Tullner, was tun? Minister will Inklusion bremsen

10. November 2017 | Bildung und Wissenschaft | 3 Kommentare

Heute Abend versammelten sich ca. 270 Lehrkräfte aller Schulformen, Schulleiter, Gewerkschaftsvertreter der  GEW und auch einige Eltern sowie wenige Schüler, um ihren Bildungsminister zu befragen. Eröffnet wurde die Veranstaltung der Mitteldeutschen Zeitung durch Herrn Augustin, moderiert wurde der vollbesetzte Saal der Leopoldina durch Herrn Eichler. Nach einer kurzen Einführung durfte  das Publikum Fragen stellen.

Der Druck schien groß, denn die Schlange der Wortmeldenden vor dem Mikrofon  war lang. Die erste Frage zielte dann auch gleich auf die Unterrichtsversorgung ab. Eine Schulleiterin einer Grundschule in Bad Dürrenberg wollte wissen, warum die Unterrichtsversorgung durch den Einsatz von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst abgesichert werden soll. Die Absolventen der ersten Ausbildungsphase müssen nur wenige Wochen nach Beginn der Ausbildung eigenverantwortlich unterrichten. Der Minister lobpreist die Lehrerausbildung in der DDR. Dort seien Lehrer nach 5 Jahren Ausbildung sofort in den Unterricht gegangen. Er findet diese Maßnahme verantwortbar.

Eine Sekundarschullehrerin der Gemeinschaftsschule August Herrmann Francke sieht das anders . Sie schildert eindringlich die Situation an ihrer Schule, in der jedes Kind Unterstützung benötigt. Die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst treffen nicht nur an dieser weiterführenden Schule, wie eine weitere Sekundarschullehrerin bestätigt, auf 25 oder mehr Schüler. Davon gäbe es bis zu 6 Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf, sowie 5 Kinder mit Migrationshintergrund. „Wie viele Lehrer stehen vor der Klasse?“, wird der Minister gefragt. Diese Kinder erhalten keine Unterstützung durch eine Förderschullehrerin. In solchen Klassen steht nun die junge Lehrkraft im Vorbereitungsdienst und soll dieser Heterogenität gerecht werden. „Man darf die jungen Leute nicht allein lassen“, wird an den Bildungsminister appelliert. Mentorinnen können so als Ausbildner ihrer Aufgabe nicht gerecht werden.

Tullner: „Wenn man fünf Jahre studiert hat.. „

Der Minister bleibt dabei: „Wenn man 5 Jahre studiert hat, kann man die Leute ermutigen ein paar Stunden eigenverantwortlich zu unterrichten“.  (Anmerkung der Redaktion: Tatsächlich sind es vier Wochen nach Beginn der Ausbildung mehr als die Hälfte aller Stunden).

Eine junge Lehrerin, die vermutlich vor kurzem ihren Vorbereitungsdienst beendet hat, entgegnet: „Wenn sie nicht die Unterstützung der Mentorinnen gehabt hätte, würde sie heute nicht hier stehen. Junge Leute würden als Versuchskaninchen missbraucht.
Das ist zum Abgewöhnen.“

„Wir müssen an die Lehrerausbildung ran. Man kann nicht fünf Jahre Trockenschwimmen“ entgegnet Herr Tullner, er sei aber dafür nicht zuständig. Er versichert, dass er  das im nächsten Schuljahr ändern werde, wenn die Rückmeldung der Schulen nach einem Jahr negativ sei.

Eva Gerth (GEW) bescheinigt dem Minister Augenwischerei, mit diesem eigenverantwortlichen Unterricht soll doch die Unterrichtsversorgung abgesichert werden.

Herr Tullner bestätigt dies, mittlerweile stehend, sichtlich aufgeregt.

Ein Berufsschullehrer will wissen: „Wie kriegen wir bessere Chancen für benachteiligte Schülerinnen hin?“.

Der Minister ist gegen Inklusion, Leute !

Tullner: „Leute, man sagt die Heterogenität hätte höhere Dimensionen angenommen“.

Inklusion sei ein hehres Ziel der UN Behindertenrechtskonventionen. Er sei aber sicher, die meisten Menschen sähen das skeptisch und er würde gern eine Abstimmung im Saal zu diesem Thema machen. Es gäbe aber „auch ein paar Fans“, so der Bildungsminister. Seiner Meinung nach helfen Förderschulen beim Bildungserfolg. Deshalb will er Förderschulen im Land halten. Er favorisiert das Konzept der wohnortnahen Förderschulen. Er möchte „Inklusion verlangsamen“. Auf den Einwand was dann mit dem Elternwahlrecht geschähe, entgegnet der Minister, dass seriöse Beratung nicht einseitig auf den gemeinsamen Unterricht orientieren könne. „Über Inklusion kann man nicht abstimmen“, entgegnet Eva Gerth (GEW). Sie unterstellt einen fehlenden Willen zur Inklusion. Man habe 100 Stellen im Sommer nicht besetzen können, aber gleichzeitig 100 Quereinsteiger gehen lassen.

Auf die Frage einer Lehrerin im Ruhestand, ob der Herr Minister sich für einen Nachtragshaushalt noch in diesem Schuljahr einsetzen würde, antwortet Herr Tullner, dass er den Finanzminister nicht zu einem Nachtragshaushalt zwingen könne.

Trotz teilweise großen Unmuts im Plenum honorierte eine Lehrerin den Willen des Bildungsministers, sich den Fragen der Lehrkräfte zu stellen.

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