Christoph Bergner (CDU): „Berichte zu Angriffen auf russische Mitbürger offenbar Putin-Propaganda“

18. März 2022 | Politik | Keine Kommentare

Ehemaliger Bundesbeauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Christoph Bergner, zum Umgang mit den wiederholten Berichten über Anfeindungen und Diskriminierungen russischsprachiger Mitbürgerinnen und Mitbürgern in unserem Land.
__________________________________________________________________________

(Ungekürzte Stellungnahme von Christoph Bergner, Ex-Bundestagsabgeordneter der Halleschen CDU):

Christoph Bergner: „Ich war acht Jahre Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und Nationale Minderheiten (2006-2014). In dieser Zeit sind zahlreiche Kontakte und Freundschaften zu Russlanddeutschen und Russen in Deutschland und in Russland aber auch in die Ukraine und andere postsowjetische Staaten entstanden, die bis heute lebendig blieben. Natürlich sorgt Putins Angriffskrieg auf die Ukraine bei diesen Menschen für beson-dere Betroffenheit, Sorge, Angst und Verunsicherung. Andererseits engagieren sich die „rus-sischsprachigen“ Mitbürgerinnen und Mitbürger unseres Landes auch besonders bei der Hilfe für die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine.

In dieser Situation wird immer wieder von Anfeindungen und Übergriffen auf „Russischsprachige“ Mitbürger berichtet. Ich kenne mehrere der kursierenden Texte in deutscher wie russi-scher in Sprache, die gegen hier lebende „Russen“ hetzen. Oft erfüllen sie den Straftatbestand der Volksverhetzung. Sie müssen zur Anzeige gebracht werden!

Es ist dringend erforderlich Ursprung und Quelle dieser anonymen Hetz- und Schmähschriften zu identifizieren. Es ist schwer vorstellbar, dass sie aus unserer Gesellschaft kommen. Folgende Indizien, sprechen meines Erachtens für die Annahme, dass es sich um lancierte Texte handelt, die Teil einer Desinformationskampagne des Kremls sind um Unruhe in die deutsche Gesellschaft zu tragen und in Russland die propagandistische Aussage zu verbreiten, in Deutschland würden Russen (wörtlich übersetzt „russländische Landsleute“) angefeindet und verfolgt. Für diese These sprechen folgende Beobachtungen:

1. Nach meiner Kenntnis gibt es bisher niemanden, der als Verfasser oder Initiator dieser Hetztiraden gegen Russlanddeutsche und Russen identifiziert werden konnte oder der sich in diesem Zusammenhang als Kritiker der Russlanddeutschen oder Russischsprachigen in unserem Land persönlich bekannt hätte. Warum bleiben die Autoren der Anfeindungen anonym? Dies ist angesichts der allgemeinen Stimmungslage und Diskussionsbereitschaft über Putin und seinen Krieg ungewöhnlich.

2. Die Angriffe und Hetztiraden gegen Russen und Russlanddeutsche werden im Kontext der allgemeinen Empörung über den verbrecherischen Angriff auf die Ukraine lanciert. Wenn sie authentisch wären, hieße das, ihre Verfasser würden aus Sympathie für die Ukrainer gegen Russlanddeutsche bzw. Russischsprachige hetzen. Das ist absurd. Eine solche Adressierung ist nicht zu erwarten, weil die allermeisten Deutschen ohne genaue Herkunftsinformationen gar nicht in der Lage sind, ihre Mitbürger aus dem ehemals sowjetischen Raum als Ukrainer, Russen, Russlanddeutsche aus der russischen Föderation oder Russlanddeutsche aus der Ukraine zu unterscheiden. Es erscheint auch deshalb schwer vorstellbar, dass die Idee für diese Hetzaktionen von deutschen Mitbürgern stammt.

3. Ich habe mich in meiner Zeit als Beauftragter für Aussiedlerfragen auch mit Animositäten von Einheimischen gegenüber Aussiedlern und Spätaussiedlern auseinander zu setzen gehabt. Der Ton, in dem die vorliegenden Tiraden verfasst wurden, ist ganz anders. Manche der Einzelheiten dieser Hetzschriften deuten eher darauf hin, dass es sich um fremdgesteuerte propagandistische Kunstprodukte handelt.

4. Es verdient Beachtung, dass die russische Botschaft, bzw. die russischen Konsulate sich von Anfang an in fürsorglichem Ton an die „russischsprachigen Landsleute“ wendeten und ihnen ihre Unterstützung anboten.

5. Dem Thema der (angeblichen) Verfolgung und Anfeindung von „Russischsprachigen“ räumen die Staatsmedien in Russland breiten Raum ein. Mir berichten Mitbürger russlanddeutscher Herkunft von besorgten Anrufen aus Russland, in denen die dortigen Verwandten fragen, ob sie die Anfeindungen und Verfolgung in Deutschland denn noch ertragen können. Mir wurde von russischen Medienbeiträgen berichtet, die behaupten, die Kinder russlanddeutscher Spätaussiedler würden hier aus ihren Familien gerissen und in deutsche Kinderheime verbracht.

Es besteht also der begründete Verdacht, dass wir es hier mit einer inszenierten Kampagne zu tun haben. Gemeinsam sollten wir alle Anfeindungen und Hetze gegen Russlanddeutsche und Russen konsequent abwehren indem wir sie zur polizeilichen Aufklärung und Verfolgung bringen.

Wir wissen aufgrund früherer Erfahrungen bei der Aufnahme und Unterbringung vieler Flüchtlinge, dass Hass und Zwietracht leicht zu verbreiten sind. Lassen wir nicht zu, dass von fremder, feindseliger Propaganda solche Konflikte in unsere Gesellschaft getragen werden!

Ich halte die durch das „Landesnetzwerk LAMSA“ beabsichtigte Einrichtung eines Beratungs- und Meldetelefons für Russischsprachige für eine fragwürdige Aktivität, die missbrauchsanfällig durch fremde Propaganda ist. Die Verbreiter von Hass und Hetze müssen ebenso wie Gewalttäter durch unsere Strafverfolgungsbehörden konsequent verfolgt werden. Aufklärung ist hilfreicher als ein aktionistisch eingerichtetes Kummertelefon.

Dr. Christoph Bergner
Ministerpräsident a.D.
Parlamentarischer Staatssekretär a.D.

 

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar schreiben