Neue Stolpersteine für Hugo Arnholz, Bertha Arnholz (geb. Lewin) und Simon Schwarz

26. November 2019 | Politik | Ein Kommentar


11.00 Uhr Verlegung und Gedenken: Am Güterbahnhof 1, 06112 Halle (Saale)

(Im Anschluss Verlegung am Weidenplan 9)

Am Güterbahnhof 1 wohnten  Hugo und Bertha Arnholz (geb. Lewin)


Hugo Arnholz wurde am 20.5.1881 in Arnswalde/Provinz Brandenburg (heute Choszczno/Polen) geboren. Seine Eltern, der Kaufmann Karl Arnholz und seine Frau Berta, hatten vier Kinder. Ein Sohn starb als deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg. Hugo Arnholz wurde verwundet. Eine Tochter emigrierte 1938 mit Mann und Sohn in die USA.

Hugo Arnholz heiratete Bertha Lewin. Bertha, geboren am 13.Januar 1883 in Labischin/Provinz Posen (heute Poznań/Polen), war eines der sieben Kinder des Schneidermeisters Abraham Lewin und seiner Frau Ernestine geb. Kallmann.

Ab 1921 wohnte das Ehepaar Arnholz in Halle, Jägerplatz 11. Im Haus Nummer 18 bot Hugo Arnholz „Herrenmoden nach Maß“ an.

1927 bekam die 44-jährige Bertha einen Sohn, der kurz nach der Geburt verstarb. 1931 zog das Ehepaar um. Die neue Adresse war Am Güterbahnhof 1, wo Hugo Arnholz weiterhin eine Schneiderwerkstatt betrieb, die er jedoch um 1939 aufgeben musste. Fortan arbeitete er für die Kleiderkammer der Jüdischen Gemeinde, die von den Nationalsozialisten jetzt ‚Kultusvereinigung‘ genannt wurde. Ab 1939 hatten die jüdischen Gemeinden in Deutschland jegliche Selbständigkeit verloren und waren ganz und gar der Befehlsgewalt der Gestapo unterstellt. Für Mitarbeiter wie Hugo Arnholz bedeutete das, für nur geringen Lohn 40, später 54 Wochenstunden zu arbeiten – auch samstags, dem religiösen Ruhetag der Juden. Am 15.8.1941 wurde ihm gekündigt. Nun war er einzig auf Almosen der Gemeinde angewiesen.

Im März 1941 wurde das Ehepaar Arnholz im Rahmen der NS-Rassegesetze gezwungen, die Wohnung Am Güterbahnhof 1 zu räumen und in das ‚Judenhaus‘ Am Steintor 18 zu ziehen, eine weitere NS-Schikane gegen Juden, die nicht mehr mit ‚Ariern‘ zusammen wohnen durften.

Am 3. Dezember 1941 wurde der 60-Jährige verhaftet, da er sich geweigert habe den ‚Judenstern‘ zu tragen. Zuvor war Hugo Arnholz bereits aufgrund „unwahre[r] Angaben über arisch und unarisch“ verurteilt worden und galt damit als vorbestraft. Nun wurde eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt. Als „Polit. Jude“ wurde er am 15. Januar 1942 ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht und dort einer Strafkompanie, d.h. der Arbeit im Steinbruch zugeteilt. Zwei Monate später, am 12. März 1942, brachte man ihn in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Bernburg, wo er noch am selben Tag in einer dort installierten Gaskammer ermordet und die Leiche im angegliederten Krematorium eingeäschert wurde. Um die Spuren des Mordes zu verwischen, fälschte der SS-Lagerarzt von Buchenwald die Sterbeurkunde, gab als Todesort Weimar-Buchenwald an und verlegte das Sterbedatum auf den 21.März 1942.

Wie Anfang 1942 noch üblich wurde die Urne der Witwe auf dem Postweg zugestellt. Auf dem Jüdischen Friedhof hatte die Gemeinde inzwischen eine Ecke bereitgestellt, wo die aus Konzentrationslagern eintreffenden Urnen (eine von Juden abgelehnte Form der Totenruhe) bestattet wurden. Dort konnte die Urne im Beisein der Witwe beigesetzt werden.

Nur wenig später erhielt Bertha Arnholz –wie auch viele andere hallesche Juden – den Bescheid, sich auf eine wie es hieß „Umsiedlung nach Osten“ vorzubereiten. Der Deportationszug verließ Halle am 1.Juni 1942 und fuhr direkt ins Vernichtungslager Sobibor, wo er am 3.Juni 1942 ankam und die 59-jährige Bertha Arnholz gemeinsam mit ihren Mitreisenden noch am Ankunftstag mit Autoabgas ermordet wurde.

Im Weidenplan 9 wohnte Simon Schwarz

Weidenplan 9

Simon Schwarz entstammt einer Familie, aus der seit mehreren Generationen Rabbiner hervorgingen. Er kam am 22. Juni 1866 als Sohn des Rabbiners Dr. Israel Schwarz und seiner Frau Caecilia, geborene Rosenthal, in Köln zur Welt. Nach dem Besuch des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Köln studierte er an der Berliner Universität Rechtswissenschaft; später wechselte er nach Bonn.

Im Herbst 1903 zog Simon Schwarz nach Halle und lebte mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tod in der Saalestadt.

