Der Liebesverrat

24. September 2017 | Kultur, Rezensionen | Keine Kommentare

Wenn von den Nibelungen die Rede ist, dann meist als „urdeutscher Mythos“. Das „Urdeutsche“ kommt in der Inszenierung von Matthias Brenner nur in der bayrischen Variante und am Rande vor: in den Trachtenjankern, die am burgundischen Hof getragen werden. Trotzdem ähneln die älteren „Recken“ um König Gunther irgendwie Honecker und der König sieht aus wie sein eigener Oberförster, kurz: Hier herrschen Mittelmaß und Langeweile. Bis Siegfried erscheint. Alexander Gamnitzer spielt ihn als frischen, unbekümmerten Draufgänger, der weiß, dass er sowieso nicht zu schlagen ist: Schließlich hat er in Drachenblut gebadet und verfügt über Zauberschwert und Tarnkappe. Nun möchte er Kriemhild, Gunthers Schwester, zur Frau, doch der willigt nur ein, wenn Siegfried ihm mit seinem magischen Equipment hilft, die schöne, mit normalen Mitteln unbesiegbare Brunhild (Sybille Kreß im schwarzen Leder) zu gewinnen.

Keine Bösewichter

Siegfried (Alexander Gamnitzer) und Kriemhild (Annemarie Brüntjen)

Mit diesem Deal kommt das Verhängnis in Gang. Die erste Täuschung zieht die nächste nach sich, denn natürlich ist Gunther (Nils Thorben Bartling) zu schwach, die starke Brunhild auch im Bett zu gewinnen, und so muss Siegfried mit seiner Tarnkappe noch mal einspringen, wenn auch widerwillig. Um Kriemhild nicht belügen zu müssen, bricht er das Gunther gegebene Schweigewort und sein Verrat hat den nächsten, schmerzhaftesten Verrat zur Folge: den Liebesverrat. Der alle ins Verderben stürzen wird.

Wie solch ein tödlicher Mechanismus abläuft, das zeigt Brenner in seiner Inszenierung präzise und psychologisch überzeugend. Bösewichter braucht er dazu nicht. Selbst Hagen (eindringlich gespielt von Enrico Petters) ist ein redlicher und loyaler Mann, der klarer als die anderen sieht, dass Siegfried geopfert werden muss, soll Gunther nicht fallen. So luchst er seiner Nichte Kriemhild (frisch und anrührend: Annemarie Brüntjen), die ihn liebt und ihm vertraut, das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit ab. So schlecht fühlt er sich dabei, dass er sich anschließend übergeben muss. Und auch Kriemhild erschrickt am Ende über die Unerbittlichkeit ihrer Rache. Wie eng in dieser Geschichte Liebe und Rache verknüpft sind, zeigt sich im Tod Hagens, der als liebende Umarmung der beiden Kontrahenten gezeigt wird.

Leichtigkeit und Witz

Bühne: Nicolaus-Johannes Heyse

Eine schöne, temporeiche und ästhetisch klare Inszenierung von Matthias Brenner, unterstützt durch Nicolaus-Johannes Heyses Bühnenbild: zwei übereinander geordnete weiße Rampen, die das Spiel auf mehreren Ebenen ermöglichen und hinter denen die Darsteller artistisch hervorschnellen und ebenso schnell wieder verschwinden können. Abgesehen vom kompromittierenden Keuschheitsgürtel Brunhilds, der einmal laut auf die Bühne poltert, und den Benzinkanistern, die am Schluss herbeigeschleppt und zur Vernichtung der Burgunder geleert werden, wird auf Requisiten weitgehend verzichtet: Statt Pappschwerter zu schwingen, agieren die Darsteller pantomimisch. Das verleiht  der Inszenierung Leichtigkeit, Witz und sogar komische Momente. Wie etwa das synchrone Agieren der beiden kleinen Brüder oder  die Schwächeanfälle Gunthers, der, würde er nicht von Hagen gehalten, wie eine Zinnfigur umkippen würde.

So ist es Matthias Brenner und seinem starken Ensemble gelungen, das zeitlos Gültige des Dramas von Friedrich Hebbel ins Heute zu holen. Auch durch eine kluge und rigorose Kürzung der Trilogie auf drei Stunden (nur der letzte Teile hätte noch beherztere Striche vertragen) sowie durch eine kleine Veränderung in der Figur der Königsmutter Ute (Bettina Schneider), die zugleich auftritt als Berichterstatterin über die Haager Friedenskonferenz 1907. Die scheiterte, weil sich die Staaten nicht auf konkrete Schritte zur Abrüstung einigen konnten. Wo Beziehungen auf Machtstreben, Selbstüberschätzung und Trug gegründet sind, ist Frieden nicht zu gewinnen – wie in der Familie so auch in der Politik.

Eine tiefer, dennoch unterhaltsamer Abend.  Und eine gelungene Eröffnung der neuen Spielzeit, die Lust macht auf das Kommende.

            Nächste Vorstellungen: 6. / 7. sowie 28. / 29. Oktober, jeweils 19.30 Uhr

Eva Scherf

 

 

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