Formicozän statt Anthropozän? (3.Teil)

10. Juli 2021 | Bildung und Wissenschaft, Nachrichten | Keine Kommentare

Nest der Roten Waldameise (aus Brehm: Das Leben der Tiere)

Ameisen kommunizieren miteinander vorwiegend auf chemischen Wege. Das machen sie in unseren Augen äußerst perfekt. Sind die Ameisen soziale Genies? Zu den Leistungen eines Ameisenvolkes wäre eine einzelne Ameise niemals fähig. Gemeinsames Handeln ermöglicht die Abwehr von Gefahren, die Begrenzung von Schäden, Jagderfolge, Anlegen von Vorräten u.v.m.. Das  komplexe Organisationsgefüge hat bei genauerem Hinsehen allerdings Schwachstellen und Lücken. Es beruht auf zumeist einfachen Signalen, die leicht imitiert werden können. Einigen Ameisengästen, sogenannten Myrmekophilen, gelingt es so, den Ameisensozialstaat ein Leben lang auszunutzen. Ameisennester können Gästen Schutz und Nahrung bieten. Einige Gäste sind im Verlaufe der Evolution sogar vollständig abhängig geworden vom Zusammenleben mit den Ameisen, wie z.B. der Keulenkäfer, der blind und lahm von den Ameisen versorgt wird, die dafür aber mit einem sehr begehrten Sekret belohnt.  

Ameisengast (aus Brehm: Das Leben der Tiere)

Ameisennester bieten umweltfreundliche Umgebungen, die gut organisiert und geschützt sind. Es gibt einige tausend Myrmekophile, denen es gelungen ist, den Wohnkomfort im Ameisennest gefahrlos für sich zu nutzen. Sehr kleine Mitbewohner wie die Silberfischchen sind meist harmlos, aber flink und entgehen den Ameisen durch erfolgreiche Flucht. Einige Milbenarten werden geduldet, weil sie Verunreinigungen und Bakterien entsorgen. Trickreich lassen sich dagegen Ameisenkäfer in die Nester einschleusen: Sie legen Eier in Nestnähe und „panieren“ sie mit Kotstücken. Die Ameisen tragen die präparierten Eier gutgläubig ins Nest und versorgen die heranwachsenden Käferlarven.

Die Raupen von Bläulingen nutzen den Schutz des Ameisennestes und das Angebot an frischer Ameisenbrut für ein erfolgreiches Heranwachsen. Einige Glanzkäfer sind dick und glatt gepanzert, so dass ihnen beißende Ameisen nichts anhaben können. 

Auch zwischen Pflanzen und Ameisen haben sich vielfältige Beziehungen gebildet. Meist bieten die Pflanzen schützenden Wohnraum. Dafür halten die Ameisen die Nachbarschaft der Pflanze frei von konkurrierendem Bewuchs.

Ameisen leben in einem dezentralen System. Es gibt keinen Chef oder Boss, und auch kein Hauptquartier in dem alle Informationen zusammenlaufen. Es gibt nur sehr lokal begrenzte Informationen. In den Kolonien besteht eine klare Arbeitsteilung. Alle Ameisen sind nur innerhalb der Kolonie lebensfähig.

Im Zentrum steht die Königin. Männchen sind vergleichsweise unbedeutend und werden nur beim Hochzeitsflug gebraucht. Die Kolonie bildet einen Superorganismus, der Leistungen vollbringt, zu denen ein einzelnes Tier nicht in der Lage wäre. Vergleicht man den Ameisen-Superorganismus mit einem Körper, dann entsprechen die Arbeiterinnen den Körperzellen. Wie Muskel-, Gehirn-, oder Lungenzellen sind sie auf verschiedene Aufgaben spezialisiert. Die Königin ist dagegen vorrangig als Ovar zuständig für die Produktion von Nachkommen. Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieses Superorganismus ist die Selbstaufgabe der einzelnen Tiere. Die weiblichen Arbeiterinnen, z.B., kümmern sich sich um die Brut der Königin und verzichten dabei auf eigene Nachkommen.

Den evolutionären Erfolg der Ameisen analysieren Soziobiologen. Sind wir Menschen vielleicht nur höherentwickelte Ameisen? Wohl nicht. Wir haben die Fähigkeit zur freien Entscheidung, auch gegen unsere Anlagen und Natur.

(H. J. Ferenz)

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