Die Krimiautoren empfehlen Krimis

6. Mai 2018 | Kultur | Keine Kommentare
Der Criminale-Schwerpunkt im HalleSpektrum endet heute (fast) mit den Preisträgern. Das bedeutet natürlich eine Menge kriminellen Lesestoff für uns Leser, keinesfalls wollten wir Ihnen das vorenthalten.
Zum 32. Mal bildete die Verleihung der Krimipreise der Autoren den Höhepunkt und zugleich den festlichen Abschluss der CRIMINALE 2018. Europas größtes deutschsprachiges Krimifest gastierte von 2. bis 6. Mai in Halle. In einer abwechslungsreichen und unterhaltsamen Show präsentierte die beiden Moderatoren Ralf Kamp und Peter Godazgar die Nominierten und diesjährigen Preisträger in den Kategorien Glauser-Preis für den besten Kriminalroman, den besten Debütroman, den besten Kurzkrimi, sowie den Hansjörg. Martin-Preis für den besten Kinder- und Jugendkrimi. Zudem wurde der Ehrenglauser an Edith Kneifl in Würdigung ihres Engagements für die Kriminalliteratur vergeben.

Die Preisträger und Nominierten sind:

Preisträgerin für den Friedrich-Glauser-Preis 2018 in der Sparte „Roman“:
Jutta Profijt: Unter Fremden, dtv
Inhalt: Madiha, eine junge Syrerin, hat es mithilfe ihres Landsmanns Harun nach einer lebensgefährlichen Flucht nach Deutschland geschafft. Dort lebt sie in einer Unterkunft in der Nähe von Düsseldorf, gemeinsam mit anderen Migranten aus den verschiedensten Ländern. Sie macht Bekanntschaft mit Deutschen und deutschen Sitten, die ihr fremder nicht sein könnten. Mit ihren Augen sieht der Leser die Gebräuche und Gewohnheiten in Deutschland, dem fremden Land, und erlebt, wie das Eigene, das, was ihm eigentlich vertraut ist, plötzlich fremd wird. Gleichzeitig erfährt er viel über das Leben in einer muslimischen Gesellschaft, in der Frauen nichts gelten und unterwürfig sein müssen. Aber auch da gibt es Ausnahmen: Madiha wurde von ihrem Vater als Kunsthandwerkerin ausgebildet und beschützt – solange er sie beschützen konnte. So wird das Vorurteil entlarvt, dass muslimische Männer Frauen automatisch als Menschen zweiter Klasse ansehen würden. Aber auch in anderer Hinsicht ist Madiha, die durch ihre Gehbehinderung bereits in Syrien eine Außenseiterin war, eine durch und durch ambivalente Figur. Sie ist auch in Deutschland fremd unter ihren eigenen Landsleuten und entspricht keinem Klischee: So fällt sie beispielsweise schon optisch dadurch auf, dass sie grüne Augen hat. Zudem arbeitet sie, die einst in Syrien in einer deutschsprachigen Familie aufwuchs, im Camp als Dolmetscherin, obwohl sie Analphabetin ist. Trotz dieser kommunikativen Aufgabe bleibt sie jedoch einsam. Es sind vor allem diese Qualitäten der Hauptfigur, die den Roman niemals larmoyant werden lassen. Dass Madiha eine Figur mit großem Entwicklungspotential ist, wird spätestens dann deutlich, als Harun eines Tages spurlos verschwindet und sie sich mithilfe der deutschen Polizei, eines libanesischen Restaurantbesitzers und eines kleinen Flüchtlingsjungen auf die Suche nach ihm macht. Bei ihren eher unfreiwilligen Ermittlungen stößt sie auf ein Netzwerk von Syrern, die Landsleute beseitigen wollen, die sie für schuldig halten und damit den syrischen Krieg nach Deutschland tragen.
Außerdem nominiert waren:
Raoul Biltgen: Schmidt ist tot, Verlag Wortreich
YavasAlfred Bodenheimer: Ihr sollt den Fremden lieben,, Nagel & Kimche
Preisträger für den Friedrich-Glauser-Preis 2018 in der Sparte „Debüt“:
Harald J. Marburger: Totengräberspätzle, Emons
Harald J. Marburger hat es geschafft, bei seinem Debüt gleich ein ganzes Genre neu zu erfinden. Selten zuvor war ein Regionalkrimi so unterhaltsam, so skurril und damit so außergewöhnlich. Seine fiktive Kleinstadt auf der schwäbischen Alb verwandelt er in eine kriminalistische Wundertüte, aus der sich die Leser frei bedienen können.
Totengräberspätzle beginnt dort, wo sonst alles endet: auf dem Friedhof. Damit ist der Takt gesetzt für eine Handlung, die Ihres gleichen sucht: Totengräber, die sich gegenseitig die Leichen stehlen, italienische Mafia und russische Paten, Hasch-Kekse aus dem Altenheim und giftige Spinnen aus der Dunkelheit. Selbst eine schwäbische
Variante von Romeo und Julia ist hier zu finden. Das alles richtet Harald J. Marburger gewitzt, aber auch gekonnt an. Seine Sprache unterstützt die Handlung und den Humor dort, wo es Sinn macht. Und hält sich zurück, dort, wo Spannung gefragt ist. Fast scheint es, als würde er jede einzelne seine Figuren lieben: Er gibt ihnen genug Raum zur Entfaltung und schenkt ihnen wunderbare Dialoge. Gleichzeitig vergisst dieses Debüt nie, was es wirklich sein will: ein Krimi. Ermittlung und Auflösung, Verbrechen und Motive – auch das braucht und gibt es auf der schwäbischen Alb. Totengräberspätzle ist ein Kriminaldebüt, das alles wagt – und alles gewinnt.
Außerdem nominiert waren:
Hannah Coler: Cambridge 5, Limes Verlag
Kerstin Ehmer: Der weiße Affe, Pendragon
Gereon Krantz: Unter pechschwarzen Sternen, ProTalk Verlag
Takis Würger: Der Club, Kein & Aber

