Suppendosen im Sommerloch: „Staatswappen als Symbol der SED-Diktatur“. Bundesweites Echo um bizarres Dosendesign

12. August 2022 | Kultur | 9 Kommentare

Wohl kaum ein Bürger der Bundesrepublik verbindet  in Errinnerung an seinen Miltärdienst bei der Bundeswehr wiederholenswerte kulinarische Erlebnisse. Und so dürfte die Vorstellung schwer fallen, dass man in einem westdeutschen Lebensmittelregal zwischen dem Sortiment von Maggi oder Lacroix – Fertig“Speisen“ Suppendosen mit der Aufschrift: „Bundeswehr-Feldsuppe“ finden würde . Bundeswehrverpflegung findet man allenfalls im Versandhandel für Prepperbedarf.

Hinnter dem eisernen Vorhang jedoch, für Durchschnittswessis unererreichbar, entfaltete sich für den DDR-Bürger ein kulinarisches Paradies. Zumindest dort, wo der Staat die Verpflegung regelte und den verwöhnten Gaumen seiner Bürger schmeichelte. Also dort, wo es auch für Kostverächter kein Entrinnen gab: In den Schulkantinen und den Kasernen der NVA.

Dass die geheimen kulinarischen Schätze des DDR-Staatswesens wieder gehoben wurden, verdankt die Welt einem kleinen Familienbetrieb aus Kläden bei Stendal. Seit 2011 füllt „Kelles Suppenmanufaktur“ DDR-Nosgtalgie in Dosen ab und erreicht – zumindest in den ostdeutschen Bundesländern – ein beachtliche Käuferschicht. Flagschiff ist die „NVA-Feldsuppe“, zeitweise waren aber auch Produkte wie „Schulküchen-Tomatensoße“ im Angebot. „Einfach, echt und schmeckt wie früher“ ist auf den Dosen zu lesen – was offenbar als Auszeichnung verstanden werden soll. Kulinarisch entzieht sich eine solche Aussage jedwedem Versuch einer Aufarbeitung.

Neben weiterer eingedoster Hausmannskost, die man noch der Geschmacksrichtung „Mutti kocht“ zuordnen könnte, wie etwa Bohnesuppe, Möhrensuppe oder Linseneintopf  mit Bockwurst stehen mittlerweile auch gesamtdeutsche Lieblinge wie „Kelles Curry Wurst extra scharf“ auf dem Programm. Abgesehen von der Produktbezeichnung „NVA-Feldsuppe“ scheinen aber – zumindest im Internetauftritt der Firma – kaum noch DDR-Reminiszenzen zu finden sein.

Dennoch tobt ein Sturm der Entrüstung durch die bundesweiten Medien. Denn: anders als die Abbildungen im Inter(-net)shop der Firma vermuten lassen, hat der Betrieb  zumindest mehrere Jahre lang seine Produkte mit schwarz-rot-goldener Banderole und einem zentral am Dosenrand DDR-Staatswappen versehen. Hammer-Zirkel-Ährenkranz als Gütesiegel. Zuminmdest gab es diese Dosen 2012-2015, und nicht nur bei „Real,-“ (woher unser Foto stammt)  sondern auch bei REWE, wo sie wohl noch heute gelistet sind.

Jedenfalls erst jetzt müssen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur solche Dosen in die Hände gefallen sein.  Deren Direktorin Anna Kaminsky stieß weniger die Suppe, sondern deren Verpackung übelst auf.  Konservendosen mit DDR-Staatswappen gehören nicht in den Lebensmittelhandel, und das Staatswappen sei das Symbol einer Diktatur, entrüstet sie sich. Und die NVA habe unter anderem den Mauerbau abgesichert, wird sie aus einer Pressemitteilung ihrer Stiftung zitiert (s. unten).

In der Folge kochte die mediale Suppenküche hoch. Das Echo war gewaltig, bundesweit brodelt es nun um Kelles Suppenküche. Die es übrigens freut, wie eine etwas naivlich wirkende Sprecherin des Betriebes heute gegenüber dem MDR erklärte. Man verkaufe doch eigentlich nur harmlose Suppe. Dann berichtet sie fröhlich, dass der Medienhype den Absatz ihrer Suppe schwunghaft befördert habe.

