Predigt von Bischof Dr. Gerhard Feige zum Dreikönigsfest

7. Januar 2018 | Kultur | 6 Kommentare

1. Ein Menschenrecht

Den meisten unter uns dürften die drei Weisen, die dem Gottessohn in der Krippe ihre Geschenke bringen, seit Kindheit vertraut sein. Von Sterndeutern aus dem Osten ist im Matthäusevangelium die Rede; vermutlich stammten sie aus dem heutigen Iran. Bei ihren Forschungen sind sie offenbar auf ein Phänomen am Himmel gestoßen, das sie neugierig gemacht hat. Ja, mehr noch: Sie glaubten, dass der Stern, den sie aufleuchten sahen, mit ihrer Suche nach Wahrheit zu tun haben könnte. Deshalb sind sie aufgebrochen, um diesem Stern zu folgen. Dabei waren sie im Grunde Gott-Sucher, denn – so hat es die heilige Edith Stein einmal formuliert – :  „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht“. Gott zu suchen, nach Sinn und einem letzten Halt Ausschau zu halten, ist uns Menschen zutiefst eigen. Ja, es macht sogar unsere Würde aus, dass wir nach Gott als dem Grund aller Wirklichkeit suchen. Diese Suche kann aber nur gelingen, wenn wir auch die Freiheit haben, uns wie die Sterndeuter auf den Weg zu machen, wenn wir die Freiheit haben, dem zu folgen, was wir als wahr und sinnstiftend erkannt haben.

Die drei Könige aus dem Morgenland / Tres Magos

Diese Freiheit, unser menschliches Leben auf Gott auszurichten und dies auch öffentlich zu bekennen, ist der Inhalt des Rechts auf Religionsfreiheit. Jeder Mensch hat – so heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 – die Freiheit, „seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen“. Religionsfreiheit ist also ein Menschenrecht. Und das erfährt erst dann seine Umsetzung, wenn jeder und jede Einzelne die eigene religiöse Orientierung nicht nur privat für sich leben kann, sondern auch die Möglichkeit hat, sich öffentlich und in Gemeinschaft dazu zu bekennen und das Leben danach auszurichten. Das aber gilt dann für alle Religionen; ja, es gilt auch für diejenigen, die keiner Religion angehören. Folglich ist es also die Aufgabe eines Staates, die Freiheitsrechte aller seiner Bürgerinnen und Bürger zu achten und zu garantieren. Es steht ihm nicht zu, über ihre persönlichen Überzeugungen zu bestimmen, seien sie religiös oder nicht.

2. Nicht die Wahrheit hat Rechte, sondern die Person

Dieses Recht auf Religionsfreiheit hat auch die katholische Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in einer eigenen Erklärung („Dignitatis humanae“) feierlich verkündet. Das war allerdings alles andere als selbstverständlich. Denn noch bis ins 20. Jahrhundert hinein stand Rom der Religionsfreiheit und damit auch der Toleranz anderen Konfessionen und Religionen skeptisch gegenüber. Nur der christliche Glaube (und zwar in seiner katholischen Ausprägung) – so dachte man lange Zeit – habe den Anspruch auf Wahrheit. Der Irrtum indessen habe kein Recht. Wohin eine solche Auffassung geführt hat, zeigen die dunklen Seiten unserer Kirchengeschichte: gewaltsame Missionierungen und gnadenlose Verfolgungen derer, die man als Häretiker betrachtete. Nach der Reformation wurde zwar im sogenannten Augsburger Reichs- und Religionsfrieden ausgehandelt, dass es verschiedene Konfessionen geben darf, aber die Menschen waren immer noch gezwungen, sich
zur Konfession ihres jeweiligen Herrschers zu bekennen. Der bekannte Ausspruch dafür lautet: „Cuius regio, eius religio“, auf Deutsch: „wessen Gebiet, dessen Religion“, oder in damaliger Sprache: „wes der Fürst, des der Glaub“. Interessant ist, dass es im kommunistischen Herrschaftssystem der Sowjetunion eine ganz ähnliche Begründung dafür gab, jedwede Religionsausübung zu unterdrücken: „Der Irrtum des religiösen Aberglaubens hat gegenüber der Wahrheit des Atheismus kein Recht auf Dasein…. Volles Daseinsrecht kann nur die Wahrheit, das heißt der Atheismus beanspruchen.“
Nach einer langen Geschichte der Unterdrückung und der Verquickung von Kircheund Staat ist den Konzilsvätern dann aber auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil bewusst geworden, dass niemand – weder der Staat noch die Kirche – das Recht hat, den christlichen Glauben durchzusetzen. Entscheidend dafür war die Erkenntnis, dass nicht die Wahrheit Rechte hat, sondern die Person. „Das Konzil bekennt“ – so heißt es in der Erklärung über die Religionsfreiheit – „dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen…, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungenwird, gegen sein Gewissen zu handeln…“ (DH 2).

