Udo, Halle und 30 Jahre Wende

10. Dezember 2019 | Kultur | Keine Kommentare

Hallespektrum führt ein Interview mit dem Kopf der Band

Hallespektrum: Herr Schlüter, die Musikband Viertelpoet ist eine hallesche Band, die bereits seit 2009 zwei Alben „Stundenlang gesucht“, „Seltsam sprachlos“, mehrere Singles und eine EP rausgebracht hat.

Der neue Song der Band Viertelpoet lautet der „Panikpräsident“. Der Song ist eine „Udhommage für einen Künstler, der uns die Jugend rettete und das Leben versüßte.“, lautet es auf Ihrer Homepage.

Können Sie das etwas näher erklären?

Frank Schlüter: Udo Lindenberg war in meiner Jugend der Kontrapunkt zu dem, was man staatlicherseits präsentiert bekam. Er war quasi eine Leitfigur, mit dessen Texten man sich identifizierte und der seinerzeit gerade mit seinem Song „Ratten“ den Nerv der Zeit traf, in dem er Umweltverschmutzung im Osten und Westen anprangerte. Im „Grande Finale“  spitzte er die damalige Weltlage so drastisch zu, wie man sie in dieser Zeit auch wahrnahm und permanent um die Ohren gehauen bekam. Im Kalten Krieg gibt es Irre, die bereit sind, die Existenz des Menschen auf diesem Planeten aus sinnlosen Gründen aufs Spiel zu setzen. Kommt einem doch irgendwie bekannt vor… Zudem entwarf er Sehnsuchtsszenearien, nach denen man sich in seiner Jugend verzehrte in Songs wie „Cowboy Rocker“, „Desperado“ oder „Sizilianischer Werwolf“, die systemübergreifend wirkten. Und mit „No future“ benannte er einen Ausweg aus dem Fatalismus der damaligen Zeit, das es immer um einen Selbst, um das Individuum mit seinen Gefühle, Sehnsüchten und Gedanken geht. Und das war so weit weg vom kasernierten Einheitsgemache der propagierten sozialistischen Persönlichkeit wie Andromeda von der Milchstraße. Lindenberg mischte sich ein, gerade im Osten fieberte man mit, ob es ihm die Apparatschiks gestatten würden, in der Zone zu singen. Er war eigentlich der einzige westdeutsche Künstler, der mit seinen „Gitarren statt Knarren“ und seinem „Sonderzug“ für uns gebeutelte Zonis echtes Interesse und Anteilnahme zeigte, die er nicht hätte haben müssen, wenn es ihm nur um die reine Karriere gegangen wäre. Insofern war er für mich persönlich  ein Lebensretter…

Hallespektrum: Die Premiere des Songs war am 27.11.2019. Gibt es eine Verbindung zum 03. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit? Was war der Anlass für den Song?

Frank Schlüter: Wir hatten im Sommer das Gefühl, und das war etwas merkwürdig Unbewusstes, dass Udo Lindenberg nach dreißig Jahren deutscher Einheit als Künstler der Einheit irgendwie geehrt werden würde. Da war also noch lange nicht klar, dass es tatsächlich zu einer politischen Verleihung kommen würde. Nachdem wir unser Musikvideo vom Halleschen Stadtbad zu unserem zehnjährigen Bandbestehen fertiggestellt hatten, drehten wir im zeitigen Frühjahr zum ersten Mal mit Schauspielern ein Video „Meine Heimat“. Wir wollten unseren Fans zu unserem zehnjährigen Bestehen aber gern noch etwas Schönes von unserer Heimatstadt Halle präsentieren. Mit dem Stadtlied waren wir nicht weitergekommen, was die Finanzierung anlangte und so griffen wir die Idee auf, Udo Lindenberg musikalisch zu ehren und dafür auch die wunderbare Kulisse der Stadt zu nutzen. Er hat sich ja selbst genug eigene musikalische Monumente gesetzt, wir wollten aber einfach mal Danke sagen für so viel Kreativität, Enthusiasmus und Esprit. Und die politische Ehrung Lindenbergs war dann eigentlich auch die Bestätigung, dass wir mit unserem Gefühl im Frühsommer nicht falsch lagen.

