Bischof Feige über die >Zeichen der Zeit<

6. Januar 2020 | Kultur | Keine Kommentare

Woran orientieren sich Menschen?, fragt sich Bischof Feige des Kath. Bistums Magdeburg, zu dem auch unsere Gemeinden in Halle gehören, und führt in seiner heutigen Predigt zu zu Epiphanie 2020, Jes 60, 1-6; Eph 3,2-3a.5-6; Mt 2,1-121, weiter aus:

Wer mit dem Auto unterwegs ist, befragt heutzutage meistens seinen Navigator. Ebenso erkunden viele, die zu Fuß gehen, inzwischen eine ihnen fremde Stadt mit Hilfe ihres Smartphones. Zu diesen äußeren Orientierungen kommt die innere Suche hinzu. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit und zu Beginn des neuen Jahres fragen sich viele Menschen, woran sie sich halten können und worauf sie sich ausrichten sollen. Und da gibt es eine Fülle von Möglichkeiten zwischen „Säkularisierung, Esoterik und Patchworkglauben“, wie es auf einer Homepage heißt (www.brgdomath.com). SiebzigProzent der Deutschen sind derzeit Mitglied einer Kirche oder einer religiösen Vereinigung; bei den Christen unter 30 Jahren hält aber nur die Hälfte die Existenz Gottes für entscheidend. Worauf gründet sich ihrGlaube, wenn nicht auf Gott? Für viele ist es die Familie, die ihnen Halt und Orientierung gibt. Andere orientieren sich an den Gesetzen der Natur, wieder andere an den Ergebnissen der Wissenschaft. Manche belegen Kurse, in denen sie Anleitungen zur Achtsamkeit oder zur Meditation bekommen. Wieder andere schauen auf Horoskope oder rufen bei „Astro TV“an und hoffen, von dorteine persönliche Orientierung zu bekommen. Nicht wenige sehen ihren Sinn darin, sich aktiv für Gerechtigkeit und Frieden zu engagieren, oder für Menschen, die in Not sind. Und wieder andere erhoffen sich angesichts der vielen Krisen in unserer Welt eine charismatische Persönlichkeit, die ihnen zeigt, wo es lang geht. Ja, wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt rasant verändert. Alles wird immer komplexer und unübersichtlicher. Mehr denn je brauchen wir Fixpunkte, die uns den Weg durch das Dickicht an immer neuen Informationen, Möglichkeiten und Gefahren weisen.

Diese Sehnsucht, sich in der Welt zurechtzufinden, ist natürlich keineswegs nur ein modernes Phänomen. Die Forschung geht davon aus, dass Menschen schon vor 120.000 Jahren nach Zeichen gesucht haben, die ihnen Orientierung geben. Auch im heutigen Evangelium werden uns solche Bemühungen vor Augen geführt. Sterndeuter aus dem Osten haben einen neuen Stern entdeckt. Sie ahnen, dass er sie zu der Wahrheit weisen könnte, nach der sie forschen. Der Stern wird für sie zu einem „Lockruf der Gnade“(Zweites Vatikanum, PO 18). 2.Indem diese Sterndeuter ihrer Suche auf den Grundgehen, finden sie das Kind in der Krippe, den Retter der Welt. Dabei zeigt sich im Nachhinein, dass Gott sie auf diesen Weg geführt hat. Denn Gott spricht nicht nur durch sein Wort, dasuns überliefert ist, sondern auch durch die Erfahrungen, die wir Menschen machen. Er spricht in unseren Wünschen und Sehnsüchten, und er spricht durch die Ereignisse in der Welt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat für dieses oft verborgene Wirken Gottes den Begriff „Zeichen der Zeit“ geprägt. Die Kirche habe, so heißt es da, „allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen … und in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen der Menschen … zu unterscheiden, was wahre Zeichen der Gegenwart und Absicht Gottes sind“ (GS 4 / GS 11).Denn es ist ja nicht alles und jedes gleich schon ein „Zeichen der Zeit“. Solche Zeichen sind nicht immer eindeutig. Wo zeigt sich z.B. Gott in der heutigen Suche so vieler Menschen nach Orientierung? Was steckt in der Sehnsucht vieler Menschen nach Achtsamkeit? Führt diese zu größerer Tiefe und Reife, zu einem liebevolleren Umgang mit anderen und mit der ganzen Schöpfung? Oder führt sie dazu, dass der Mensch bei sich selbst stehen bleibt? Und was ist mit der medizinisch-technischen Entwicklung, mit der immer mehr machbar erscheint? Was daran dient dem Leben –und wo geht es eher darum, unsere Endlichkeit zu verdrängen? Ja, „manches, was Frieden, Wohlergehen oder Freiheit verspricht, erweist sich in Wirklichkeit als gefährlich und zerstörerisch“ (Daniel Kosch).

