Ein glorreicher Morgenausflug

12. August 2024 | Bild der Woche | 2 Kommentare

Heino hatte es gewagt. Mit zitternden Händen zerkaute er fünf oder sechs der kleinen schwarzen Samen und spülte sie mit einem großen Schluck Wasser hinunter. Er hatte sich ein gutes Setting ausgesucht: In der Laube, die er als Klettergerüst für die wunderschöne Schlingpflanze im Garten zu einer Art Zelt umfunktioniert hatte, ließ er sich nieder. Durch das grüne Laub blinzelnd, ließ er die tiefblauen Blütenkelche auf sich wirken und versank immer mehr in einen erotischen Taumel.

Gloria erschien ihm, doch es war nicht die Fürstin von Thurn und Taxis, sondern eine illusorische Gestalt, die sich in einen knallroten Feuerlöscher verwandelte. Dieser mutierte weiter und nahm die Form alchemistischer Geräte an, bis verführerische, nackte Frauen durch das Laubwerk tanzten, verfolgt von grotesken Teufeln. Die Teufel, wie er sie einst in den Bildern von Hieronymus Bosch im Prado gesehen hatte, steigerten das Grauen ins Unerträgliche: zerfleischte Körper, Blut, ein schrecklicher Albtraum.

„Ololiuqui, ololiuqui!“ schrien die Azteken und schwangen ihre Beile, die sie unerbittlich in Heinos Gehirn hämmerten. Der austretende Saft wurde in große, gläserne Trichter gegossen, an denen sie sich berauschten. Heino schrie in Panik auf. Gleißendes Licht drang durch die Szenerie, und langsam mischten sich Stimmen darunter. „Sieht aus wie LSD, wohl ein Horrortrip“, sagte eine Stimme. „Diese Fälle sind selten“, antwortete eine andere, „gut, dass seine Freundin ihn in diesem Zustand gefunden hat.“

Das gleißende Licht durchdrang die Szene weiter. „Wir haben ihm Neuroleptika und einige Dosen Benzodiazepine verabreicht. Bald wird er das Schlimmste überstanden haben“, hörte Heino jemanden sagen. Die Teufel und die Schlingpflanzen lösten sich auf, die Benzodiazepine wirkten, und Heino schwebte bald im Himmel der Selbstzufriedenheit. „Bist du wahnsinnig geworden? Du hattest mir versprochen, das Zeug nicht anzurühren!“ Elfriede war entsetzt, aber was half das Schimpfen. Heino war geheilt – ein solch schrecklicher Trip sollte sich nie wiederholen.

„Thank you for traveling through LSA.“ Und hier war keine gemütliche Reise durch Sachsen-Anhalt gemeint. Wie es Heino ergangen ist, kann man auf einschlägigen Drogenforen nachlesen, wo solche Erfahrungsberichte ausgetauscht werden. Das Bedenkliche daran: Während ähnliche Drogen streng verboten sind und nicht frei erhältlich, handelt es sich hierbei um etwas, das man ganz legal im Gartenhandel oder im Internet kaufen kann. Ein Samentütchen reicht für einen blühenden Garten, aber auch für einen zweifelhaften Trip. Die Kletterpflanze blüht wirklich hübsch, aber man wird sie nie wieder los. Montezumas Rache. Was hatte der junge europäische Spund sich denn auch an seinen heiligen Pflanzen zu vergreifen?

Euch, liebe Leser, mag das Warnung genug sein. Und da ihr, im Gegensatz zu Heino, noch ganz bei Troste seid, kommen hier unsere Fragen:

– An welcher Pflanze hat sich unser Heino vergriffen?

– Welche Substanzen hat er da zu sich genommen?

– Eng verwandt ist auch der Stoff, der schon zu Zeiten des Hieronymus Bosch seine Zeitgenossen in den Wahnsinn trieb. Wie hieß diese Krankheit, und woher kam sie?

– Sie war einem Heiligen zugeordnet, dessen Erfahrungen Bosch auch in einem seiner berühmtesten Werke „visualisiert“ hat. Wo befindet sich das große, dreiteilige Gemälde heute?

Auflösung der letzten Wochenpflanze (Muckefuck ToGo): Gewöhnliche Wegwarte, Cichorium intybus

Richtig, Rati, du hast es auf den Punkt gebracht und auch alle Zaunpfähle gefunden:

Die Gewöhnliche Wegwarte (Cichorium intybus) ist eine robuste, mehrjährige Pflanze aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Sie wächst oft wild an Wegrändern, Wiesen und Böschungen und fällt mit ihren leuchtend blauen, manchmal violetten Blüten auf. Die Pflanze ist in Europa heimisch, hat sich aber auch in anderen Teilen der Welt verbreitet.

