Der Fall Neubauer

29. Juli 2024 | Politik | Ein Kommentar

Dirk Neubauer, gebürtiger Hallenser, Journalist (MZ,MDR), Buchautor („Das Problem sind wir“, „Rettet die Demokratie“), preiswürdiger Bürgermeister von Augustusburg (Politikaward), ehemaliges SPD-Mitglied und bis jetzt Landrat im Landkreis Mittelsachsen sorgt erneut für Aufmerksamkeit.
In einem beachtenswerten YouTube Statement begründet er seinen Rücktritt vom Amt des Landrates. Zwar nennt er zuerst Drohungen gegen seine Person und Familie, so dass ein Umzug erforderlich wurde, als ersten Grund spart aber nicht mit Kritik an aktuellen Problemen des gesellschaftlichen und politischen Miteinanders, die uns allen in unterschiedlicher Form wohl bekannt sind.

1. Polarisierung der Akteure bis zur destruktiven Sprachlosigkeit

Elektroautos und Wärmepumpen müssen einen nicht primär begeistern. Und sicher müssen so manche Überlegungen zur CO2 Vermeidung noch dem Alltag angepasst werden. Zudem steht zu befürchten, dass besonders engagierte Freunde kommunaler Klimaoptimierung demiskutiert unnächst das Aufschnallen eines Blumentopfes auf den Kopf beim Verlassen der Wohnung zur Mikroklimaverbesserung anstreben. Glücklicherweise werden solche Anliegen in den gewählten Gremien dd abgestimmt. Wenn allerdings in diesen Gremien das Misstrauen derart überhand nimmt, dass keine Verständigung möglich ist, dann wird’s kritisch. So unterstellte ein Mitglied der AfD Landtagsfraktion unserer glorreichen Landesregierung sie würde das Land „absichtlich ruinieren“. Nun stelle ich mir Landesvater Haselhof vor, wie er morgens gedankenverloren in der Kaffeetasse rührt und überlegt welche Gemeinheit zum Schaden seiner Mitbürger er als nächstes anstellen könne …

Man mag das belächeln, lustig ist das nicht. Im Bundestag schleuderte Frau Weidel mit verächtlicher Betonung der Bundesregierung ein „diese Regierung hasst Deutschland“ entgegen. Auch im Stadtrat durften wir uns Schimpftiraden der AfD-Mannen anhören, die von lächerlich, über falsch bis zu schlicht verletzend gehen. Manchmal bleibt da nur noch ein reflexhaftes zurück Schimpfen oder den Saal zu verlassen. Das hilft der Sache wenig. Nun wird seitens der AfD ertönen, man sei ja von Anfang an in mancher Debatte außen vor gelassen. Der Einwand ist nicht ganz unbegründet, aber wer wenig Berührungsangst zum Gedankengut derer hat, die die größte Menschheitskatastrophe des 20. Jahrhunderts zu verantworten haben, Rechtsradikale in seinen Reihen duldet, wer sich derart hämisch und destruktiv in die Debatte einbringt, der darf den Punktsieg zur Verrohung der Debatte eindeutig für sich in Anspruch nehmen.
Allen muss klar sein, dass wir so nicht weiter agieren können. Und ob man die AfD nun mag oder nicht, ignorieren hilft wenig! Insbesondere auf kommunaler Ebene muss es eine inhaltliche Auseinandersetzung geben. Die CDU hat den Begriff der Brandmauer geprägt. Das Bild einer abweisend hohen, fensterlosen Hauswand steht einem vor Augen. Zwar verhindert die Brandmauer ein Übergreifen des Feuers, nur löschen tut sie es nicht. Eine „moralische Brandmauer“ mag es weiterhin geben, in dem Sinne, dass alles Menschenverachtende, die Verfassungsgemäßen Grundrechte bedrohendes der AfD klar ausgegrenzt werden muss. Aber einem Diskurs mit der AfD können wir uns nicht entziehen. Und ebenso muss die AfD -wenn sie im Diskurs ernst genommen werden will – klar ihren Kurs ändern. Insbesondere in der Debatte rund um Migration muss ein neuer Ton gefunden werden. Nur so kann das „Feuer der Verrohung“ bekämpft werden.

2. Das ewige Meckern Unbeteiligter,

die sich keinen Vers machen, was es heißt politische Kompromisse zu finden und umzusetzen. Naserümpfen über Politik ohne sich selber in die Niederungen des alltäglich Lösungsversuches zu begeben. Dabei gibt es hier – grob eingeteilt – zwei Hauptgruppen. Die querulatorischen Besserwisser, solche die wir manchmal aus der Bürgerfragestunde des Stadtrates kennen, die gerne mit der moralischen Oberkeule auf den Rest einhauen, wenn sie nicht gerade Montags auf äußerst fragwürdigen Demos unterwegs sind oder unter Decknamen im world wide water closet ihre Häme in die Welt kippen. Und die zweite, weitaus größere Gruppe, die gerne „nur noch den Kopf schütteln kann“ über Politik und sich ansonsten ins private verzieht. Die schweigende Mitte, von der Neubauer spricht. Die so tut als wenn sie das alles nichts angehe.

3. Eine Landesregierung, die „den Schuss nicht gehört hat“

und über die Köpfe der kommunalen Akteure hinweg agiert. Absurd wie das Landesverwaltungsamt die strukturell unterfinanzierten Stadt permanent unter Spardruck setzt, aber selbst keine einzige Idee hat wie man dieses Dilemma lösen soll. Auch die völlige Abhängigkeit vieler Kommunen von Fördermitteln, die ein enges Korsett von Vorgaben beinhalten und somit die kommunalen Entscheidungsträger bevormunden. Das Ergebnis dieser Verkrampfung ist für viele Bürger kaum noch verständlich. Bevormundung wie wir es in Halle beim Thema Schulgründungen erlebt haben sind Gift für Politikakzeptanz. Bundespolitisch bleibt unerklärbar, wie man die zunehmende Dramatik im Bereich Wohnen und Miete so völlig ignoriert.

4. Wirklichkeitsverweigerung konservativer Kräfte

im allgemeinen und der CDU im besonderen. Wie schon erwähnt sind sicher nicht alle neuen Konzepte betreffend Ökologie, Wirtschaft, Energieversorgung, Transport, Migration etc. ausgereift. Aber dass z.B. uns das Erdöl ausgeht, es auch wenig Sinn macht einen Brennstoff, der über einen Zeitraum von Millionen von Jahren entstanden ist, in ca. 200 Jahren komplett mittels Verbrennung in die Atmosphäre zu pusten, scheint klar zu sein – meint man. Wenn ich in unserem Stadtrat die hysterischen Reaktionen konservativer Mandatsträger erlebe wenn es um Verlust eines Parkplatzes geht oder Veränderungen betreffend innerstädtischer Mobilität, dann fragt man in welcher Welt diese Leute leben.

Die Destruktivität der Beharrungskräfte kurzsichtiger Individualinteressen bedrohen das, was selbige glauben erhalten zu müssen.
Meinen Diesel lasse ich mir nicht nehmen und wehe die Bockwurst kost‘ mehr als nen Euro … es ist dringend geboten über den Tellerrand selbiger Wurst zu schauen!

(Detlef Wend)

Print Friendly, PDF & Email
Ein Kommentar

Kommentar schreiben