Wir warnten seit vielen Jahren!

28. Oktober 2019 | Kultur | 2 Kommentare

Im Zusammenhang mit dem Attentat vom 9. Oktober auf die Jüdische Gemeinde in Halle (Humboldtstraße) tauchte die Frage auf, was denn mit den „alteingesessenen Juden“ in Halle sei. In der Annahme, dass es bei dieser Frage um die reformjüdische Synagogengemeinde in Halle-Trotha (Mitglied im Bundesverband der Juden in Deutschland, aber nicht im Landesverband) gehe, hat Hallespektrum dort nachgefragt und folgende (leicht gekürzte, autorisierte) Antwort bekommen:

„Ich weiß es nicht, ob es für Sie wichtig ist, dass heute (16. 10.) eine Dame und zwei Herren vom Landeskriminalamt hier waren, um sich ein Bild über künftige Schutzmaßnahmen zugunsten der Synagogengemeinde zu verschaffen. Es zeigte sich im Gespräch, dass das Landeskriminalamt nicht von dem kriegsähnlichen Zustand wußte, in welchem sich die Synagogengemeinde befindet (mit der Jüdischen Gemeinde Humboldtstraße – Anm. der Red.). Ich berichtete so ausführlich es gehen konnte, denn die Zeit war kurz bemessen.

Möglicherweise wären die Opfer am Jom Kippur verschont geblieben, wenn sowohl der Bundesantisemitismusbeauftragte als auch der Landes-Innenminister unsere dringenden Warnungen zur Kenntnis genommen hätten. Im übrigen hatten sich die Gäste, die am Jom Kippur in der Synagoge der russischen Gemeinde beteten, zuvor bei uns gemeldet, um mit uns den Feiertag zu begehen. Da wir, wie Sie wissen, nicht einmal Platz für unsere eigenen Mitglieder haben, weil uns unsere Synagoge weggenommen wurde und schon viele unserer Mitglieder im Freien zuhören müssen, sagten wir vorsichtig ab und empfahlen des Gästen, die russische Judengemeinde, die im Regelfall ohnedies nicht viel Besucher zu Feiertagen zählt, zu bitten, dort den Jom Kippur mit zu feiern. So kam es denn, dass die russische Gemeinde überraschender Weise so viele Besucher zählte.

Wir können es noch immer nicht fassen, dass zwei Menschen einem Verrückten zum Opfer fielen. Unsere Mitglieder sind tief verängstigt. Eine ältere Dame brachte es auf den Punkt: Wenn der Attentäter schon mit nichtjüdischen Menschen so Furchtbares angestellt hat, wie viel mehr würde er sich gegen uns austoben, da wir seitens der Regierung als nicht vorhanden verleumdet werden, somit schutzlos sind und auch der Bundesantisemitismusbeauftragte und der Landes-Innenminister es ablehnten, unsere Befürchtungen zur Kenntnis zu nehmen.

Wir warnten seit vielen Jahren. Wir wurden wohl intern für besessen erklärt; jedoch nun ist Leben ausgelöscht worden, also war die uns angehöhnte Besessenheit keinesfalls unrealistisch.

Ich komme, insbesondere auf Grund meiner altersbedingten körperlichen Einschränkungen, nicht mehr an die Öffentlichkeit und unsere Mitglieder wagen es sich nicht, in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Außer, dass es ihnen, trotzt Sozialhilfestatus hierzulande materiell noch viel besser geht als in der Sowjetunion, leben sie doch in gleicher oder gar schlimmerer religiöser Verfolgung wie ehedem. Schon melden sich Mitglieder angesichts der Jom-Kippur-Morde, vom aktiven Gemeindedienst ab. Sie schieben Krankheitsausreden vor. Das ist das Zerrbild, wofür sich die Landesregierung Sachsen-Anhalt auch noch für in ihrem Land “freie Religionsausübung” feiern läßt.
Unsere geschundene, verleumdete und verfolgte Gemeinschaft bittet Sie darum, weiter zu geben, was Sie erfahren haben.

Mit freundlichen Grüssen und Schabbat Schalom,
Karl Sommer für die
Synagogengemeinde zu Halle e.V.
www.synagogengemeinde.de“

Anm. der Redaktion: Die Stellungnahme erreichte uns bereits am Freitag, wird aus redaktionellen Gründen aber erst jetzt nach dem Schabbat veröffentlicht

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