50 Jahre „Turm“ : Mitgründer und Schriftsteller Konrad Potthoff erinnert sich

11. Juni 2023 | Kultur | Keine Kommentare

Samstag abend wurde im Graben der Moritzburg und im „Turm“ ausgelassen gefeiert – und die Feiernden verband eines: sie waren an der Gründung des Studentenclubs „Turm“ vor 50 Jahren beteiligt. Dabei wurde auch ein Dokumentarfilm Film gezeigt (der zur Zeit noch nicht öffentlich zu sehen ist). Im Vorspann kommt der Schriftsteller Konrad Potthoff zu Wort. Er leitete vor 50 Jahren den Ausbau des Studentenklubs Turm in Halle und war dessen erster Klubleiter.

Hallespektrum.de freut sich über die Erlaubnis, den folgenden Text Konrad Potthoffs veröffentlichen zu dürfen. Er beschreibt so eingänglich die Umstände der Gründung des Clubs unter den widrigen Umständen der DDR-Zeit, dass dies unseren Lesern nicht vorenthalten bleiben sollte:

Liebe Türmer,

vermutlich wissen die wenigsten, wie es dazu gekommen ist, dass der Turm 1972-1973 im Nord Ost Turm errichtet worden ist. Da ich von Anfang an den Turmbau begleitet habe, versuche ich etwas über die Geschichte zu erzählen. Obwohl mein Langzeitgedächtnis gut ist, weiß ich natürlich, dass es vermutlich Menschen gibt, die andere Erinnerungen mit sich tragen. Es gibt keine Erinnerung, die man mit anderen teilen kann.

Wie kam es zum Turmbau:

Sowohl bei den Studenten als auch in der Unileitung, hatte sich der Gedanke an einen eigenen Studentenklub durchgesetzt. In Merseburg gab es einen, in Weimar, Jena, Rostock – alles originelle Clubs in alten Gebäuden, die Aufzählung ist unvollständig. Selbst in Halle gab es bereits einen Club, den der Sektion Landwirtschaften. Natürlich gab es Widerstand, auch in Halle einen Club zu errichten. In der Bauleitung der Uni gab es den Plan, einen Club in der damals neuen Mensa auf dem Weinberg einzurichten. Und natürlich hatte das Ministerium für Staatssicherheit etwas dagegen, weil sie nicht zu Unrecht befürchteten, dass die Arbeit nach dessen Fertigstellung für sie umfangreicher werden würde. Doch der Gedanke an einen eigenen Studentenklub setzte sich durch. Natürlich unterstützt von der Studentenschaft, aber auch von der Leitung der Universität, mit Professor Poppe an der Spitze, auch der Partei- und FDJ Leitung. Ich studierte damals seit 1969 Biologie/Biochemie, doch ich merkte bald, dass das nicht unbedingt meins war. Ich hatte zu dieser Zeit mein erstes Buch geschrieben. Der Gedanke Schriftsteller zu werden, nahm überhand. Doch zu DDR-Zeiten Lebensläufe einfach zu unterbrechen, war schwierig. Als ich in irgendeinem Institut als Diplomarbeit über Kartoffelfäule nachdenken sollte, bewarb ich mich bei der Universitätszeitung als Volontär. Außerdem war bekannt, dass ich als Kulturverantwortlicher in der Sektion Biologie mir einen Namen geschaffen hatte.

