Von Faltern lernen

1. Oktober 2022 | Umwelt + Verkehr | Keine Kommentare

Insekten gibt es seit ca.400 Mio Jahren. Die von uns bewunderten Schmetterlinge sind mit ihren bunten Flügeln das Ergebnis langer Ausleseprozesse. Sie gelten als die Champions der Evolution. Moderne Untersuchungsmethoden ermöglichen es, ihre erfolgreichen Problemlösungen zu verstehen und innovative Aspekte zu nutzen. Doch Eile ist geboten. Denn durch Klimawandel und Umweltveränderungen sind bereits viele Schmetterlingsarten bedroht oder gar verschwunden.

Seidene Wiege

Schmetterlinge entwickeln sich über 3 Stadien: Ei, Larve, Puppe. Die Metamorphose von der Raupe zum Falter ist besonders empfindlich. Sie erfolgt deshalb in einem von der Raupe selbstgeschaffenen Schutzraum, dem Kokon. Unseren Vorfahren gelang es bereits vor ca. 5.000 Jahren aus den Kokons der Seidenraupen Seidenfäden zu isolieren und daraus  Stoffe herzustellen. Um sich ungestört in Schmetterlinge verwandeln zu können, scheiden Seidenraupen nämlich aus Spinndrüsen einen mehrere hundert Meter langen, hauchdünnen Seidenfaden aus, der unter Verwendung eines Klebstoffes zum Kokon geformt wird. Weicht man die Kokons ein, kann man die Seidenfäden abwickeln und aus ihnen ein robustes Garn gewinnen. Die Seidenfäden bestehen i.w. aus zwei Proteinen. Eins, das Fibroin, kann man jetzt synthetisieren und mögliche Nutzungen erkunden. Aus wässrigen Fibroin-Lösungen kann man z.B. widerstandsfähige, umweltfreundliche, flexible Folien oder Formteile für medizinische Zwecke herstellen. Fibroin ist ein exzellenter Werkstoff für die plastische Chirurgie, denn dieses Insektenprodukt wird von menschlichem Gewebe toleriert. 

Viele Falter haben wunderschöne, artspezifisch gefärbte Flügel. Farben, Muster und Flügelbewegungen dienen der Partnerfindung, werden bei der Balz eingesetzt, schützen vor Fressfeinden oder warnen diese. Die Flügel sind von winzigen Schuppen bedeckt. Sie können Farbpigmente enthalten. Oft tragen sie aber farblose Strukturen, die man nur bei starker Vergrößerung im Elektronenmikroskop gut erkennen kann. An diesen feinen, rippenartigen Nanostrukturen wird das Licht gebrochen und z.T. absorbiert und reflektiert. Es entsteht dann der für manche Schmetterlinge charakteristische, glitzernde „Metallic Look“, mit dem Falter z.B. auch im Dämmerlicht des Regenwaldes optisch kommunizieren können. Mit einem Infrarotlaserstrahl kann man solche Oberflächenstrukturen nachbilden und sie in jeder beliebigen Farbe erscheinen lassen. Mit dieser Technologie kann man z.B. tiefschwarze Solarpanels herstellen, die praktisch alles einfallende Licht absorbieren.

Flügel mit Durchblick

Manche Insekten haben transparente Flügel. Man fand heraus, dass die transparenten Bereiche überhaupt kein Licht reflektieren. Von Menschen hergestellte Gläser reflektieren und spiegeln dagegen jedoch einen Teil des einfallenden Lichtes. Man entdeckte bei den Insekten Nanostrukturen, die die transparenten Bereiche entspiegeln. Die  Oberfläche des transparenten Flügels ist zusätzlich dicht mit winzigen, unterschiedlich langen, zufällig angeordneten Säulchen besetzt, die das Licht weiterleiten, ohne es zu streuen oder zu reflektieren. Solche Nanostrukturen kann man jetzt nachbilden und damit z.B. effizientere, fast reflexionsfreie Solarpanels herstellen. 

Die zarten, mit staubfeinen Schuppen belegten Schmetterlingsflügel sind eigentlich sehr regenwasserempfindlich. Die entdeckten Nanostrukturen verhindern jedoch ein Benetzen der Flügeloberfläche. Der Regen perlt ab. Ebenso wird das Anhaften von Schmutz verhindert. Sogar Bakterien haften kaum noch. Solche Nanostrukturen, die wasserabweisend (hydrophob) wirken, kann man mit Lasern nachbilden.

Strahlungswärme

Schmetterlinge sind wechselwarm. Niedrige Temperaturen bekommen ihnen meist nicht.  Sie sterben oder wandern in südliche Regionen ab oder legen eine kältetolerante Ruhephase ein. Anpassungen ermöglichen aber einigen das Überleben bei niedrigen Temperaturen. Durch Muskelzittern und Steuerung der Zirkulation der Körperflüssigkeit können nachtaktive Schmetterlinge die Betriebstemperatur ihrer Flugmuskulatur optimieren. Andere, tagaktive Arten haben dunkle Flügel mit denen das wärmende Sonnenlicht absorbiert werden kann. Viele stellen ihre Flügel V-förmig auf, so dass auftreffende Wärmestrahlen reflektiert werden und gebündelt auf die Körperoberfläche treffen. Bei Kohlweißlingen hat man zudem kugelige Nanostrukturen auf den Flügeln entdeckt, die die gesammelten Sonnenstrahlen bündeln. Diese Erkenntnisse versucht man nun für kleinere, effiziente Sonnenkollektoren zu nutzen. 

Riechantennen

Die Antennen von Schmetterlingen sind hochempfindliche Riechorgane. In ihnen befinden sich Rezeptoren, die auf die Wahrnehmung bestimmter Duftmoleküle extrem spezialisiert sind. Damit nehmen verschiedene Schmetterlingsmännchen z.B. Sexuallockstoffe wahr, die von Weibchen, auch in großer Entfernung, ausgesendet werden. Schädliche Schmetterlinge kann man damit in Fallen locken. Man fand heraus, dass die Riechsensillen haarartige Fortsätze enthalten, die in Schwingung versetzt werden können. Auftreffende Duftmoleküle verändern die Schwingungsfrequenz spezifisch. Solche haarartigen, schwingungsfähigen Nanostrukturen konnte man bereits aus Titan nachbilden. Bestimmte eingefangene Moleküle verändern meßbar deren Schwingungsfrequenzen. Damit will man nun z.B. bereits geringste Spuren gefährlicher Substanzen wie Giftgase erkennen, so dass rechtzeitig Schutzmaßnahmen eingeleitet werden können.

Diese Beispiele zeigen, dass Insekten eine Vielzahl inspirierender Problemlösungen anbieten können. Man muss nur gut hinschauen, um diese Tricks zu verstehen und für uns nutzbar zu machen. Es gibt noch viel zu entdecken.

(H.J. Ferenz)

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