Das breite Spektrum an Medienberichterstattunmg und Kommentaren kann man hier bequem ergoogeln, und die offzielle Pressemitteilung der Bundesstiftung gibt es hier im Anhang.

Pressemitteilung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung des SED-Unrechts (8. August, mit einem Update von heute):

„Konserven im DDR-Dekor samt Hammer und Zirkel mit „Nudeln mit Tomatensauce & Jagdwurst“, „Schulküchen Soljanka“ mit Kind in Pionieruniform oder „NVA-Feldsuppe“ bieten REWE-Supermärkte in Ostdeutschland ihren Kunden feil. Die Anfrage der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, wie sich eine solche Verharmlosung der SED-Diktatur mit dem Firmen-Leitbild vereinbare, das REWEs besondere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft betont, wurde von der Kölner Konzernleitung an die Pressestelle Region Ost in Teltow (Brandenburg) weitergereicht. Die erklärt sich in einer Stellungnahme vom 8. August für nicht zuständig: Die Märkte listeten solche Produkte „auf Wunsch der Kundschaft“. „Verpackung und Produktaufmachung“ lägen „im Verantwortungsbereich des Inverkehrbringers“. Die Bundesstiftung möge sich daher an die Lieferanten wenden oder gleich an die Justiz, wenn sie einen Rechtsverstoß in den Produkten sehe.

Die Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung Dr. Anna Kaminsky hatte in Ihrer Anfrage darauf hingewiesen, dass das DDR-Staatswappen das Symbol der SED-Diktatur sei, die am 13. August 1961 die NVA zur Absicherung des Mauerbaus eingesetzt habe. Es müsse zum erinnerungskulturellen Konsens des vereinten Deutschlands gehören, das Unrecht der kommunistischen Diktatur nicht zu verharmlosen und der Opfer des SED-Regimes würdevoll zu gedenken: „Die Antwort REWEs ist Ausdruck von Geschichtslosigkeit, die fassungslos macht, weil sich der Konzern vor jeder Verantwortung für sein Sortiment drückt“, so die Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung. „Wenn der zweitgrößte Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland DDR-Nostalgieprodukte allein mit Kundenwünschen und der Rechtslage rechtfertigt, sind nicht die Konservendosen der Skandal, sondern die Haltung des Konzerns!“

Update vom 11. August 2022

Die Bundesstiftung Aufarbeitung hat dem REWE-Konzern am Montag Geschichtsvergessenheit und mangelndes Verantwortungsbewusstsein vorgeworfen. Der Anlass: REWE vertreibt in Ostdeutschland Konservendosen, die mit dem DDR-Staatswappen und Jungen Pionieren verziert sind oder sich der NVA zu Marketingzwecken bedienen. Als eigentliches Problem erachtet die Stiftung dabei neben der Gestaltung der Konserven – bleiben wir beim Gegenstand – auch die „Wurstigkeit“, mit der REWE jede Verantwortung für sein Sortiment von sich weist.

Die Pressemitteilung hat nicht nur in den Medien, wie etwa hier in der NZZ , großen Widerhall gefunden. Auch hier bei Facebook zeigen Ihre zahlreichen Kommentare, mit welcher Leidenschaft auch heute noch über die SED-Diktatur gestritten wird. Wir danken Ihnen allen, die Sie sich in der Debatte zu Wort gemeldet haben, egal ob zustimmend oder mit teils ätzender Kritik. Da wir unmöglich auf alle Kommentare individuell antworten können, unternehmen wir hier den Versuch, auf die wesentlichen Vorhaltungen zu reagieren.

Manche von Ihnen interpretieren unsere Wortmeldung als den Versuch, Ihnen die Highlights der DDR-Küche madig zu machen. Tatsächlich wissen auch wir in der Stiftung eine gute Soljanka, ein frisch zubereitetes DDR-Jägerschnitzel, eine knusprige Ostschrippe oder Würzfleisch zu schätzen. Es steht uns fern, irgendwem vorzuschreiben, was ihm oder ihr zu schmecken hat. Wogegen sich die Stiftung ausgesprochen hat, ist, solche Produkte mit den Emblemen der SED-Diktatur zu verzieren. Und das gilt nicht nur für Konserven, sondern auch für T-Shirts, Tassen oder sonstige Waren, die es nicht zuletzt in Berlin in vielen Souvenirshops zu kaufen gibt. Wir finden, dass die SED-Diktatur damit trivialisiert und verharmlost wird. Sie nicht? Dann lassen Sie uns darüber in der Sache streiten, ohne uns wechselseitig das Recht auf die jeweilige Meinung abzusprechen!

