Matthias Brenner im Interview | Teil 1

18. März 2020 | Kultur | 4 Kommentare

Der Vertrag mit Matthias Brenner wurde um weitere 5 Jahre verlängert. Was war? Was kommt? HalleSpektrum sprach mit dem Intendanten des neuen theaters.

HalleSpektrum: Herr Brenner, im nächsten Jahr geht Ihre zweite Amtszeit zu Ende. Sind Sie zufrieden?

Matthias Brenner: Zufrieden ist man ja nie, aber ich bin ganz froh. Das war eine sehr spannende und nicht ganz so einfache Zeit. Zuerst mal: Man könnte vermuten, dass mich die relativ große Anzahl unkündbarer Schauspieler, das war noch ein Erbe von Peter Sodann, gestört hätte. Aber wenn mich das gestört hätte, wäre ich nicht nach Halle gekommen. Ich fand das sogar ganz sympatisch. Denn erst mal wird gegessen was auf den Tisch kommt und dann muss man sehen, was daraus wird. Von den Schauspielern, die hier waren, hätte ich selber welche engagiert, wenn sie nicht schon hier gewesen wären. Ich wollte eine Brücke schaffen zwischen den sogenannten Unkündbaren und den neuen Kollegen.

HalleSpektrum: Also ein Neubeginn mit Tradition?

MB: Ich wollte damals gar keinen Neubeginn, der einzige Neubeginn war ich. Ich habe mich selbst nicht unter Druck gesetzt und bin ganz unaufgeregt dran gegangen.

HalleSpektrum: Es gab gar keine Widrigkeiten?

MB: Das erste Problem war die Schließung des Thalia-Theaters und letztendlich die Übernahme in unser Haus. Meine Devise war: Wir gehen in die gleiche Kantine und auf die gleichen Klos, aber ihr habt eine eigene Maske und eigene Garderoben, damit die Souveränität der Ensembles gewahrt wird. Nach und nach haben wir die Thalia-Kollegen direkt in die Abendspielpläne integriert. Im Gegenzug haben nt-Schauspieler im Thalia mitgewirkt. Das war alles nicht angeordnet, sondern ergab sich einfach. Und war am Ende ein Glücksfall, denn dadurch wurden verschiedene Sparmaßnahmen wesentlich gemildert und wir hatten eine echte Durchmischung. Es gab kleine Konkurrenzen, ensembleübergreifende Verliebtheit – das war schon schön.

Ja, und dann kamen die berühmten Sparmaßnahmen. Das waren dann kein Spaß mehr, sondern harte Herausforderungen und Auseinandersetzungen.

HalleSpektrum: Sie haben einiges, was zur Tradition des neuen theaters gehört, weiter geführt?

MB: Ich habe das nt, auch aus seiner Entstehung heraus, immer als ein gesellschaftlich engagiertes Haus verstanden. Und deshalb habe ich drei Traditionen übernommen. Den ersten Mai, den Bürgerpreis „Der Esel der auf Rosen geht“ und die Silvesterfeier. Das möchte ich alles nicht missen. Und künstlerisch natürlich das Spielen im Sommer und im Winter im Hof des nt.

HalleSpektrum: Waren Sie irgendwann an einem Punkt, wo Sie lieber das Handtuch geworfen hätten?

MB: Ja, das gab es natürlich auch und ist mir auch an anderen Theatern passiert, wenn man mit sich und den Umständen nicht so richtig einig war. Aber das habe ich dann im Wesentlichen für mich behalten. Und es gab immer Leute, denen ich mich anvertrauen konnte.

HalleSpektrum: Sie haben zwar an sehr vielen Theatern gespielt und Regie geführt. Aber Halle war Ihre erste Intendanz. Da macht man doch Fehler?

MB: Mein Rückblick fällt natürlich auch selbstkritisch aus. Es gibt einen Grundfehler, den ich bald gespürt habe. Ich wollte zu viel, bin ganz viel auf die Wünsche der Leute eingegangen und wollte sie erfüllen. Und habe zu spät gemerkt, dass ich da auch an meine Grenzen komme. In der Durchsetzung bestimmter Dinge. Also zum Beispiel, dass ich das eine oder andere Stück nicht machen konnte, weil es einfach nicht bezahlbar war. Also musste ich lernen, auch mal zurückhaltender zu sein. Außerdem war wichtig zu lernen, dass man nicht allen alles erzählen kann.

HalleSpektrum: Das nennt man wohl Diplomatie.

