Reformjuden in Halle fordern eigene Synagoge und Friedhof
6. Juni 2017 | Politik | 24 KommentareIn Halle gibt es zwei jüdische Gemeinden: Eine othodoxe Gemeinde und eine der Reformjuden (Synagogengemeinde). Erstere taucht öfters in der Öffentlichkeit auf, nimmt gefragt oder ungefragt Stellung zu Fragen des Judentums. Letztere ist stark in Ihrer Existenz gefährdet. Ohne Partei ergreifen zu wollen, haben wir die Synagogengemeinde gefragt, wie Ihre Forderungen lauten und wie sie sich die Weiterexistenz vorstellt:
Die Reformjuden begehren an den Kirchensteuer-Landesmitteln gemäß den Staatsvertragsgesetzen beteiligt zu werden (die Landesmittel werden ihnen seit 21 Jahren vorenthalten). Diese Mittel sollten von staatlicher oder vereidigter religionsneutraler Seite ausbezahlt werden.
Man stelle sich vor, die Protestanten würden die Kirchensteuer von katholischer Seite zugeteilt bekommen. Wäre das machbar oder vertretbar?
Die Reformjuden fordern dementsprechend, dass ihre Mitglieder nicht von Funktionären des Judenzentralrats (Zentralrat der [orthodoxen] Juden) überprüft werden, der die Glaubensausrichtung der Reformjuden als „Mummenschanz“ verhöhnt, fernerhin die Reformjuden zu negativer Religionsfreiheit nötigt, weil er von ihnen die Verleugnung ihrer Glaubensausrichtung durch Unterordnung an von ihm abhängige Institute erzwingt, und,
dass ihnen die Körperschaftsrechte, die ihnen in der Weimarer Republik gegeben, von den Nationalsozialisten genommen und von der Landesregierung in Sachsen-Anhalt schon vor 21 Jahren erneut zugesagt wurden,
jetzt endlich zuerteilt werden.
Eine eigene Synagoge und einen eigenen Friedhof
Dazu erstreben sie eine Synagoge und einen eigenen Friedhof an, dies, weil ihre Synagoge vom Staat 1938 abgebrannt (Pogromnacht) und ihnen die Hilfssynagoge und ihr Friedhof 1996 genommen wurden. Wenn diese Anliegen legitim sind, stellt sich die Frage, wieso Sachsen-Anhalt seinen Reformjuden diese selbstverständlichen Existenz- und Grundrechte vehement vorenthält.
Soweit die Stellungnahme der Synagogengemeinde. Weitere Hinweise zu den jüdischen Gemeinden auf der Seite des Landesverbandes enthalten übrigens keinen Hinweise mehr auf die zweite jüdische Gemeinde. Für den Landesverband, auf den auf den Seiten des Bildungsministerium hingewiesen wird, scheint das Reformjudentum nicht zu existieren.
Links:
Kommentar schreiben
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
@ringelblume, ich vermute, dass du den Zentralrat der Juden mit Sitz in Berlin und den Landesverband der jüdischen Gemeinden in LSA durcheinander bringst.
Das erstgenannte Gremium (i.Ü. seit der Nachkriegszeit eine Institution in vielerlei Hinsicht) überprüft die eingereichten Mitgliederlisten aller Gemeinden auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das zweite Gremium ist ein lokaler Verband, der das von der Landesregierung zur Verfügung gestellte Geld an die Gemeinden in LSA nach bestimmten Schlüsseln (z.B. nach der vom Zentralrat anerkannten Mitgliederzahl) verteilt.
Matthäus21
12
Und Jesus ging zum Tempel Gottes hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß um der Wechsler Tische und die Stühle der Taubenkrämer
Dass ich farbspektrum mal zustimme. Nur ist der Kampf zwischen den Kirchen zum Glück vorbei.
Zumindest die Hallesche jüdische Gemeinde in der Humboldtstraße ist sehr orthodox, wovon wir uns bei einem Besuch überzeugen konnten. Und nur diese ist im Zentralverband.
Es geht ja auch nicht darum, wer „recht hat“, sondern um das Existenzrecht beider Gemeinden. Und das hat die Landesregierung in der Hand: sie kann die Mitgliederlisten selbst durchsehen und die Mittel direkt überweisen (was anscheinend auch vom Verfassungsgericht gefordert wird).
Ist doch ganz einfach. In Deutschland tobt ein Machtkampf zwischen den alteingesessenen Juden und den aus Osteuropa zugewanderten, wer denn der wahre Jude sei. Vielleicht vergleichbar mit dem Kampf zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche.
Der Zenralrat der Juden in Berlin eine Hochburg des Orthodoxen Judentums???!!!!
Genau das tun sie aber. Du hast den Artikel anscheinend nur selektiv gelesen. Ja, das „orthodoxe“ spricht dem Reformjudentum das „Jüdischsein“ ab. Das Interesse ist (neben den Finanzen) der Alleinvertretungsanspruch. Das, was die Kirchen heute glücklicherweise nicht mehr machen (Stichwort Inquisition).
Auch die Kommunen als zuständige „staatliche Stellen“ brauchen die Vorarbeit der Kirchen, um Herrn X oder Frau Y als katholisch oder evangelisch zu kategorisieren und dementsprechend zu registrieren.
Und ich wüsste beim besten Willen nicht, was für ein Interesse der Zenralrat der Juden haben könnte, Juden in Halle das „Jüdischsein“ abzusprechen.
Ich kann natürlich jedem das „Jüdischsein“ absprechen, dann behaupten „es gibt keine Mitglieder“ und so die Mittel einbehalten. Das nannte man früher Inquisition.
Das Prüfen von Mitgliederlisten sollte doch wohl von staatlicher Stelle und nicht vom Zentralrat erfolgen, oder?
