genehmigung durch die Abtl. Erlaubniswesen des VPKA, auch in Kirchen.“
Dass die Ausstellung zur Städtepartnerschaft keine ernsthafteren Konsequenzen für die Beteiligten hatte, wurde letztlich begünstigt durch die politische Entwicklung im Herbst 1989.

Text gekürzt aus: Deutsch-deutsche Blickwechsel. Die Städtepartnerschaft Halle – Karlsruhe 1987-1990 (Magisterarbeit Anne Kupke, 2010)/ Verein Zeitgeschichten e.V.

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