In den Kommentaren wird darauf verwiesen, dass die DDR keinen Völkermord begangen und die NVA keinen Krieg geführt hat. Wir meinen: Gott sei Dank! Aber relativiert der Verweis auf die Massenverbrechen der NS-Diktatur das Unrecht der SED-Diktatur? Wir finden das nicht. Immer wieder wird uns zudem vorgehalten, dass auch in der alten Bundesrepublik so manches im Argen lag oder dass „der“ Westen im Kalten Krieg Unrecht begangen habe. Das stimmt. Aber Whataboutismus bringt uns in der Debatte nicht weiter. Der Hinweis auf die Schattenseiten des Kapitalismus macht die DDR nicht besser. Und dann sind da jene, die sich zu der Behauptung versteigen, dass das vereinigte Deutschland auch nicht besser sei, als die untergegangene DDR. Solche Wortmeldungen sind wohl vor allem Ausdruck eines tiefsitzenden Frusts und/oder der Lust an der Provokation.

Schließlich heißt es in den Kommentaren, dass es solche Konserven oder vergleichbare Produkte schon lange im Handel gebe. Es wird unterstellt, dass wir mit der Pressemitteilung unsere Existenz rechtfertigen wollten. Tatsächlich hat sich die Stiftung seit ihrer Gründung immer wieder öffentlich gegen eine Verharmlosung der SED-Diktatur im Alltag ausgesprochen. Nicht jede unserer Wortmeldungen hat dabei in den vergangenen fast 25 Jahren seit unserer Gründung eine vergleichbare Resonanz gefunden, wie die in Sachen REWE. Wir glauben, dass die Medienresonanz dieser Tage vor allem der Haltung des Konzerns geschuldet ist, jede Verantwortung für den Inhalt seiner Ladenregale zurückzuweisen.

Der Deutsche Bundestag hat die Stiftung Aufarbeitung 1998 mit dem Auftrag versehen, die Auseinandersetzung mit den Ursachen, der Geschichte und den Folgen der kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland zu befördern – mit eigenen Diskussionsangeboten sowie auf dem Wege der Projektförderung. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung bundesweit unzählige Ausstellungen, Dokumentarfilme, Veranstaltungen aller Art, Doktorarbeiten, Bücher und Bildungsmaterialien ermöglicht, die diesem Auftrag gewidmet sind. Darüber hinaus mischt sich die Stiftung mit eigenen Angeboten in die Debatte ein. Wenn Sie sich für die im doppelten Wortsinne geteilte deutsche Vergangenheit interessieren, dann dürften Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon eine Ausstellung oder Veranstaltung besucht, einen Dokumentarfilm gesehen oder ein Buch gelesen haben, die es ohne unsere Förderung so wohl nicht gegeben hätte. Falls Sie aber erst durch die aktuelle Pressemitteilung auf unsere Stiftung aufmerksam geworden sein sollten, können wir Sie nur herzlich dazu einladen, sich auf unserer Homepage mit unserer Arbeit vertraut zu machen.

Die Reaktion von REWE auf unsere Anfrage und so manche der Wortmeldungen hier bei Facebook zeigen, dass unsere Arbeit und die unserer vielen Partnereinrichtungen noch lange nicht getan ist. „Erinnerung als Auftrag“ ist unser Motto, das wir vor vielen Jahren formuliert haben. Dem wollen wir auch weiterhin entsprechen. Bleiben Sie uns gewogen und/oder schauen Sie uns weiterhin auf die Finger – wir brauchen Ihren Zuspruch aber auch Ihre Kritik. Denn die Aufarbeitung der SED-Diktatur, der die Stiftung verpflichtet ist, kann nur dann gelingen, wenn wir auch kontroverse Themen aufgreifen und darüber konstruktiv diskutieren.“

 

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