Die braune Saat ist aufgegangen

1. Juli 2024 | Bild der Woche | 3 Kommentare

Georg blickte zufrieden auf die doppelten gebuchteten Keimlinge, die im Mai in Reihen aus dem Boden kamen. Sie sahen etwas wie Radieschenkeime aus. Drei Monate später, die Pflanzen waren erntereif, machte er sich ans Werk, um seine ganz besondere Spezialität herzustellen. Eine Art „Branntwein“, genauer gesagt einen „brennenden Most“, wie man ihn bei den Römern genannt hatte, wollte er „brauen“. Dazu musste er die Körner zunächst einmaischen. Er gab etwas Weinessig hinzu und zerkleinerte die Mischung in einem Steinmörser. Ganz langsam bewegte er den Stößel in kreisenden Bewegungen über den runden Körnern, bis sie zerkleinert waren und mit der Flüssigkeit eine homogene Paste bildeten. Reine Handarbeit, auf Maschinen verzichtete er. Denn schnell passiert es, dass die Temperatur über die kritischen fünfzig Grad steigt. Dann wäre alles dahin. Dann würde das Zeug nur bitter, die Enzyme könnten nicht arbeiten.

Er roch über der zu einer Paste geratenen Maische und war etwas enttäuscht: Es roch muffig, erdig mit einem Hauch von Essig. Und der Geschmack war auch eher bitter und fad. Schade eigentlich, dachte er, denn er hatte sich streng an die Anleitung gehalten. Und die Masse kam ihm zu dünn vor. Aber im Rezept stand ja, man solle das Zeug einfach stehen lassen, nach einem Tag werde das besser. Georg gab noch etwas Salz hinzu, dann verschloss er das Gefäß. Am dritten Tage öffnete er den Topf. Ein scharfer Geruch, den er noch nicht wahrgenommen hatte, als er die Mischung in das Gefäß gegeben hatte, schoss ihm in die Nase. Und die Formel „S=C=N-R“ schwebte ihm durch das Großhirn, nebst dem Gedanken: „Reaktion erfolgreich verlaufen“.

Georg war also zufrieden, und noch oft sah man ihn in fröhlicher Runde im Biergarten, neben einer zünftigen Wurst, sein Produkt genießen. Auch andernorts genießt man die braunen Körner: In Indien gewinnt man daraus ein Öl, das man zum Braten verwendet. Dazu muss man es unbedingt zum Rauchpunkt erhitzen, sonst können gesundheitliche Folgen drohen. In asiatischen Ländern werden wiederum die Stängel und Blätter gegessen – als Gemüse, ganz ähnlich wie Kohl, und man stellt daraus auch eine Art „Sauerkraut“ durch Milchsäuregärung her.

Und da sind sie schon, unsere Fragen:

  1. Um welche Pflanze geht es hier?
  2. Was passierte während der drei Tage, die Georg das Gefäß hat stehen gelassen?
  3. Der lateinische Name des „brennenden Mosts“ steckt noch im englischen, französischen und deutschen Ausdruck des Produkts. Welcher?
  4. Warum muss man das Öl erhitzen, bis es raucht?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche:  („Schlafes Schwester“): Die rote Spornblume, centranthus ruber.

Richtig, Rati: wir suchten die rote Spornblume (Centranthus ruber). Dies ist  ist eine mehrjährige Pflanze aus der Familie der Geißblattgewächse. Sie hat auffällige rote oder rosafarbene Blüten, die in dichten Dolden stehen und oft von Juni bis September blühen. Ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammend, hat sie sich in vielen Teilen Europas und Nordamerikas als Zier- und Wildpflanze verbreitet. Sie bevorzugt sonnige Standorte und gut durchlässigen Boden, ist aber ansonsten anspruchslos und trockenheitsresistent. Die rote Spornblume wird häufig in Gärten angepflanzt, da sie pflegeleicht ist und viele Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge anzieht.

Sie ist eng mit dem Baldrian (Valeriana officinalis) verwandt, da beide zur Familie der Geißblattgewächse (Caprifoliaceae) gehören. Früher wurden sie der Familie Valerianaceae zugerechnet, bevor diese in die Caprifoliaceae eingegliedert wurde. Beide Pflanzen teilen einige botanische Merkmale, wie die Struktur ihrer Blüten und ihre Wachstumsgewohnheiten. Trotz dieser Verwandtschaft haben sie unterschiedliche Anwendungsbereiche. Während in den Wurzeln des Baldrians viele Substanzen vorkommen, die für ihre beruhigende und einschlaffördernde Wirkung bekannt sind, enthält die Wurzel der Spornblume nur einen kleinen Teil dieser Inhaltsstoffe, die Valepotriate. Diese sollen zwar auch eine beruhigende Wirkung entfalten, stehen aber unter dem Verdacht, Krebs zu erzeugen. Deshalb wird die Spornblume heutzutage nicht mehr als Baldrianersatz verwendet.

Alle seit 2016 vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr hier im Archiv.

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