FFF-Rede: Versagen der Politik, #Klimaneustart

26. Dezember 2019 | Politik | 6 Kommentare

Die folgende Rede wurde (gekürzt) bei einer der Fridays for Future Demonstrationen gehalten und uns freundlicherweise zugeschickt.

Reden auf Demos sind keine Artikel oder wissenschaftlich differenzierten Publikationen, wir bitten die Leserinnen und Leser, das beim Lesen zu beachten. Häufig müssen sie verkürzen und vereinfachen, um unter den schwierigen Umständen verständlich zu sein.

Die Reden geben nicht die Meinung der Redaktion wider.

Liebe Fridays for Future!

Danke, dass ihr wieder so zahlreich erschienen seid! 

Euer Einsatz und euer Engagement ist großartig! In den letzten Monaten haben die Klimastreiks große gesellschaftliche Diskussionen angestoßen. 

Viele Menschen begreifen, dass wir vor einem riesengroßen Problem stehen: Wir müssen die Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas beenden. 

Auf der Nutzung der fossilen Energie ist unsere gesamte Lebensweise aufgebaut.

Unsere Wirtschaft und unser Wohlstand beruhen seit über 100 Jahren darauf. 

Aber wenn wir weiterhin Kohle und Benzin verbrennen, zerstören wir die Grundlagen unserer eigenen Zivilisation. Wir gefährden die Abläufe, mit denen unsere Nahrung erzeugt wird, wir gefährden unsere Trinkwasserversorgung, wir schießen die Parameter des Planeten innerhalb kurzer Zeit um Millionen Jahre in die Vergangenheit zurück.

Das alles ist nicht neu, das ist seit langem bekannt. Die Aufgabe der Politik war es, Lösungen für dieses große Problem zu erarbeiten. Aber die Politik hat sich verhalten, wie sich ein unreifes Kind bei einer ungeliebten Aufgabe verhält: das Unangenehme immer weiter hinausgezögert, immer wieder verschoben, ein paar Kleinigkeiten begonnen und dann wieder liegen lassen.

Seit dem Beginn der Fridays for Future Demonstrationen wurde so deutlich wie nie zuvor, dass diese Regierung überhaupt keine Ansätze hat, überhaupt keine Ideen, wie man das Problem lösen soll. In die Bekämpfung der Schülerstreiks und in die Bekämpfung der Forderungen der Wissenschaftler wurde 10 mal so viel Kraft und politischer Aufwand gesteckt wie in die Suche nach Lösungen. Man vertraut auf ungeahnte Innovationen und Wundertechniken, die bestimmt in Kürze erfunden werden und alle Probleme auf einen Schlag lösen. Man verspricht uns, dass alles nicht so schlimm wird. Man schnürt winzige Klimapäckchen, von denen jeder sofort ausrechnen kann, wie lächerlich und unwirksam sie sein werden, und selbst diese Placebos schafft man noch so zu gestalten, dass sie unsozial sind und Geringverdiener stärker belasten als die Gutverdiener. Und währenddessen beraubt man Euch jeden Tag um mehr Möglichkeiten, zerstört jeden Monat mehr von eurer Zukunft.

Immer mehr Spitzenpolitiker beweisen deutlich, dass sie mit ihrer ganzen Kraft gegen einen Kohleausstieg kämpfen, mit ganzer Kraft mehr Auto- und LKW- Verkehr fördern, mit vollem Einsatz verhindern wollen, dass wir irgend eins der Klimaziele jemals erreichen können. Auch das erinnert an kleine Kinder: stur stampfen sie mit den Füßen auf und rufen: “Ich will aber!”: Viel Wachstum, viel Verschwendung, viel billige Energie, viele Müllexporte, viel Massentierhaltung, viele Insektenkiller und viel Nitrat im Grundwasser. Ich will, ich will, ich will.

Statt die Realität anzuerkennen und endlich umzusteuern. 

Im Jahr 2020 soll ein neues Kohlekraftwerk Datteln 4 den Betrieb aufnehmen. Für die Kohlekonzerne ist es lukrativ, da beim Kohleausstieg fette Entschädigungen winken. Für unsere Emissionen ist es fatal.

Die Regierung ist gegen wirksame CO2-Bepreisung, die Regierung ist gegen den Abbau der klimaschädlichen Subventionen (ca 50 Milliarden Euro pro Jahr), die Regierung ist gegen den Ausbau der Erneuerbaren und fördert lieber den Neubau von zwei riesigen Kreuzfahrtschiffen. Unsere aktuelle Politik lässt den umweltfreundlichen energiesparenden Verkehr mit viel zu geringen Investitionen immer schlechter werden, fördert aber große Hybrid-Autos, die in der Praxis fast vollständig mit Benzin oder Diesel betrieben werden, und fördert Elektroautos, die viele Nachteile des Autoverkehrs beibehalten und im Vergleich zu Zug, Bus und Fahrrad viel zu viel Energie verbrauchen. Die Windindustrie wird zerstört, da sind der Politik zehntausende zukunftsfähige Arbeitsplätze vollkommen egal. Die angeblichen Sorgen um die Jobs in der Kohleindustrie sind heuchlerisch und vorgeschoben, das wird am Zerstören der Zukunftsindustrien besonders deutlich.