Kulturformen der Wegwarte:

Aus der Gewöhnlichen Wegwarte wurden im Laufe der Zeit verschiedene Kulturformen gezüchtet, die in der Küche eine wichtige Rolle spielen:

 

  1. Endivie (Cichorium endivia): Diese Form der Wegwarte ist vor allem als Salatpflanze bekannt. Es gibt zwei Haupttypen: die krausblättrige Endivie (Frisée) und die glatthäutige Endivie (Escariol). Die Endivie zeichnet sich durch einen leicht bitteren Geschmack aus, der besonders im Winter beliebt ist.

 

  1. Chicorée (Cichorium intybus var. foliosum): Chicorée ist eine weitere Kulturform der Wegwarte. Er wird in Dunkelheit oder schwachem Licht gezüchtet, um die typischen weiß-gelben Blätter zu erhalten. Chicorée hat einen kräftigen, leicht bitteren Geschmack und wird oft als Wintersalat oder in warmen Gerichten verwendet.

 

  1. Radicchio (Cichorium intybus var. foliosum): Radicchio ist eine rotblättrige Variante des Chicorées, die vor allem in Italien beliebt ist. Er hat ebenfalls einen bitteren Geschmack und wird oft roh in Salaten verwendet, kann aber auch gegrillt oder gebraten werden.

Wie ein altägyptisches Wort in den Salat gelangte:

Der Name „Cichorium“ leitet sich vom griechischen Wort κιχώριον für Zichorie und Wegwarte ab und stammt vermutlich aus dem Ägyptischen, da diese Pflanzen dort zuerst kultiviert wurden. Das lateinische Artepitheton „intybus“ geht auf das Wort „intubus“ zurück, das ebenfalls für Zichorie und Endivie verwendet wurde und mit dem ägyptischen Wort „tybi“ für den Monat Januar verbunden ist. Dies bezieht sich darauf, dass die Endivie besonders im Winter als Salat gegessen wurde. Das Wort „Endivie“ leitet sich vom lateinischen „intybus“ bzw. „intybi“ ab, was der Name der Pflanze in der antiken römischen und griechischen Kultur war. „Intybi“ ist also die Wurzel, die in „Endivie“ erhalten geblieben ist. Dieser Begriff wurde in verschiedenen Sprachen Europas übernommen und entwickelte sich dann zu den heute gebräuchlichen Namen wie „endive“ im Französischen und Englischen.

Zichorienkaffee:

Im Jahr 1766 verbot Friedrich II. von Preußen die private Einfuhr von teurem Übersee-Kaffee, was Schmuggel ankurbelte und die Suche nach Alternativen wie Zichorienkaffee förderte. Christian von Heine und Christian Gottlieb Förster gelten als Erfinder des Zichorienkaffees und erhielten 1769/1770 Konzessionen für dessen Produktion. Braunschweig wurde ein frühes Zentrum der Zichorienkaffeeherstellung, die sich Ende des 18. Jahrhunderts nach Magdeburg verlagerte, insbesondere während der napoleonischen Kontinentalsperre.

Zichorienkaffee ist ein kaffeeähnliches Getränk, das aus den gerösteten Wurzeln der Gewöhnlichen Wegwarte hergestellt wird. Die Wurzeln werden getrocknet, geröstet und anschließend zu Pulver gemahlen, das dann ähnlich wie Kaffee zubereitet wird. Zichorienkaffee ist koffeinfrei und war besonders in Zeiten des Mangels, wie während der Kriege oder in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, ein beliebter Ersatz für echten Kaffee.

Der Geschmack von Zichorienkaffee ist kräftig und etwas bitter, ähnlich wie Kaffee, jedoch mit einem leicht nussigen und süßlichen Unterton. Heute wird Zichorienkaffee auch aus gesundheitlichen Gründen geschätzt, da er den Magen weniger reizt und zudem präbiotische Ballaststoffe (Inulin) enthält, die positiv auf die Darmflora wirken können. Beim Rösten von Zichorienwurzeln zur Herstellung von Ersatzkaffee wird Inulin teilweise zu Oxymethylfurfurol umgewandelt, das für das kaffeeähnliche Aroma sorgt.

Falscher Zaunpfahl: die Sache mit „im Nu“ und „Caro“

Unser aufmerksamer Leser NhuDheng hat einen falsch gesetzten Zaunpfahl identifiziert: Da müssen wir uns entschuldigen. „Im Nu“, der Ost-Ersatzkaffee, enthielt und enthält keine Zichorie, sondern nur geröstetes Getreide, ist also eine Art Malzkaffee. Die West-Variante, Caro-Kaffee, enthält neben geröstetem Getreide auch Zichorienwurzeln.

Malzkaffee Ost („Im Nu“) und West („Caro“)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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