Fleischfarbe

3. Juni 2024 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Sie hatten an dem Freitagnachmittag lange diskutiert, die Handelsvertreter, die Firmenleitung und die Fachleute der ehrwürdigen Fabrik für feinste Künstlerfarben. Die Verkaufszahlen konnten sich eigentlich sehen lassen, im Sektor der Acrylfarben liefen neben Schwarz und Weiß vor allem die Töne Preußischblau, Maigrün, Zinnoberrot und Kadmiumgelb. Und noch eine: „Fleischfarbe“.

Schweinchenrosa“ war dafür die firmeninterne spöttische Bezeichnung. „Fleisch sieht doch gar nicht so aus, allenfalls Fleischwurst“, bemerkte Colorist Ulrich, dem es darauf ankam, möglichst exakte Bezeichnungen für Farbtöne zu finden. „Wer kauft eigentlich sowas“, fragte der Nächste aus der Technikerrunde. „Ist doch eigentlich Unsinn, kann man doch besser auf der Palette selber mischen“.

Die Kunden wollen das halt so“, kam es aus der Vertreterrunde zurück. „Kann man das nicht irgendwie anders nennen?“ mischte sich nun der Chef persönlich ein. „Fleisch geht ja heute wirklich in vielen Kreisen nicht mehr“.

Nennen wir es doch einfach neutraler: „Hautton“. Das rief sofort die Inklusionsbeirätin auf den Plan. „Das wollte ich schon immer anmerken: Wir tun hier so, als sei die Hautfarbe schweinchenrosa normal, während alle anderen Hauttöne als Abweichung gesehen werden. Haben wir denn hier nur gehobene, weiße, malende Zahnarztgattinnen als Kunden?“, empörte sie sich. „Das ist eine furchtbare, eurozentrische Sichtweise“. „Die bleichen Madonnengesichter von Lochner, Cranachs weiße Evas und die fetten, rosawangigen Rubensweiber haben nachhaltig unsere Ästhetik geprägt. Damit muss mal Schluss sein“, wetterte sie.

Mit dem Einwand haben Sie natürlich recht“, gab der sozial bewegte Unternehmer zu bedenken. „Aber wie können wir den beliebten Ton denn sonst noch nennen?“

Inkarnat“, gab der künstlerische Beirat Ulrich L. zurück. Er hatte an der Akademie Malerei studiert und gab zum Besten, der Begriff „Inkarnat“ sei in der Kunstwissenschaft eine eingeführte Fachbezeichnung für solche hellen Hauttöne. „Großartig!“, rief der Direktor aus und lobte Ulrich über den grünen Klee. „Hat das eigentlich etwas mit „Incarnation“ zu tun? Klar, das ist eine „Fleischwerdung“.

Auch unsere Pflanze der Woche dient der Fleischwerdung im wahrsten Wortsinne. Sie stammt aus dem Mittelmeerraum, wird aber hierzulande gerne angebaut: als Viehfutter.

Um welche Pflanze handelt es sich?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Das Kraut des Wassilis“): Basilikum, Ocimum basilicum.

War nicht schwer, oder? Gesucht war das Basilikum. Auch wenn es wohl, neben Oregano, eines der beliebtesten „Charaktergewürze“ der italienischen Küche ist: Seine Heimat liegt in Indien. In den Mittelmeerraum gelangte die Pflanze schon in der Antike. Mit ihrem angenehmen, betörenden, aber auch eigenartigen Geruch blieb sie lange umstritten. Der römische Feinschmecker, „Kochbuchautor“ und Leibkoch Apicius verwendete es kaum, und der antike Enzyklopädist Plinius schreibt in seiner Naturgeschichte, man sage, dass das Kraut Wahnsinn, Schlafsucht und Lebererkrankungen hervorrufe, und die Afrikaner würden behaupten, das Kraut erzeuge Würmer und ziehe Skorpione an. Plinius gebraucht nicht das Wort Basilicum, sondern Ocimum. Später, als sich das Kraut stärkerer Beliebtheit erfreute, weil man nun der Ansicht sei, es vollbringe heilkräftige Wunder, trat der Name „Basilikum“ auf. Es leitet sich her vom griechischen Wort für König, „Basileus“ (Βασιλεύς, Wassilews), König. Ein Königskraut. Ebenfalls – wegen seiner Mächtigkeit gefürchtet – war seit der Antike auch das Ungeheuer „Basilisk“, der kleine König, ein Mischwesen aus Vogel und Schlange. Schon sein Blick konnte töten, sein Atem war giftig. Der Asche des Basilisken schrieb man im Mittelalter dann aber auch wundersame Heilkräfte zu. Die längsgerichtete Bauform der Kirchen nannte man Basilika – sie leitet sich von den profanen Königshallen der Spätantike her.

Basilikum spielt heute sowohl in der westlichen als auch der östlichen mediterranen Welt eine große Rolle, nur auf sehr unterschiedliche Weise. Die dem Kraut zugeschriebene magische Wirkung spielt in der orthodoxen liturgischen Praxis eine Rolle: Mit Basilikumsträußen besprengt der Pfarrer zur Segnung seine Gemeinde, und vor einem anständigen griechischen Haus hat im Sommer immer ein Topf Basilikum zu stehen. Man wuschelt dort mit den Händen hinein, um sich des angenehmen Duftes zu erfreuen – ans Essen tut man es nicht.

Ganz anders in Italien: Der Küchenklassiker ist dort neben dem „Pesto genovese“, einer kalt gestampften Masse aus Käse, Knoblauch, Basilikum, Oliven und Pinienkernen, vor allem die berühmte „Pizza Margherita“. Sie soll erstmals am 11. Juni 1889 in Neapel vom Pizzaiolo Raffaele Esposito hergestellt worden sein, um sie König Umberto I. und seiner Frau Margherita zu servieren. Der Belag war patriotisch in den italienischen Nationalfarben gewählt: Rote Tomaten, weißer Mozzarella, grünes Basilikum.

Alle seit 2016 vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr hier im Archiv.

 

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