Bischof Feige predigt

Diese Freiheit ist in der Würde des Menschen verankert. Nach unserer christlichen Überzeugung ist sie uns von Gott selbst verliehen, weil wir seine Ebenbilder sind. Gott selbst ist es, der danach drängt, dass wir uns auf die Suche nach ihm machen. Deshalb muss jede Gott-Suche geschützt werden. Die Würde der menschlichen Person verlangt danach, sich ungehindert auf diese Suche machen zu dürfen, so wie die drei Weisen aus dem Morgenland. Denn die Wahrheit kann niemals durch Zwang gefunden werden, sondern nur dadurch, dass der Mensch in aller Freiheit auf den Ruf Gottes reagiert. Was aber bedeutet das für uns ganz aktuell?

3. Gegenwärtige Herausforderungen

Zum einen hören wir immer neu von massiven Verletzungen dieses Menschenrechtes. In vielen Teilen der Welt werden Menschen um ihrer Religion willen ausgegrenzt, verfolgt oder gar ermordet. Terrororganisationen oder auch  staatliche Organe überwachen und unterdrücken religiöse Minderheiten, manchmal sogar Mehrheiten, um die jeweils eigene Auffassung von Wahrheit durchzusetzen. In der aktuellen Weltlage sind es gerade Christen, die in erschreckendem Ausmaß Opfer von Diskriminierung und Gewalt werden. Sie brauchen unsere Solidarität durch das Gebet, aber auch dadurch, dass wir zusammen mit verlässlichen Organisationen öffentlich für sie eintreten.

Das heißt aber keinesfalls, dass wir nur das Recht von Christinnen und Christen zu verteidigen haben. Wenn die Religionsfreiheit für alle Menschen gilt, müssen wir auch für die Rechte derer eintreten, die einer anderen Religion oder Weltanschauung anhängen. Ja, das geht sogar so weit, dass wir z.B. auch dann die Rechte von Muslimen schützen müssen, wenn die islamischen Staaten, aus denen sie kommen, ihrerseits die Rechte von Christen ignorieren. In unserer pluralistischen Gesellschaft ist das eine große Herausforderung. So sind derzeit auch so manche Stimmen zu hören, die das Recht auf Religionsfreiheit nur Christen zugestehen wollen. Das ist schon rein juristisch gesehen unzulässig. Aber es entspricht auch nicht unserer christlichen Überzeugung. Denn einerseits glauben wir zwar, dass Gott sich in Jesus Christus einmalig und unwiderruflich mitgeteilt hat. Christus ist für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6). Doch dieser Glaube besagt auch, dass jeder Mensch auf seine Weise Gott sucht, auch wenn dies in der Gestalt einer anderen Religion oder Weltanschauung geschieht. Dieser innere Antrieb der Gott-Suche „ist“ – so Papst Johannes Paul II. – „im Herzen Gottes verborgen, in dem ein universaler Heilswille pulsiert“. Dieser Papst hat auch z.B. auf seinen vielen Reisen immer den Boden des Landes geküsst, in das er gekommen ist. Das geschah aus Ehrerbietung gegenüber den Menschen und gegenüber dem Geist Gottes, der unter ihnen wirkt.

Gott hat seinen Sohn ja nicht nur als Messias für sein auserwähltes Volk in die Welt gesandt. Jesus Christus war von Anfang an das Licht der Völker und der Retter auch der nichtjüdischen Heiden. Deshalb hat er die Sterndeuter aus dem Osten aufbrechen lassen; deshalb bewegt er die Menschen in unserem Land, die mehr oder weniger bewusst danach suchen, wie ihr Leben gelingen kann. Deshalb schlummert er auch in den Herzen derer, die scheinbar überhaupt nichts suchen. Erstaunlicherweise gehört die Mehrheit der Bevölkerung in unserer Region keiner Konfession oder Religion an. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass nun die Religionslosigkeit die Norm darstellt. Deshalb gehört es schließlich auch zur Religionsfreiheit, dass Religion nicht einfach zur Privatsache erklärt wird.

Bischof Feige

Gegenwärtig gewinnt man jedoch manchmal den Eindruck, dass „schon das öffentliche Bekenntnis … eine bisweilen untragbare Zumutung gegenüber einer immer stärker entkirchlichten Gesellschaft“ darstellt (D. Legutke). Zur Religionsfreiheit gehört es, dass der Glaube – im Rahmen der Grundrechte – auch sichtbar gelebt werden darf,  selbst wenn das von anderen als Provokation empfunden wird. Als Christen glauben wir, dass wir das öffentliche Leben mitzugestalten haben, weil „die Welt nicht selbstverständlich ins Gute geführt“ wird (Kardinal Reinhard Marx), sondern es Leute braucht, die sich ausdauernd und fantasievoll für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen einsetzen.

Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern das Fest der Erscheinung des Herrn. Dieses Fest weitet unseren Blick für das Wirken Gottes in allen Völkern unserer Erde, innerhalb unserer Kirche und außerhalb, bei Christen und Nichtchristen, bei Suchenden und bei denen, die vielleicht gar nichts suchen. Lassen wir uns dazu ermutigen, im eigenen Leben den Stern zu suchen und ihm zu folgen. Und wer weiß, vielleicht werden wir dadurch selbst zu einem Stern, der anderen den Weg nach Bethlehem zeigt.

Die Predigt von Bischof Feige zu Epiphanie 2018
(Jes 60, 1-6; Eph 3,2-3a.5-6; Mt 2, 1-12)

 

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