MB: Ja, die musste unbedingt dazu kommen. Ich musste auch lernen, mit den Politikern in Stadt und Land umzugehen. Das war nicht unbedingt meine Erfahrungswelt. Ich will nicht sagen, dass mir das jetzt Spaß macht, aber ich habe meine Ängste davor verloren. Was natürlich auch an den Leuten liegt, die mich einfach ausgehalten haben. Auch meine emotionalen Ausdampfungen werden nicht ganz so persönlich genommen. Es gab immer genügend Leute, die meine Arbeit schätzten und deshalb auch Schutz boten. Auch meine Beziehung zu unserem damals neuen OB hat sich inzwischen zu einer Vernunftpartnerschaft entwickelt. Im sachlichen Sinne sind wir durchaus kritisch zueinander, aber im östlichen Sinne kritisch – also sachlich und nicht ablehnend.

Mich zu der Regionalpolitik zu verhalten ist also praktisch zu meiner zweiten Haut geworden, obwohl ich da gar nicht angepasst bin.

HalleSpektrum: Welche waren Ihre Künstlerische Höhepunkte?

MB: Zuerst gab es die gar nicht. Meine ersten Arbeiten waren vielleicht nicht schlecht, aber ich war in mir schon weiter als in den ersten Inszenierungen. Ich musste zwei Inszenierungen im Jahr machen und dieses Haus entwickeln und das verlangt eben auch Konzentration. ZSCHERBEN, EIN DORF NIMMT AB war meine erste Arbeit. Das war eine klare Ansage an das Ensemble und eine Stückentwicklung. Das Ergebnis… weiß ich nicht. Dann kam WOYZEK in der Fassung von Tom Waits, auch da reiften einige Blütenträume noch nicht. Die war zwar nicht schlecht, hatte aber nicht den Sog für die Zuschauer, den ich mir erhoffte. Bei MARIA STUART merkte ich dann, dass ich nach zweieinhalb Jahren hier auch angekommen bin. ANGST ESSEN SEELE AUF war für mich sehr wichtig, auch die FAUST-Arbeit. Und meine letzte Arbeit die VÖGEL sind ein Höhepunkt meiner gesamten Zeit, die ich jetzt hier bin.

HalleSpektrum: Gibt es einen Regisseur oder ein anderes Theater, an dem Sie sich orientieren?

MB: Ich war immer drauf aus, mal zu schauen, was mich als jüngerer Mensch so fasziniert hat. Woran man sich so orientiert hat als Mensch, der noch nirgendwo angekommen war. Ich war ein wahnsinniger Fan des Deutschen Theaters in Berlin, schon während der Studienzeit. Ich denke bis heute: Jeder Schauspieler, der sagt, er will nicht ans Deutsche Theater, der lügt. Mich hat diese Leichtigkeit so fasziniert, egal, welche Themen da beackert wurden. Es ging also hier darum, in aller Ruhe sich selbst zu entwickeln, das Ensemble zu entwickeln, neue Leute zu holen, andere gehen zu lassen. Man muss auch lernen, sich von dem einen oder anderen zu trennen ohne beleidigt zu sein.

HalleSpektrum: Ein wenig Enttäuschung ist aber schon dabei, oder?

MB: Ja, klar. Zwei, drei Menschen haben mir schon unerwartet weh getan. Aber das muss man aushalten, das gehört dazu. Dafür bekomme ich auch ein paar Euro mehr Gehalt.

HalleSpektrum: Wie empfinden Sie das Hallesche Publikum?

MB: Da mussten wir auch viel lernen. Ich kann mich noch gut erinnern an zwei Geschichten, die Titel von Stücken betreffend. Im Spielplan war EIN KÖNIGREICH FÜR EINEN BALL, von Jörg Steinberg inszeniert. Eine gute Mischung zwischen Theater und Fußball. Das war ein Riesenerfolg der Shakespeare-Company. Sven Köhler, der damalige Trainer des HFC, wollte mit seinem Team kommen. Aber als wir uns im Biergarten trafen sagte er: „Na ja, Tanztheater ist nicht so unser Ding.“ Er verstand also Ball im Sinne von Opernball oder so. Das haben ganz viel so falsch verstanden.

Zweites Beispiel: „Weltall, Erde, Mensch“ – das war ein Songabend.

Zwei Gespräche mit Zuschauern sind mir in Erinnerung: „Jetzt wollt ihr uns wohl nachträglich noch eine reinhauen?“, war die eine Meinung. Und die andere: „Wollt ihr dieses Sch…-Thema nicht mal beenden?“ Das war nach zwei Jahren die erste Premiere, die nicht ausverkauft war. Später lief diese Inszenierung hervorragend.

Also das Hallesche Publikum ist schon speziell, aber sehr sympatisch.

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