Deutschlands Energiedilemma und was Kolumbien damit zu tun hat

27. April 2022 | Politik, Umwelt + Verkehr, Wirtschaft | Keine Kommentare

Wirtschaftswachstum um jeden Preis?

Unser Land befindet sich aktuell in einem schwerwiegenden Energie-Dilemma. So sucht die Bundesregierung fieberhaft nach alternativen Lieferanten für die bisher aus Russland bezogenen Energieträger, will in diesem Jahr zudem die letzten deutschen Atomkraftwerke abschalten und außerdem auch den stufenweisen Kohleausstieg vorbereiten. Doch ein genauerer Blick auf den Globus macht dabei zwei Dinge ganz deutlich: Schnelle Alternativen wird es kaum zu finden geben und wenn, dann nur zu einem sehr hohen Preis – für uns uns vor allem für die Anderen.

Spätestens jetzt, da die westliche Weltgemeinschaft nahezu geschlossen als Reaktion auf die Kriegsverbrechen Russlands im Ukraine-Krieg neue Sanktionen gegen den Kreml erlassen möchte und vielerorts ein sofortiger Importstopp für russische Energieträger gefordert wird, ist deutlich geworden, wie abhängig sich Deutschland in den letzten Jahren von Russland gemacht hat. So wird die sonst oft als europäischer Motor bezeichnete führende Industrienation inzwischen in der NATO und im Hinblick auf eine Boykottierung russischer Gaslieferungen gar als „Bremser“ bezeichnet. Dabei bezieht Deutschland nicht nur Gas aus Russland. Auch für Steinkohle ist die Russische Föderation seit Jahren Deutschlands mit Abstand größter Lieferant. Von der verlässlichen Zurverfügungstellung eben dieser Energien hängt ein großer Teil der deutschen Wirtschaft folglich existenziell ab; zumindest solange, wie umweltfreundlichere Alternativen oder aber der Bezug aus anderen Ländern noch keinen ausreichenden Ersatz bieten können.

Dass sich die Suche nach einem solchen Ersatz allerdings in vielerlei Hinsicht als schwer erweist, machte beispielsweise das öffentlich vielbeachtete Treffen des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck mit dem Emir von Katar im vergangenen Monat deutlich. Bei diesem vereinbarte man kurzerhand eine längerfristige Energiepartnerschaft der beiden Länder, während gleichzeitig über die angespannte und international kritisierte Menschenrechtslage im Land des weltweit größten Exporteurs von Flüssigerdgas großzügig hinweggesehen wurde. Man könne in Anbetracht der derzeitigen Krise schließlich nicht nur mit Demokratien zusammenarbeiten, lautete hierzu das Statement des grünen Ministers.

Ein weiteres wichtiges Gespräch stellte in diesem Kontext außerdem das Telefonat des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz mit Kolumbiens Präsident Iván Duque am 06. April dar, nach welchem letzterer prompt verkündete, sein Land wolle eine Erhöhung der Kohleexporte nach Deutschland umgehend prüfen. – Eine auf den ersten Blick scheinbar gute Nachricht, würde schließlich so den befürchteten Energieengpässen zumindest teilweise entgegengewirkt.

Doch der zusätzliche Kohleabbau in der südamerkanischen Republik hätte auch eine weitreichende und für Mensch und Umwelt bedrohliche Kehrseite. So gilt Kolumbien etwa als eines der Länder mit der höchsten Biodiversität des Planeten. Neben dieser natürlichen rühmt es sich außerdem, ein Land größter kultureller Vielfalt zu sein, was unter anderem in den neben der Amtssprache Spanisch noch immer existenten 65 indigenen Sprachen zum Ausdruck kommt. Gleichwohl aber sehen Umweltorganisationen und zahlreiche Experten eben jene Vielfalt durch den zunehmenden Raubbau des Menschen an der Natur in akuter Gefahr. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte Deutschland erst im letzten Jahr durch seinen Beitritt in die von Kanada und der USA angeführte Staaten-Allianz zugestimmt, sich aus der Finanzierung von Kohle-, Erdöl- und Erdgasprojekten im Ausland zurückzuziehen – Eine Vereinbarung, die angesichts der panischen Suche deutscher Politiker nach schnellen alternativen Energielieferanten zu egal welchem Preis nun aber vergessen scheint.

In Kolumbien lassen sich derweil die konkreten Auswirkungen solch politischer Entscheidungsumschwünge deutlich erkennen. So liegt im Nordosten, im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Venezuela, die Halbinsel La Guajira. Dort lebt seit bereits mehr als 2000 Jahren Kolumbiens größte indigene Gruppe, die Wayúu. Allerdings setzen die Folgen des Klimawandels in Form von extremer Dürre, Hungersnot und Wassermangel diesem widerstandsfähigen Urvolk immer stärker zu. Verschlimmert wird ihre Lage ferner durch die Zerstörung ihres Territoriums durch den dortigen mit 69.000 Hektar größten Steinkohletagebaus der Welt – eine Mine namens El Cerrejón.

In dieser fördern vor allem westliche Bergbau-Giganten wie Anglo American, BHP Billiton und Glencore die in Europa so dringend gebrauchte Steinkohle, für deren massiv umweltverschmutzenden und stetig zunehmenden Abbau indigene Dorfgemeinschaften der Wayúu in den letzten Jahren mehrfach zwangsumgesiedelt wurden. Aufgrund der nun noch größer werdenden Nachfrage nach dem fossilen Energieträger, soll in den kommenden Jahren außerdem die wichtigste Wasserader der Halbinsel, der Fluss Río Ranchería, auf einer Länge von knapp 26 Kilometern umgeleitet werden. – Ein Vorhaben, dass die rund 250.000 Menschen in der Region existenziell bedrohen würde.

Angesichts des aktuellen Bestreben Deutschlands, zum Ausgleich gegen die russische Energie nun verstärkter auf Kolumbiens Steinkohle setzen zu wollen, schlagen zahlreiche Menschenrechts- und Umweltorganisationen jetzt aber Alarm. So fordert beispielsweise das zivilgesellschaftliche Bündnis Unidas por la Paz Alemania (UPA) – ein Kollektiv der kolumbianischen Diaspora, welches sich für die Verteidigung der ausgegrenzten Gemeinschaften in Kolumbien und auf der ganzen Welt einsetzt – dazu auf, sich öffentlichkeitswirksam gegen den Export kolumbianischer Blutkohle nach Europa einzusetzen. Schließlich gebe der zusätzliche Abbau in dem Gebiet, der Umweltzerstörung und der Bedrohung zahlreicher Menschen einen neuen und noch verheerenderen Auftrieb.

„Es ist erwiesen, dass die größten Kohleexporteure in Kolumbien zahlreiche Menschenrechts- und Umweltverletzungen begangen haben, von denen vor allem die in den Abbaugebieten lebenden Gemeinden betroffen sind.“, heißt es hierzu in einem Schreiben der Organisation.

Deutschlands Lage ist also in der Tat ein echtes Dilemma: Auf der einen Seite die nachvollziehbare und dringende Notwendigkeit, sich aus der Abhängigkeit von Russland zu lösen, auch um das ukrainische Volk vor anhaltendem Krieg und Verderben zu schützen; und auf der anderen Seite die Tatsache, ersteres durch den verstärkten Ankauf kolumbianischer Kohle erreichen zu wollen, was den indigenen Völkern und anderen Gemeinschaften in den betroffenen Regionen außerhalb Europas den Zugang zu Wasser und damit einer Lebensgrundlage kosten wird.

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