Hallespektrum: Der Song besteht aus Liedzeilen aus Alben von Udo Lindenberg. Wie kommt man auf diese Idee und warum?

Frank Schlüter: Wir haben etwas länger überlegen müssen, wie man so etwas anstellt. Dann sind wir auf die Idee gekommen, Texttitel oder Textversatzstücke seiner Songs so zu nutzen, dass sie ein eigenständiges Ganzes ergeben. Da Lindenberg viel über Liebe und Zwischenmenschliches veröffentlicht hat, war es klar, dass es eine gewisse Lovestory implizieren musste. Die musikalische Idee dazu war schnell gefunden und unsere genialen Arrangeure Kai Madlung und Holger Klöden konnten das professionell umsetzen. Ich bezeichne das immer gern als eigenständige Kunst, die eigentlich keiner von den musikalischen Laien gleich so auf dem Schirm hat. Die Kunst des Arrangierens von der eigentlichen musikalischen Idee ausgehend und dann noch das Mixing und Mastering, das hoher ingenieurstechnischer Kunstfertigkeit bedarf, um das Produkt am Ende so vorliegen zu haben, dass es die Idee erhöht und musikalisch weit über das hinausgeht, was man sich am Ausgangspunkt vorgestellt hat. Das Musikalische war dann im September professionell umgesetzt und wir mussten uns Gedanken über das Bildliche machen. Da kam uns auch der Zufall zu Hilfe…

Hallespektrum: Wie sind Sie an Torsten Exe Exler als Udo- Double gekommen?

Frank Schlüter: Als wir bei der Stadt unser Stadtlied vorstellten und dabei auf offene Ohren stießen, kam in einer Bildidee ein Udo Lindenberg- Double vor. Da wir lose über Facebook von den Aktivitäten Exes wussten, wendeten wir uns an ihn und er war gleich mit von der Partie. Da er nicht nur optisch wie Udo daherkommt, konnten wir ihn auch musikalisch ins Bild setzen.

Hallespektrum: Und wie kommt man an eine Yacht?

Frank Schlüter: Im Nachhinein hat sich herausgestellt, dass der Fotograf Mathias Müller, einen Kontakt zu Andreas Werner, dem Eigner der MS Salina, hergestellt hatte. Andreas schrieb uns eine Anfrage über Facebook, ob wir Lust hätten, auf einer 15- Meter- Yacht zu drehen. Die hatten wir natürlich, yippieh, und wir dachten natürlich gleich an die Udhommage und an Klassebilder auf unserer Saale. Von Mathias stammen auch die coolen Fotos auf den Hausmannstürmen.

Hallespektrum: In Ihren Musikvideos sind immer wieder spektakuläre Bilder aus Halle. Warum sind Ihnen hallesche Musikvideos wichtig?

Frank Schlüter: Glücklicherweise haben wir in Halle Firmen, die Bilder professionell in Videos einbinden können. Hier haben wir schon wie in anderen Videos, z. B. „Seltsam sprachlos“ oder in der Oper Halle für unsere Stadtvierteltour Inklusive, auf Lettow TV zurückgreifen können, die mit ihren Kameraleuten Mario Heßelbarth und Michael Both einfach auch richtig Bock haben, mit uns Musikvideos zu drehen. Das tun sie sehr professionell, da sie sonst auch für den MDR zu verschiedenen Anlässen  drehen. Danke für euer geiles Video! Und unsere Stadt in Szene zu setzen, ist uns immer eine Herzensangelegenheit. Sei es mit dem Giebichenstein bei „Die Gedanken sind frei“, dem Stadtgottesacker und  Südfriedhof bei „Engel“ oder dem Stadtbad. Hier sind Facetten zu finden, die es sonst nirgends gibt.

Hallespektrum: Die Szene auf den Hausmannstürmen bietet einen wunderbaren Blick über die Stadt. Wie kann man denn da oben einen Film drehen?