Das heißt nun aber keinesfalls, dass wir Christen von vornherein skeptisch sein sollten, wenn etwasnicht unserer eigenen Überzeugung entspricht. Schon Papst Johannes XXIII. hat vor den „Unglückspropheten“ gewarnt, die überall nur Missstände und Fehlentwicklungen wittern. Gott spricht zu anderen Menschen ja vielleicht gerade auch in Bildern und Vorstellungen, die uns fremd sind. Seine Gnade wirkt auch außerhalb der Kirchenmauern. Nicht umsonst bitten wir im IV. Kanon des Hochgebets: „…für die hier versammelte Gemeinde, … für dein ganzes Volk und für alle Menschen, die mit lauterem Herzen dich suchen.“Deshalb gilt es, in dem, was die Menschen um uns herum bewegt, in dem, was ihnen Orientierung gibt, die Spuren Gottes zu erkennen. Auch sie sind Gottes geliebte Töchter und Söhne.

Ein solcher Blick auf die Wirklichkeit ist dann auch alles andere als eine –wie man von manchen Personen hören kann –billige „Anpassung an den Zeitgeist“. Sie haltenbestimmte Traditionen für heilig und verteufeln von vornherein jegliche Reformversuche.Hierbei sollte man sehr gut differenzieren.Hilfreich ist dazu, was der französische Theologe Yves Congar einmal zu bedenken gegeben hat. Er unterscheidet nämlich zwischen der Tradition und den Traditionen. Unter der einzigartigen Tradition versteht er die unüberbietbare Offenbarung Gottes in Jesus Christus, die kontinuierlich, treu und lebendig durch den wechselvollen Lauf der Geschichte weiterzugeben ist. Dazu genügt es aber nicht, die bisherigen Glaubenslehrenund kirchenrechtliche Vorgaben einfach nur zu wiederholen oder Riten fehlerfrei nachzuvollziehen. Notwendig ist es vielmehr, die christliche Botschaft immer wieder in veränderte Verhältnisse neu zu übersetzen und möglichst vielen verständlich zu machen. Um wirklich apostolisch zu bleiben, braucht es die ständige Erneuerung im heiligen Geist, muss nicht nur darauf geachtet werden, was Jesus gewollt hat, sondern auch, „was die jeweilige Zeit von uns verlangt“( Bernhard von Clairvaux). Dabei können Sitten und Bräuche entstehen, die dem Glauben im jeweiligen Kontext einen lebendigen Ausdruck verleihen, für die Nachwelt aber nicht unbedingt erforderlich oder bedeutsam bleiben müssen. In vielen solchergeschichtlich und kulturell bedingten Traditionen kam sicher die wahre Tradition zum Tragen; andererseits spiegeln sie gewissermaßen aber auch den Zeitgeist vergangener Epochen wider und sind durchaus veränderbar.

Dazu gehört z.B. das Weihnachtsfest am 25. Dezember. Dieses Datum wurde im 4. Jahrhundert festgelegt, vom damaligen Zeitgeist beeinflusst als Reaktion auf ein heidnisches Fest, das am selbenTag stattfand. Weihnachten könnte also ohne weiteres in den Sommer verschoben werden, ohne dass etwas Wesentliches unseres Glaubens angetastet werden würde. Wenn man in die Weltkirche schaut, feiern unzählige Christen Weihnachten auch nie im Winter. Liebe Schwestern und Brüder, schauen wir also genau auf unsere Zeit und auf unsere Welt. Welche Veränderungen sind auch in unserer Kirche notwendig? Verantwortungsbewusste Überlegungen und Entscheidungen sind erforderlich.Und das Evangelium ist dabei das Gewissen der Kirche. Es hilft uns zu erkennen, ob wir in der lebendigen Tradition der Apostel treu zu Jesus Christus stehen oder uns eher in sehr irdischen Ausdrucksformen und Denkweisen verkrampfen. Auf keinen Fall ist das, was vom Zeitgeist vergangener Jahrhunderte geprägt wurde, von vornherein besser als das, wozu uns heutige Erfordernisse und Möglichkeiten führen können. Auch heute ist der sogenannte Zeitgeist nicht nur ein negatives Phänomen. In ihm, mit ihm und durch ihn kann nämlich immer noch der Heilige Geist wirken und uns als Kirche etwas sagen. Halten wir Ausschau nach den „Zeichen der Zeit“. Prüfen wir, inwieweit sich Gott in ihnen verbirgt. Schließlich singt auch die orthodoxe Kirche zu Weihnachten: „Einem Stern schienen die Magier nach Meinung der Menschen zu folgen, doch in Wirklichkeit führte sie Gottes liebende und rettende Kraft“.

Den Menschen diese liebende und rettende Kraft zu erschließen und mit ihnen zusammen eine Lösung für die wichtigsten Fragen unserer Zeit zu suchen (vgl. GS 10 und 41): dafür sind wir als Kirche da.

Foto: Sperling. Text: Bischof Feige, Bistum Magdeburg

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