Mirabellen !

10. Oktober 2016 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Auflösung unserer letzten Pflanze der Woche  :

Magnolia grandiflora, immergrüne Magnolie.

Magnolia grandiflora (unreifer Fruchtstand)FruchtknospeBlüte)

Magnolia grandiflora (unreifer Fruchtstand): So suchten wir unsere letzte „Pflanze der Woche“

Blattlose und immergrüne Gartenschönheiten: Die Magnolie ist wie die Rose eine Königin – nicht der Blumen, sondern der Sträucher und Bäume. Aufgrund ihrer Schönheit findet man sie in zahlreichen Vorgärten in Halle, fern ihrer Heimat. Vielleicht weiß jemand, wie viele Exemplare im Magnolienweg in Ammendorf blühen? Manche Straßenzüge in Halle sind üppig ausgestattet mit der frühblühenden Tulpen-Magnolie – die übrigens jetzt schon ihre Knospen für das nächste Jahr anlegt. Einigermaßen häufig sieht man in Halle dann im Frühsommer die Immergrüne Magnolie: Unsere Fotos zeigen diese Schönheit vom Saaleufer, sie ist die gesuchte Art. Ihr Name leitet sich übrigens einfach vom französischen Botaniker Pierre Magnol ab, dem Vorläufer von Carl von Linné.
Magnolien sind eine Wohltat fürs Auge, sie bescheren Gärten und Parkanlagen einen Farbenrausch. Bewundernde und neidvolle Blicke bleiben nicht aus. Aber nach zwei Wochen – teilweise noch schneller, wenn die Pflanze nicht windgeschützt steht – beginnt die Pracht zu bröckeln: Unter den Bäumchen breitet sich ein Farbteppich aus, wie riesige Schneeflocken werden die abgefallenen Blätter zum Nachbarn verweht. Na, jetzt sollte man sich dran machen, die Bescherung zu beseitigen.

Angiospermen als Wegbereiter des Dinosaurier-Exodus?

Der botanisch Interessierte staunt aber schon in den Wochen vor der kurzen Blütezeit über die reifenden Blütenknospen: Mit samtig-haariger Hülle müssen sie aller Unbill trotzen, sei es Witterung oder Tierverbiss. Magnolien gehören zu den Angiospermen, den Bedecktsamern, bei denen die Samenanlagen durch das Fruchtblatt (Karpell) in einem schützenden Hohlraum eingeschlossen sind. Vor etwa 100 Millionen Jahren traten die Angiospermen an die Stelle der schon länger vorherrschenden Gymnospermen (Nacktsamer mit direkt zugänglichen Samenanlagen). Nun wurde es möglich, dass Magnolien als kreidezeitliche Pflanzenfossilien neben Dinosaurierknochen gefunden werden! Es ist aber nicht so, dass herbivore Saurier wie Amazonsaurus plötzlich alle Koniferen und Palmfarne (Nacktsamer) weggefressen haben und damit den bedecktsamigen Blütenpflanzen den Weg bereitet haben. Vielmehr gehen Forscher davon aus, dass Insekten und baumbewohnende Säugetiere, oder auch der gestiegene Kohlendioxidgehalt der Luft, treibend für den Vegetationsumschwung waren. Vielleicht kam es bei den Dinosauriern durch Magnolien und die anderen neuen Blütenpflanzen öfter zu Hungerperioden oder Vergiftungen, sodass sich auch dadurch der Abstieg dieser Giganten anbahnte – eine gewagte These…

Zurück zu den Magnolien: Mit ihrer sehr primitiver Blütenstruktur gehörten sie zu den ersten Angiospermen, sie besiedelten im wärmeren Tertiär sogar die gesamte Nordhalbkugel (- da waren die Dinosaurier schon ausgestorben). Heute sind sie in über 200 Arten gegliedert, wildwachsend aber nur noch in Nordamerika und in Asien (dort als meist im Sommer blühende, wohlriechende Arten) zu finden.
Zu den primitiven, also früh in der Evolution entstandenen Merkmalen zählen u.a. die fehlende Untergliederung in Kelch- und Kronblätter in der radialsymmetrisch aufgebauten Blüte, die Samenverkapselung in Form von Balgfrüchten (Foto) oder die schwach differenzierten Staubblätter.