Die Preisträger. Foto: Michael Deutsch

Preisträger für den Friedrich-Glauser-Preis 2018 in der Sparte „Kurzkrimi“:

Karr & Wehner (Reinhard Jahn und Walter Wehner): Hier in Tremonia, in: Killing You Softly, KBV

Tremonia. Tremonia ist Dortmund. Tremonia ist auch der Name einer Knappschaftskapelle. Sie spielt In the Ghetto von Elvis. Die Kapelle und der Song geben der Geschichte den Takt vor. Der Pott, die Stadt, das Getto. Karr und Wehner zeichnen mit wenigen rhythmischen Strichen das Bild einer heruntergekommenen, aber funktionierenden Siedlung, in der niemand wirklich Kohle hat, aber in der man sich kennt und vor allem aufeinander verlassen kann. Bergarbeiterromantik. Aussterbende Welt. Konkret bedroht durch die Magma-Immobilienentwicklungsgesellschaft. Die wollen die Siedlung entwickeln. Was heißt: die kleinen Leute raus, neue, reichere Leute rein. Fette Kohle für die Magma, Heimatlosigkeit für die Leute aus der Siedlung. Das lassen die Rita, der Kalle und der Schorsch, der Klaus und der Rudi und die Uschi von der Band nicht durchgehen. Mit Raffinesse und Musik verhelfen sie jedem Magma Vertreter zum passenden Unfall. Bis es aus ist mit dem Projekt. Karr und Wehner beschreiben mit leisem Humor die fast schon verlorene Welt der Zechen und Kumpels und ihrer Werte. Sie erzählen den alten Kampf von David gegen Goliath, aber sie erzählen ihn neu. Mit liebevoller Wehmut und ganz großem Sound. Einfach außergewöhnlich.

Außerdem nominiert waren:
Klaus Berndl: Feueralarm, in: Feuerspuren, edition karo
Thomas Kastura: Der Zuschauer, in: Kerzen, Killer, Krippenspiel, Knaur
Henry Kersting: Der Blaue, in: Rache brennt, Verlag am Schloss
Cécile Ziemons: Dünensingen, in: Feinste Friesenmorde, Leda Verlag
Preisträger des Hansjörg-Martin-Preises 2018:
Ortwin Ramadan: Glück ist was für Anfänger, Coppenrath
Oleg ist fünfzehn und kämpft sich von einem Job zum nächsten. Er lebt bei seinem kriminellen Bruder Mark und dem alkoholkranken Vater, und manchmal besucht er seine Mutter in der Psychiatrie. Um aus diesem Leben zu fliehen und seinem Traum von Australien nachzujagen, nimmt Oleg an einem Einbruch teil, der von seinem Bruder und einem Freund geplant ist. Doch der misslingt gründlich. Während die anderen fliehen können, wird Oleg von dem gleichaltrigen Millionärssohn Maximilian, der im Rollstuhl sitzt, gestellt. Um ihn vor einer Verhaftung zu bewahren, schlägt dieser Oleg einen Deal vor: Er muss für ihn arbeiten. Maximilian besitzt eine seetüchtige Jacht,
und Oleg soll ihn auf einer Fahrt begleiten. Das erweist sich allerdings als schwieriger als geplant. Nach einer Entführung kann die Reise endlich losgehen. Aber Mark und andere Verbrecher sind ihnen auf der Spur, eine aberwitzige Verfolgungsjagd mit der Polizei und Presse beginnt. „Man kann sich sein Leben nicht aussuchen, aber man kann das Beste daraus machen“, sagt Oleg am Ende dieses spannenden Jugendromans, der zeigt, dass auch feste soziale Grenzen im zwischenmenschlichen Bereich aufbrechen können und so etwas wie Veränderung möglich ist. Die beiden Protagonisten werden differenziert und glaubwürdig dargestellt – der eine als „arrogantes Arschloch“, der andere als „Vollidiot“. Trotzdem wirken sie in ihrer Unverblümtheit und Frechheit sympathisch, und man kann nur hoffen, dass diese seltsame Beziehung ein gutes Ende findet. Ein fulminantes und actionreiches Ende hat der Roman allemal. Die Jurymitglieder waren sich einig: Die Lektüre dieser rasanten und sehr zu Herzen gehenden Geschichte hat allen einen Riesenspaß gemacht.
Außerdem nominiert waren:
Tanya Lieske: Mein Freund Charlie,, Beltz & Gelberg
Christian Linker: Der Schuss, dtv
Lea-Lina Oppermann: Was wir dachten, was wir taten , Beltz & Gelberg
Martin Schäuble: Endland, Hanser
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