Gerüchteweise wusste ich, dass es einen Traum vom eigenen Studentenklub gab. Der damalige Sekretär für Kultur der FDJ, Edda Konwitschny sprach mich an, ob ich nicht Klubleiter, eines zu bauenden Studentenklubs werden wollte, im Gespräch war nun die Neumühle, nicht weit von der Moritzburg entfernt und unter Denkmalschutz stehend. Doch mit unklaren Besitzverhältnissen, Besitzer sollte eine Schweizer Mühlengesellschaft sein. Unter Leitung von Professor Mrusek und seinen damaligen Fernstudenten, zum Beispiel Herrn Hans-Georg Sehrt, verschafften wir uns Zugang zur Mühle und fertigten ein Aufmass an. Kleiner Witz am Rande: das Gebäude war dann 6 m kürzer, als die Aufmasse im Innern. Mir wurde Himmel Angst ob des Umfangs der notwendigen Arbeiten. Außerdem war relativ schnell klar, dass die notwendigen Brandschutzarbeiten, allein schon Unmengen von Geld verschlingen würden. Eines der „Kinder“ unseres Turms, war dann der Moritzzwinger in Leipzig, an dem mindestens sieben Jahre gebaut worden war. Viel zu lange, um eine Studentengeneration bei Laune zu halten, die selbst noch Nutzen davon haben wollte. Wir brauchten ein Objekt, das in kürzester Zeit ausgebaut werden konnte. Denn nur so waren die in dieser Zeit studierenden Studenten für den Ausbau zu begeistern, wenn sie noch selbst, während der Studienzeit, das Objekt in Besitz nehmen konnten. An dieser Stelle kommen die verdienstvollen Architekten Plewe und Lauenroth ins Gespräch. Sie schlugen als Alternative den Nordostturm der Moritzburg vor. Dieser war während der Naziherrschaft zum Bunker ausgebaut worden. Es war, man so will, der Privatbunker des Gauleiters von Halle und Merseburg, Eggerling,. Die Gauleitung residierte nunmehr in der ehemaligen Freimaurerloge. Auf dem Gelände der Kanonenbastion, erbaut zur selben Zeit wie die Moritzburg.

Vor einigen Jahren geisterte durch diverse Zeitungen, im Zusammenhang mit der Leopoldina, das Gerücht, die DDR, sprich Uni, hätte das Gebäude kassiert. Doch so war es nicht. Im Rahmen der „Gleichschaltung“ nahmen es die Nazis in Besitz. Niemand konnte sich vorstellen, dass der Gauleiter mit fliegenden Rockstößen über die Straße in seinen Bunker bei. Bombenalarm rannte. Deswegen suchte man während unseres Ausbaus lange nach einen geheimen Gang, doch man fand keinen. Beim Bunkerausbau entstand der mittlere Pilz, der die Decken trägt. Zeitzeugen berichteten, dass in der ca. 5 m starken Decke, sich Eisenbahnpuffern befinden, die Bomben einen Impuls zu geben, sich nicht ins Gebäude zu bohren. In den Turm gelangte man durch enge Gänge. Alle historischen Türen waren vermauert und mit Luftschutztüren ausgestattet. Die ehemaligen Kanonennischen waren ebenfalls mit Beton vermauert, die uns große Probleme bereiten sollten. Als wir erstmalig den Turm besichtigten, war er voller Unrat und Matratzen. Vermutlich verursacht kurz nach dem Krieg, als er von der Bevölkerung geplündert wurde. Der ehemalige Gauleiter Eggerling saß erschossen an der Säule, gegenüber dem Sommerausgang, wie Zeitzeugen berichteten. Er erschoss sich am 15. April 1945.

Im September 1972,, mit Eintreffen der ersten Studenten, begann der Ausbau. Ich kann mich nicht erinnern, großartig Reklame in den Sektionen gemacht zu haben, es sprach sich schnell herum. Beispielsweise in meinem Stammcafé, dem Café Fritze, immer besiedelt von Medizinstudenten. Sie waren dann auch die ersten, und stellten beispielsweise bei der Einweihung die erste Baddienstmannschaft hinter dem Tresen. Ich denke, es war meine Idee, den Turm zum „Initiativprojekt 10. Weltfestspiele“ zu ernennen. Dieses damalige Zauberwort, öffnete uns alle Türen. Nicht nur in der Uni selbst, auch die Betriebe standen, sozusagen stramm, wenn man das Wort nur erwähnte. Sonst hätte man in dieser Zeit niemals in einem solchen kurzen Zeitraum den Ausbau schaffen können.