Im Juni 1939 bat Leo Hirsch, damals Vorsitzender der halleschen Jüdischen ‚Kultusvereinigung‘, Simon Schwarz in sein Büro. Im Auftrag der Gestapo forderte er ihn auf, sich als ‚Jude‘ registrieren zu lassen. Daraufhin erklärte Simon Schwarz schriftlich:

„Lieber Herr Hirsch,

ich bin tief gerührt darüber, daß Sie den ehrenvollen Auftrag erhalten haben, alle hier ansäßigen – oder auch die aufsäßigen? – Juden zu erfaßen. Es ist mir ein dunkles Gerücht zu Ohren gekommen und Ihr „Abt. Auswanderung“ Stempel scheint eher dafür als dagegen zu sprechen -, man beabsichtige, alles Einschlägige, was nicht wenigstens 60 oder gar 70 Jahre alt sei, möglichst zur Abwanderung zu zwingen, alias sie, zur größeren Ehre des nordischen und Rasse-Gedankens, hinauszuschmeißen. Es ist nun die Frage, ob ich nun zu den „ansäßigen“ gehöre. Schon 20 Jahre, bevor ich das glückliche Unglück hatte, durch allerlei quis pro quos in die Reihe der hier gottesfürchtigen Gemeinde zu geraten und leider viel zu nobel war, um diese Situation zu klären – schon 20 Jahre zuvor, nämlich am 22. November 1904 war ich in, d.h. innerhalb der Kirche Johann Sebastian Bachs, des Thomas-Kantors also, in die evangelisch-lutherische Gemeinschaft aufgenommen worden. […]

Und nun, Kinder, tut mir mal den einzigen Gefallen und lasst mich ein bisschen in Ruhe…

‚Noch bin durch keinen öffentlichen Akt

ich wieder heimgekehrt zu Jakobs Stämmen‘

‚Ihr seid ein Goj. Viel Ehre muß uns dünken,

daß Ihr bei Euren Knechten (ergebensten Dienern) hier verweilt‘“

Der zitierte Text stammt aus dem Trauerspiel „Uriel Acosta“ von Karl Gutzkow (1811-1878), einer Auseinandersetzung mit Konversion und Rückkehr zum Judentum.

Obwohl Simon Schwarz durch Taufe und Übertritt zum Protestantismus nicht mehr der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte, galt er nach den Rassegesetzen der Nationalsozialisten als Jude. Nach Verabschiedung des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 musste er im November seine Wohnung am Weidenplan 9 für ‚arische‘ Mieter räumen. Er zog in „einem großen Zwangsumzug“ [Schwarz] zu dem Ehepaar Arnholz, Am Güterbahnhof 1. (→STOLPERSTEINE ebenda)

Der 73-Jährige war in schlechter gesundheitlicher Verfassung und sein Zustand verschlechterte sich zunehmend:

„Meine Lage ist seit längerem durchaus lebensgefährlich, dergestalt, daß ich jeden Augenblick aus sein kann wie ein Licht“.

Als Ursache sah er die Repressalien durch die Nationalsozialisten:

„Der Ekel bringt mich um“.

Sein Hausarzt Dr. Hermann Jastrowitz (→STOLPERSTEIN Händelstraße 26) glaubte, dass die Beschwerden seines Patienten hauptsächlich psychischer Natur seien und Simon Schwarz eine „Alterspsychose mit hypochondrischen Wahnideen“ aufweise.

Aus Furcht vor wirtschaftlicher Not wandte sich Simon Schwarz an eine Nichte in Amsterdam, die ihn bereits finanziell unterstützte. Aus der Ferne bat sie die Jüdische Gemeinde in Halle um Hilfe, die ihr der Vorsitzende Leo Hirsch auch zusicherte.

Kurz darauf verschlechterte sich der Zustand von Simon Schwarz so, dass ihn Dr. Jastrowitz am 30. September 1942 in die Nervenklinik des Universitätskrankenhauses Halle einweisen wollte. Wegen fehlender Kapazitäten dort wurde der Patient einen Tag später in die Landesheilanstalt Altscherbitz bei Leipzig gebracht. Nur fünf Tage später, am 6.Oktober 1940, war er tot.

Als Todesursache wurde „Marasmus [abnehmende Lebenskraft vor allem im hohen Alter] bei seniler Demenz“ angegeben. Dr. Jastrowitz zeigte sich nicht überrascht, obwohl er noch am Einlieferungstag gegenüber einer weiteren Nichte vermutete, dass es nicht ausgeschlossen sei, „dass, gute Pflege vorausgesetzt, der Zustand Ihres Onkels sich bessert und er wieder entlassen werden kann.“

Was seinen Tod in letzter Instanz bewirkt hat, kann wegen fehlender Nachprüfbarkeit vorhandener Unterlagen nicht belegt werden. War es die Aufregung bei schlechter Pflege und abnehmender Lebenskraft? Auch eine tödliche Spritze im Rahmen der Euthanasie-Morde kann nicht ausgeschlossen, aber auch nicht belegt werden.

In seinem Testament schrieb Simon Schwarz:

„Ich vermache […] meinen Fluch dem Tropf-Trottel, Dummkopf, wenn nicht Schurken (?) Welsch von der Gestapo, der mich ins Unglück, oder wenigstens in das ‚Schlamassel‘, brachte“.

 

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