Genau, es ist im verlinkten Artikel gut und für unvoreingenomenne Leser objektiv erklärt. Gerade das macht die Frage nicht nachvollziehbar @ringelblume.
„„Kirchensteuerabzug vom ALG“ ist ein Ammenmärchen.“ Das war mal kein Ammenmärchen, wurde aber 2005 abgeschafft.
Das ist sehr schön im unten aufgeführten MZ-Artikel ausgeführt.
Ich kann leider den Sinn deiner Frage nicht nachvollziehen @riosal.
Radio Maabarot erlaubt sich mal die Gegenfrage: Ist der Zentralrat eine staatliche Stelle, Lou?
Ja @ringelblume, der Staat (hier Land) ist der Gerechtigkeit verplichtet, aber nicht der gefühlten.
Entscheidend bei der Mittelzuteilung ist die Anzahl der Mitglieder der jeweiligen jündischen Gemeinde. Die von der Synagogengemeinde bislang präsentierten Mitgliederlisten wurden vom Zentralrat der Juden in Berlin f0r nicht nachvollziehbar befunden und in der eingereichten Form nicht anerkannt. Daher können der Synagogengemeinde Finanzmittel in der von ihr gewünschten Höhe nicht genehmigt werden.
Willst du jetzt auch dem Zentralrat der Juden Ignoranz und Ungerechtigkeit vorwerfen?
„Kirchensteuerabzug vom ALG“ ist ein Ammenmärchen. Vom ALG geht kein Cent an die Kirche.
Der Staat (in diesem Fall das Land Sachsen-Anhalt) ist (zumindest auf dem Papier) der Gerechtigkeit verpflichtet und sollte alle gleich behandeln und nicht nur eine Seite unterstützen (finanziell und in der öffentlichen Darstellung). Das ist nicht gegeben, wenn einseitig der „Landesverband“ unterstützt wird. Das das ein komplexes Problem ist, hat Hei-Wu ja schon treffend dargelegt (ich verweise nochmals auf den Fall der DITIP und die Finanzierung aus dem Ausland, wenn es dafür keine Lösung gibt).
Das mit der Kirchensteuer ist ein anderes Problem: Seit langem gibt es die Diskussion um eine allgemeine Kultursteuer, die von allen erhoben wird und jeder kann bestimmen, wen er damit unterstützt: seine Kirche, Moschee oder Synagoge, sein Opernhaus oder Stadion, seine freie Theatergruppe oder seinen Heimatverein. Dann würde Gerechtigkeit in der Kulturförderung bestehen.
Ich kann @Lou nur beipflichten, dass es in Halle wohl hauptsächlich an den Akteuren selbst liegt.
Es stellt sich aber grundsätzlich die Frage, ob es eine Aufgabe des Staates ist, Geld für Religionsgemeinschaften einzutreiben. Die Krönung ist dabei der Kirchensteuerabzug vom ALG.
@lou wir mischen uns auch nicht ein. Aber berichten dürfen wir doch.
Und ich finde es merkwürdig, wenn eine Seite von dem Streit profitiert und die andere, liberalere, eingestampft wird. Diese Entwicklung ist bereits länger in Israel zu beobachten und setzt sich momentan auch in den USA fort. Es geht auch darum, dass die Landesregierung nicht zur Kenntnis nehmen möchte, dass es nicht nur das „eine“ Judentum gibt. Hier gibt es viel Unkenntnis…
Man muss nur Kishon gelesen haben, um es zu verstehen.
Doch, die jüdischen Gemeinden sind wichtig. Die Schuld an der andauernden Misere hauptsächlich dem Land Sachsen-Anhalt zu geben, ist aber ein Spur zu gutgläubig und keinesfalls zielführend. Denn die Akteure der Gemeinden haben sich dabei allesamt nicht mit Ruhm bekleckert. Jedenfalls verspüre ich kein Bedürfnis, mich darin einzumischen.
l
Der Gott der Juden wird das Problem biologisch lösen.
Der Konflikt wurde schon öfter thematisiert, beispielsweise in der MZ vom Januar 2015 (sehr schöne Zusammenfassung von Herrn Könau):
http://www.mz-web.de/halle-saale/endlose-gerichtsprozesse-juedische-gemeinden-streiten-ums-geld-3375066
Seitdem sind fast 2 1/2 Jahre vergangen, aber die Landesregierung sieht anscheinend keinen Handlungsbedarf. Dass eine solche Vogel-Strauß-Politik gegenüber Religionsgemeinschaften auch gefährlich werden kann, sollte sich langsam herumgesprochen haben (Beispiel DITIP). Aber die jüdischen Gemeinden sind wohl nicht so wichtig, oder?
Man könnte dieseses Drama, das seit Jahrzehnten in Sachsen-Anhalt spielt, humoristisch mit Verweis auf das „Leben des Brian“ (judäische Volksfront oder Volksfront von Judäa) als Provinzposse abtun, die ihre Lieblingsspielstätte in Halle hat. Das wird der Sache aber nicht gerecht. Das Hauptproblem: Der Staat sammelt für Religionsgemeinschaften die Kirchensteuer ein. Dabei müssen die anerkannt sein, der Staat will einen Vertragspartner, der sich so einfach nicht findet. So gibt es unter den Muslimen keinen „Chef“, unter den Juden ist es umstritten, und selbst vielen christlichen Glaubensgemeinschaften (Russische, griechische, armenische orthodoxe Kirche) wird dieses bequeme staatlich organisierte Bezahlsystem ihrer Mitgliedsbeiträge nicht zuteil. Das bedarf einer verfassungsrechtlichen Überprüfung, möglicherweise gar einer Überprüfung auf EU-Ebene.