Frostängste und Heckenfreuden

Bei uns am häufigsten ist die sommergrüne Tulpen-Magnolie (Magnolia × soulangiana – einfach nur Magnolie genannt) mit kurzem, oft krummem Stamm und ausladender Krone. Sie wächst breit und zeigt manchmal bizarr gewundene Äste. Aufrecht auf den noch unbelaubten Zweigen stehen, etwa um Ostern, die Blüten in weißen, hellrosa bis violetten Farben und Farbverläufen. Kein Laubblatt verdeckt die üppigen Blüten, da ist auch keine weitere gestalterische Kulisse nötig. Die frühe Blütezeit aber und bei uns verbreitete Nachtfröste stehen auf Kriegsfuß, sensible Hobbygärtner erleiden schlaflose Nächte in der Angst vor der Bitterkälte. Ist alles gut gegangen und stehen die Glocken in voller Pracht, fallen die Blütenblätter schon wieder ab. Erst danach zeigt dieses Ziergehölz seine Laubblätter über dem charakteristischen Ring an der Blattansatzstelle. Diese Hybride als Nachkomme ostasiatischer Arten ist meist steril, nur selten werden Samen gebildet.
Die Immergrüne (oder eigentlich Großblütige) Magnolie (Magnolia grandiflora) mit geradem Stamm und runder Krone stammt aus den nordamerikanischen Südstaaten. Sie blüht später und verlangt dem Gärtner daher weniger starke Nerven ab. Jetzt, am Herbstanfang, erkennt man sie an der zapfenartigen Sammelbalgfrucht (Foto von letzter Woche). Die Samen sind umgeben vom Arillus, dem roten Samenmantel, es hängen jedoch Fäden aus der Frucht, was bei der Verbreitung der Samen hilft. Ein stolzer Gärtner sollte es sein, der die Samen in Halle zur Reife gebracht hat. Noch im Winter ist diese Art nützlich: Große, dunkelgrüne, glänzende Blätter mit rostbrauner Unterseite gewähren als langsam wachsende Hecke ganzjährig Sichtschutz, man muss kaum schneiden. Dann, im Frühling bis Frühsommer, erscheinen die weißen, tellergroßen Blüten mit erfrischendem Zitronenduft.

Auch nützlich?

Was kann die Pflanze noch? Chinesen nehmen sie gerne zwischen ihre Stäbchen: Ausgebackene Blüten z.B. von Magnolia cylindrica sollen sehr delikat schmecken. In China wird aber auch die Rinde von Magnolia officinalis geschätzt, als Auszug für Anwendungen in der TCM (- warum bekomme ich jetzt Lust auf Kaffee??). Schon im 7. Jahrhundert wurden Magnolien in Ostasien aus medizinischen Gründen kultiviert. Erst in den letzten Jahren bescheinigten Schweizer Mediziner einem Molekül aus Magnolia grandiflora eine knochenaufbauende Wirkung, sie wollen die Entwicklung eines Medikaments gegen Osteoporose vorantreiben. In Indien werden ätherische Öle aus einer Magnolie gewonnen. In Nordamerika werden Magnolien-Möbel gedrechselt. Und schließlich wurden Versuche zum Abbau toxischer Boden- und Luftverunreinigungen mittels Magnolien gestartet (Phytoremediation).

Bei Magnolia grandiflora sitzen im Sommer riesige Blüten oberhalb der gummibaumartigen, ganzjährig vorhanden Laubblätter. Viele denken bei Magnolien aber an die im Frühjahr blühende, „nackte“ Tulpen-Magnolie – übersäht mit Blüten, ungestört von dem erst später sprossenden Grün.

(A.S.)

