400 Demonstrantinnen und Demonstranten protestieren gegen Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Halle

2. Dezember 2017 | Nachrichten | Keine Kommentare

Am heutigen Samstag zogen 400 Demonstrantinnen und Demonstranten unter dem Motto  „Oury Jalloh – Aufklärung jetzt!“ durch die Innenstadt von Halle (Steintor, Markt, Hallmarkt, Riebeckplatz). Aufgerufen hatten dazu Bündnis „Oury Jalloh – Aufklärung jetzt!“, Arbeitskreis Kritischer Jurist_innen Halle,
Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage, AK Aufklärung im Fall Oury Jalloh, AK Protest des Studierendenrates der Universität Halle, Offenes Antifaplenum Halle
Interventionistische Linke Halle, No Lager Halle. antirassistisch – solidarisch – aktiv für die Rechte von Flüchtlingen, Geko – Gesellschaftskritische Odyssee, Prisma. Interventionistische Linke Leipzig, GRÜNE JUGEND Halle und der SDS Halle.

In der Stellungnahme der Demonstrationsorganisatoren heißt es:

„In Redebeiträgen und Sprechchören kritisierten sie die Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Todesfall Oury Jalloh und wiesen darauf hin, dass unabhängige Gutachterinnen und Gutachter etwa aus dem Bereichen Brandschutz und Toxikologie in den vergangenen Jahren immer wieder die offizielle These von der Selbstentzündung Jallohs fachlich in Frage gestellt haben. Das gilt auch füre jene Sachverständigen, die die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau – wie der WDR am Mittwoch berichtet hat – im Februar im Rechtsmedizinischen Institut der Uni Würzburg um ihre Einschätzung zu den vorliegenden Beweisstücken und Erkenntnissen bat. Auch diese, so heißt es, haben die Selbstentzündungsthese grundsätzlich ausgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund wurde die offensichtlich bewusste Falschdarstellung der Sachverständigenmeinungen in der veröffentlichten Begründung der Staatsanwaltschaft Halle ebenso als Skandal angeprangert, wie die zu vermutende politische Einflussnahme des Justizministeriums hinter den Kulissen. Unser Bündnis sieht im Handeln der Staatsanwaltschaft in jedem Fall einen eklatanten Verstoß gegen das Legalitätsprinzip (des Paragraphen 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung).
In Redebeiträgen wurde darauf verwiesen, dass ein Gericht in Dessau ausdrücklich festgestellt hatte, dass Polizisten die Ermittlungen sabotiert und vor Gericht gelogen haben. Nicht nur deshalb jedoch habe man die offizielle Version von einer Selbstentzündung Jaloohs nie geglaubt. So hieß es im Aufruf zur Demonstration, diese werde „angezweifelt, weil der obdachlose Mario Bichtemann 26 Monate zuvor in der gleichen Polizeiwache mit einem Schädelbasisbruch tot in der Zelle aufgefunden worden war und Ermittlungen zu seinem Tod ergebnislos eingestellt wurden.
Sie wird zudem angezweifelt, weil das Feuerzeug, mit dem Jalloh angeblich die Matratze entzündet haben soll, erst drei Tage später entdeckt wurde und an diesem weder DNA-Spuren noch Gewebereste seiner Kleidung gefunden worden sind. Sie wird angezweifelt, weil ein Polizist vor Gericht ausgesagt hat, dass er wenige Minuten vor dem Brand zwei Kollegen in Jallohs Zelle angetroffen habe. Sie wird angezweifelt, weil der Dienststellenleiter Andreas Schubert bewiesenermaßen mehrfach den Brandmelder ausschaltete und ignorierte. Sie wird angezweifelt, weil ein Nasenbeinbruch Jallohs erst bei einer von der Familie veranlassten zweiten, und nicht in der ersten Obduktion festgestellt wurde. Sie wird angezweifelt, weil eine Anwesenheitsliste und Videoaufzeichnungen aus der Wache verschwanden und nicht mehr gefunden wurden. Sie wird angezweifelt, weil […] es Hinweise darauf gibt, dass Zeuginnen und Zeugen aus den Reihen der Polizei manipuliert und eingeschüchtert wurden. […]
Sie wird nicht zuletzt angezweifelt, weil Rassismus, Gewalt und Korpsgeist in den Reihen der Polizei keine Ausnahme darstellen. Andreas Schubert und Revierarzt Andreas Blodau hatten nach Jallohs Verhaftung gescherzt, man brauche eine ‘Spezialkanüle’, um den ‘Schwarzafrikaner’ zu ‘pieksen’.  Von einem Kollegen über den Brand in Jallohs Zelle benachrichtigt, sagte ein Dessauer Polizist: ‘Ja, ich hätte fast gesagt: gut. Alles klar, schönes Wochenende, ciao, ciao.’ Und wenige Wochen nach der Tat scherzte ein hochrangiger Polizeibeamter der Polizeidirektion Süd in Halle, ‘Schwarze brennen eben länger’.”
Gerade vor diesem Hintergrund wurde auf der Demonstration auch auf die institutionelle Dimension verwiesen. Zum einen kritisieren wir institutionellen Rassismus, der sich in Maßnahmen wie dem „racial profiling“ ausdrückt oder in der Blindheit der Polizei bei den Ermittlungen nach den NSU-Morden – wo nachweislich immer zuerst  und oft ausschließlich im Umfeld der Opfer ermittelt wurde. Der institutionelle Rassismus ist dabei verschränkt mit dem Alltagsrassismus einzelner Polizisten.
Gleichzeitig herrscht in den Reihen der Polizei eine Kultur der Straffreiheit und des Täterschutzes – PolizistInnen haben nicht nur oft das Gefühl, über dem Recht zu stehen – sie stehen es auch wirklich. Nur zwei Prozent der Anzeigen wegen Polizeigewalt werden verfolgt.“

Die Forderungen der heutigen Demonstration lauten:
„Wir wollen nicht schweigen über den Polizei- und Justizskandal um den Tod von Oury Jalloh und dessen skandalöse Vertuschung!
Wir werden nicht zulassen, dass seine juristische und politische Aufarbeitung ausbleibt.
Wir fordern unabhängige Ermittlungen und einen Untersuchungsausschuss im Landtag!
Wir fordern Aufklärung und ein Ende von straffreier Polizeigewalt und institutionellem Rassismus!“

 

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