Unsere Regierung setzt sich auch auf internationaler Ebene immer wieder für die schlimmstmögliche, klimaschädlichste Politik ein. Egal ob beim Freihandelsabkommen mit Südamerika, durch das die Brandrodungen im Regenwald verstärkt werden, oder auf europäischer Ebene, oder wenn man CO2-Zertifikate nicht stillegt. 

Andere Länder sind uns politisch weit voraus, und wir als Deutschland bremsen jeden Fortschritt. Die Liste der Beispiele von Politikversagen würde für die ganze Demo reichen. Die Politik ist rückwärtsgewandt, angstgesteuert (Gelbwesten, Rezession), phantasielos, zerstörerisch. Diese Politik setzt auf das reine Ausschlachten früherer Erfolge, es ist eine Abwrackpolitik, die uns auch im internationalen Wettbewerb um Zukunftsfähigkeit wirtschaftlich zerstören wird. Sie ist auch ökonomisch unsinnig, weil sie die größten ökonomischen Herausforderungen, die das Weltwirtschaftsforum bereits im Januar aufgeführt hat, immer noch komplett ignoriert.

Das Gemeine am Klimaproblem ist: je später man anfängt, desto schwerer wird es. Allein im verlorenen letzten Jahr hat Deutschland wieder hunderte Megatonnen CO2 verursacht, ohne dass wir der Umstellung auf eine fossilfreie Wirtschaft näher gekommen wären. Wir verpulvern Ressourcen, die wir für die Umstellung auf eine energieeffiziente sparsame und aus Erneuerbaren Energien betreibbare Wirtschaft brauchen. Wir verschleudern Geld und Material, das uns in ein paar Jahren schmerzlich fehlen wird.

Aber was können wir dagegen tun? Was haben wir für Möglichkeiten gegen Konzerne und Presse, gegen jahrelang aufgebauten und teuren Lobbyismus? Gegen ideologisch bornierte Ansichten von Bundes- und Landesministern? Welche Chancen haben wir?

Eine wichtige Aufgabe ist: informiert euch! Informiert euch gründlich und tiefgreifend. Seid in der Lage, mit den Gigatonnen und den Parts per Million zu jonglieren! Lest bei den Wissenschaftlern von Scientists for Future nach, damit euch niemand mehr so schamlos ins Gesicht lügen kann wie diese Regierung. Macht euch die Arbeit, kniet euch in Details und trockene Fakten. Informiert eure Umgebung. Erklärt ihnen, was der neueste Artikel zu den Kipppunkten bedeutet, und wie wenig Zeit uns bleibt. Erklärt ihnen, wie viele Windräder und Solarzellen man bräuchte, um den heutigen ungebremsten Energiebedarf zu decken. Deckt auf, dass “wir haben noch 10 Jahre” eben nicht bedeutet, dass wir in 10 Jahren anfangen können. Nein: wir müssen in 10 Jahren fertig sein mit dem Ausstieg aus Kohle, Erdöl und Erdgas. Wir müssen also vor 10 Jahren damit anfangen!

Und dann: engagiert euch. Es gab noch nie so viele Möglichkeiten und so viel Rückenwind wie heute. Auch wenn es nur eine Stunde pro Woche ist: sucht euch die passende Form aus. Ob bei FFF oder bei “Mitmischen”, ob in Parteien oder beim Müllsammeln, ob gegen das Absägen von Bäumen oder gegen die neue Autobahn, ob für Solarzellen auf eurer Schule oder einen Ökostromvertrag in eurem Job. Ob mit dem Schreiben von Artikeln, oder mit Anfragen im Stadtrat, oder mit Leserbriefen, oder Blockaden, oder mit positiven Gesprächen. Organisiert Kleidertausch und Upcycling, organisiert gute Boykotts, 

Helft den Aktionsformen, die es gibt: Ende Gelände, Extinction Rebellion, Scientists for Future, Entrepreneurs for Future, Vegan in Halle, Food sharing.

Danach das Private: ob ihr eurer Familie bei Müllvermeidung oder beim fleischarmen Essen helft, ob beim Einkaufen ohne Auto, ob bei Ideen zu besserem Urlaub, oder beim Kochen statt Tiefkühlpizza.

Aber einen wichtigen Schritt habt ihr alle gemacht: ihr seid heute hier bei der Demo. Ihr seid laut. Wir sind laut.

Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!

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