Jetzt aber zu unserer Pflanze dieser Woche (10.10.-16.10. 2016), die es zu bestimmen gilt:

Mirabellen ? Obstsammeln mit zweifelhaftem Ausgang.

Jotis Fahrrad gleitet über den roten Ascheweg im Park. Der Regen hat den diesen Sommer frisch aufgewalzten Split etwas aufgeweicht, das Profil des Mountainbikes des 12-jährigen Jungen hinterlässt hinter ein feines Zackenmuster im Weg. Jetzt, an diesem kühlen Herbstwochenende, hängt die Luft voller feinstem Sprühregen, dicke Tropfe klatschen von den hohen Bäumen herab. Schade, der Sommer ist vorbei, denkt sich Joti, als er durch eine tiefe Wasserpfütze fährt, die auf dem Weg stehengeblieben ist. Kleine Ästchen liegen auf dem Weg, dazwischen goldgelbe Blätter: „stimmt, die habe ich mal aufgesammelt, als wir in der Grundschule Tierbilder aus gepresstem, bunten Laub machen sollten. Eines von den gelben Blättern, mit der Kerbe drin, habe ich als Drachenschnauze genommen. Und da hat uns die Lehrerin was erzählt, von Sauriern, alten Bäumen und so “. Es riecht nach Herbstmoder, auch ein Hauch Unangenehmes mischt sich darein, „Hundesc..“ fährt es Joti durch den Kopf – kein Wunder, denn die Leute hier lassen schon mal ihren Vierbeiner und deren Bedürfnissen freien Lauf. Anhalten ! durchfährt es Joti – das Bild, das ihm zwischen plötzlich unter die Augen kommt, signalisiert: „Mirabellen !“

pdw-10-10-16-1-2

Die gesammelten Früchte: Mirabellen ?

Auf dem Rasen, auf dem Weg – alles voller kleiner, kirsch- bis walnussgroßer Früchte, gelborange, manche noch grünlich. Die Mirabellen, die Joti nun behände aufsammelt, sind weich, manche überreif, und wenn man auf sie drückt, geben sie gleich den typischen mandelförmigen Kern frei, mit der scharfen, erhabenen Naht an der steinharten Schale. „Cool, um diese Zeit noch Mirabellen“, freut er sich, als er mehrere Hand voll seiner Beute in die Fahrradtasche verstaut. Und wundert sich gleichzeitig – denn auf „Mundraub.org“, auf der Seite, wo viele herrenlose Obstbäume verzeichnet sind, sind viele seiner geliebten Mirabellenstellen kartiert – nur dieser Baum mit den besonders spät reifenden Früchten nicht.

Zu Hause angekommen, gibt es erst einmal Ärger. Nicht nur, weil der junge wieder mal zu spät gekommen ist: „ wie riechst Du denn wieder, bist du wieder irgendwo rein getreten?“

pdw-10-10-16-1

Entwicklungsstadien unserer „Früchte“: klein, groß (unreif, grün), reif (orange), vergammelt, Samenkerne.

„Weiß nich, Mama“, entgegnet Joti, schlüpft in sein Zimmer, um die Ernte auf einer Zeitung auszubreiten – damit die grünen Exemplare noch etwas nachreifen können. Wenige Stunden später duftet es in der ganzen Wohnung, selbst im Treppenhaus: allerdings nicht nach Mirabellenkompott, sondern einer penetranten Mischung aus Pumakäfig, Schweiß und Erbrochenem. Noch bevor der Kampfmittelräumdienst einrückt, landet Jotis Ernte vorsorglich in einem weit entfernten Müllcontainer einige Straßenzüge weiter.

Unsere Fragen :

Was für „Früchte“ hat unser Freund da gesammelt?

Hätte man davon nicht doch etwas essen können?

Woher kam der merkwürdige Geruch?

Ein namhafter Dichter hat sich einmal mit unserer Pflanze der Woche beschäftigt: Wer ? (nein, es war nicht Ovid)

Was war da mit Sauriern?

 

 

Print Friendly, PDF & Email
5 Kommentare

Kommentar schreiben