Matthias Brenner im Interview – Ausblick

19. März 2020 | Kultur, Nachrichten | Ein Kommentar

HalleSpektrum: Herr Brenner, wie wird es weiter gehen im neuen theater in den nächsten 5 Jahren? Was sind die Schwerpunkte?

MB: Vor drei Jahren hatten wir ja schon einen großen Wechsel im Ensemble. Es sind 7 Kollegen gegangen. Teils durch Nichtverlängerung, teils sind sie selbst gegangen. Und wir haben uns 7 neue Leute geholt, die dann auch eine völlig neue Auseinandersetzung bedeuten in der Arbeit. Das war auch Absicht, dass man das Ensemble noch mal neu sortiert und umbaut. Es war interessant, wer kommt denn auf uns zu, wer bewirbt sich da. Wir hatten einen guten Ruf und es war bekannt, dass wir unsere Schauspieler drehen lassen. Denn die Gehälter sind hier im unteren Drittel des Mittelsegments. Ich würde allen 20-30% mehr Gehalt gönnen, aber das können wir nicht bezahlen. Also wer kam da auf uns zu. Mir hat ein Freund mal einen Tipp gegeben, als ich für meine Tochter einen Hund kaufen wollte: Nimm nur einen, der auf dich zu rennt. In dem Tierheim war an dem Tag nur ein Hund – und der rannte auf mich zu. Das ist natürlich nicht vergleichbar, aber ähnlich ist es schon.

Ich bin nach wie vor für einen europäischen und internationalen Gedanken und ich bin nach wie vor nicht dafür, dass Flüchtlinge im Mittelmeer sterben. Also all diese Dinge, die man seit Jahren intus hat. Das wird sich nicht ändern. Solidarisch zu sein, mit denen, denen es schlecht geht. Ich behaupte ja, viele Leute, die hier an Land gespült werden, sind Geschenke. Natürlich sind auch weniger angenehme Typen dabei. Das ist in der deutschen Bevölkerung nicht anders.

HalleSpektrum: Aber die Musiker Radwan Alhalak und Vahid Shahidifar, die in VÖGEL so wunderbar spielen, sind so ein Geschenk.

Ohne Zweifel. VÖGEL war auch der erste Versuch multilingual zu arbeiten, ohne die Zuschauer zu verschrecken. Diese Strecke wollen wir auf alle Fälle weiter verfolgen. Wir hatten ja schon farbige Studenten bei uns. Mit denen konnten wir ANGST ESSEN SEELE AUF oder ZIEMLICH BESTE FREUNDE machen. Mittelfristig wollen wir uns darum kümmern, dass wir mit dem Ensemble das gesellschaftliche Abbild treffen. Wir haben in Kürze wieder ein Vorsprechen und da wird auch eine farbige Kollegin kommen. Ich will auch Freiräume schaffen, um Leute gastieren zu lassen. Also multilinguale oder multikulturelle Stücke. Das ist in Köln mal gemacht worden, der SOMMERNACHTSTRAUM in verschiedenen Sprachen.

HalleSpektrum: Was kann das bewirken?

Es geht darum, die eigene Vorurteilsgrenze, die wir alle in uns haben (auch ich), sozusagen aufzuheben. Der Reflex läuft immer mit. Das muss man im besten Sinne miteinander abarbeiten.

HalleSpektrum: Geht die Zusammenarbeit mit der Oper weiter?

MB: Ganz bestimmt. Wir müssen auch in der Zukunft der hohen Musikalität des Ensembles gerecht werden. DIE DREIGROSCHENOPER und CABARET waren schon schöne Prozesse in dieser Richtung. Mit der Oper zusammen zu arbeiten ist ein ganz toller Gewinn. Denn neben dem Tanz ist die Musik die internationalste Kunst, die wir haben. Das wird auch hier im neuen theater wieder stattfinden. In der nächsten Spielzeit geht es gleich damit los. Womit kann ich allerdings noch nicht verraten, der Spielplan ist im Entstehen. Auf jeden Fall arbeiten wir mit der Staatskapelle zusammen.

HalleSpektrum: Der Geschäftsführer, Herr Rosinski, wird Halle verlassen. Ein neuer wird kommen. Was erhoffen Sie sich davon?

MB: Ich bin da zwiegespalten. Wenn Sie mich nach meinen Fehlern fragen, ich war zu nachsichtig bei der Auswahl von Herrn Rosinski.

HalleSpektrum: Das waren ja wohl alle Beteiligten.

MB: Ja, aber er hat sich auch toll präsentiert. Und auch in Rostock wurde das erst viel zu spät erkannt. Hier war nach einem halben Jahr klar, dass wir nicht miteinander auskommen, dass es so nicht weiter geht. Das lag auch daran, dass die GmbH sich erst mal entwickeln musste, und das war ein Prozess. Eine solche Geschäftsführung gibt den Chefs der Häuser zu wenig Entscheidungsspielraum. Der Zentralgewalt wird zu viel Macht eingeräumt. Und das kann man alles ausgleichen und austarieren. Das ist auch gar nicht so schwierig.

HalleSpektrum: Also die Struktur kann so bleiben?

MB: Nicht wirklich. Ich wünsche mir eine dezentrale Budgetverantwortung. Darauf läuft’s hin. Es gibt durchaus Bereiche, die von einer Zentrale gesteuert werden müssen, Investitionen zum Beispiel. Ein Geschäftsführer muss natürlich ein guter Betriebswirt sein. Ich kenne da einige.

Das Künstlerische Betriebsbüro beispielsweise, das die Planung macht, gehört jetzt zu den zentralen Bereichen des Geschäftsführers. Ich habe da überhaupt keine Planungshoheit über Urlaub, über den Arbeitsrhythmus. Das bringt oft Schieflagen und Quälereien mit sich. Wer hat denn eigentlich das Sagen? Ich brauche die Planungshoheit damit ich die Autonomie des Ensembles wahren kann.

HalleSpektrum: Aber ein gewisses Controlling ist schon nötig?

MB: Einem vernünftigen Controlling will ich mich gar nicht entziehen, denn ich bin kein Wirtschaftsfachmann. Also es sollte einen künstlerischen Geschäftsführer geben und einen ökonomischen. Aber die dezentrale Budgetverantwortung halte ich für etwas ganz wichtiges. Dann bin ich auch dafür verantwortlich, wenn ich mehr Mittel brauche. Und kann zum Geschäftsführer gehen und fragen, ob man etwas im Gasometer macht oder auf der Saale, also Sonderveranstaltungen. Oder man kann Drittmittel einwerben.

Jetzt ist die Zentrale etwas zwischen Generalintendanz und Geschäftsführung und das funktioniert vor allem dann nicht, wenn man sich nicht gut miteinander versteht.

Man muss gut miteinander leben auf dieser Insel der Seeligen. Und da sollte sich in der nächsten Zeit noch ein biss’l was tun. Dann werden wir die Herausforderungen der nächsten Jahre schon meistern.

HalleSpektrum: Herr Brenner, vielen Dank für das Gespräch.

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