Frank Schlüter: Wir wollten natürlich nicht nur uns, sondern auch das Weichbild der Stadt zeigen. Das kann man am besten mit einer Drohne. Im Vorfeld waren da noch Genehmigungen vom Ordnungsamt, etc. einzuholen. Das lief alles sehr routiniert ab. Natürlich bedarf es einiger Lauferei, um den richtigen Termin zu erwischen, der aufgrund der hohen Auslastungsfrequenz der Hausmannstürme und des herbstlichen Wetters nicht einfach festzulegen war. Da gab es aber ein enormes Unterstützungspotential durch Stadt und Stadtmarketing. Leider konnte unser Schlagzeuger, Peter Köppchen, nicht an den Drehs teilnehmen, da er mit seiner Tauchschule Scuba Doo immer bis 18.00 Uhr im Laden gebunden ist und die Sonne da schon hinterm Horizont verschwunden war. Micha an der Drohne und Mario an der Handkamera haben da erstklassig geliefert…Das einzig Schwierige war das Erklimmen der etlichen Stufen da oben hinauf, hier ging uns mit den Instrumenten schon etwas die Puste aus…

Hallespektrum: Gibt es in Halle Unterstützung für eine Band, die kostenfreie Werbevideos für die Stadt dreht?

Frank Schlüter: Wie schon erwähnt, das Stadtmarketing und das Stadtmuseum waren sehr zugänglich, händigten uns Schlüssel für die Hausmannstürme aus. Herr Bock von der Pressestelle leitete unsere Anfrage gleich an das Ordnungsamt weiter. Wir haben hier gute Erfahrungen gemacht. Die Stadt Halle nimmt uns als Künstler und Identitätsstifter für unsere Stadt wahr. Da hoffen wir weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit. Gerade mit dem Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand und den Dezernenten gab es schon einige fruchtbare Gespräche zu unserem Stadtlied- Projekt. Kai Madlung ist ja hier auch noch mit anderen musikalischen Projekten verortet, wie z. B. „Schule macht Musik“.

Hallespektrum: Worauf können sich denn Fans in nächster Zeit freuen?

Frank Schlüter: Wir hoffen, dass unsere Udhommage Verbreitung findet und dass sich vielleicht ein, zwei Leute den Song herunterladen. Auf Spotify haben wir pro Anhörung eine Vergütung von 0,006 Cent. Grenzenloser Reichtum steht uns also noch bevor. Vielleicht können wir dann in 140000 Jahren mit eigener Yacht auf der Saale schippern und uns von den Orks bewundern lassen… Wir wissen natürlich auch, dass Udo Lindenberg glücklicherweise immer noch polarisiert und hoffen damit, dass unsere Stadt nach dem  ruchlosen Mordanschlag öffentlich wieder positiver wahrgenommen wird. Dazu brauchen wir das Engagement des Einzelnen, dieses Video zu verbreiten und positiv zu bewerten!

Wir versuchen im nächsten Jahr, sollte die Finanzierung klappen, das Stadtlied in Angriff zu nehmen. Hier wollen wir all die vielfältigen Potentiale zeigen, die unsere Stadt bietet und lebenswert macht. Was uns ausmacht, sind natürlich unsere Livekonzerte, die wir gern an besonderen Orten präsentieren. Da hoffen wir auf Anfragen von Veranstaltern aller Couleur fürs nächste Jahr. Darüber hinaus sind wir natürlich auch mit anderen musikalischen Projekten unterwegs. Kai und Holger spielen bei den Deutschrockern „Regentanz“. Kai hat mit Martin Wißner das Projekt „Zwei Saiten“ aus der Taufe gehoben, das mit Violine, Klavier und Gitarre deutsche Rocksongs covert. Holger bedient noch das Billy- Joel- Projekt „Pianoman“. Schließlich gibt es „Notprogramm“ mit Stephan Gorn und mir und dem aktuellen Album „Balladenjunkie“, das lyrisch pointierte Songs in deutscher Sprache beinhaltet, die von Herz zu Herz gehen wollen…

Der Link zum Song 

 

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