In den wenigen Monaten arbeiteten ca. 4000 Studenten im Turm und leisteten etwa 25.000 Arbeitsstunden. Größtes Problem war der Beton in den Nischen. Wir fanden einen Sprengmeister, ich glaube er hieß König, der die Sprengungen vornahm. Erst wurde ein Keil in der Mitte herausgesprengt, dann der Rest, der in den gesprengten Teil hinein fiel. Es war eine Kunst, denn die Kanonennischen blieben heil, obwohl bei jeder Sprengung der Turm zu wackeln schien. Um die Löcher in den Beton zu bohren, heuerten wir Walter an, denn selbst der kräftigste Student war nicht in der Lage, den Bohrhammer zu führen. All das heraus gesprengte Material, nicht nur dass der Kanonennischen sondern auch aus den Gängen, wurde von Studenten in Eimern heraus getragen.

Einige der Studierenden engagierten sich auch in ihrer Freizeit. Sie waren es, die im Anschluss den sogenannten „Erbauerausweis“ erhielten. Parallel zu den Arbeiten geschahen merkwürdige Dinge. Zum Beispiel fand man Symbole aus der Hitler Zeit, mit Bleistift auf die neuen Mauern vom Tresen und in der ersten Etage. Gleichzeitig wurde der Ruf lauter, dass ein Studentenklub mit dieser Vergangenheit nicht würdig wäre, ausgebaut zu werden. Eines Tages lag mitten im Untergeschoss ein Stahlhelm aus der Nazizeit. Das Geschehen darum, habe ich mit Übertreibungen, in meinem Roman „Gottfried schwängert den Tod“ beschrieben.

Kurz gesagt: der Stahlhelm begann ein Eigenleben, bis ich eines Nachts in den Turm zurückkehrte, und mit dem berühmten Vorschlaghammer, mit dem auch die Diskutiertreppe entdeckt wurde, den Stahlhelm zu einem handlichen Klumpen zusammen schlug, und damit war das Problem beseitigt. Wie gesagt, es sind meine Erinnerungen. Zum Beispiel die, dass ich ständig zwischen Kreisleitung und Turmleitung vermitteln musste. Im Turm wollte man zum Beispiel, fast jeden Tag Disco oder Livekonzerte, oder Bierabende.Auf dem Weg in die Kreisleitung milderte ich diese Wünsche ab, so wie ich auch die Wünsche der Kreisleitung auf dem Weg zum Turm verharmloste. Aber noch wollten alle den Turm. Er wurde das hallesche Aushängeschild. Der damalige SED Chef von Halle, Werner Felfe, kam mit jeder ausländischen Delegation, um ihnen den Turm zu zeigen. Der damalige Vorsitzende des Ministerrates, Werner Sindermann, kam, und ich konnte ihn überreden, dass wir erstmal keine Steuern zu zahlen brauchten. Das führte nach der Eröffnung zu gespenstischen Umsätzen, aber das hat sich nach meiner Zeit erledigt.

Vieles haben wir vom Kasseturm in Weimar übernommen. Zum Beispiel die Bardienstmannschaften, wöchentlich wechselnd, mit einem „Chef“. Nur sonntags war geschlossen. Montag war der so genannte Erbauertag. Der Dienstag war für Diskussionen vorgesehen, Mittwoch war Disco mit der ersten fest eingebauten Disco weit und breit, in der dritten Etage. Donnerstag und Freitag wechselnde Programme, und wenn die ausfielen, wie üblich Bierabend. Selbst an diesen Tagen standen Schlangen vor dem Turm. Eintritt hat nur Inhaber eines Studentenausweises und ihre Begleitung.Ich versuchte zwar zwischen Klubleitung und FDJ Leitung zu vermitteln, aber mit der Zeit wurde mir klar, dass man das durchschaute. Natürlich gab es Störmanöver, speziell in der Bauphase. Eine lustige Episode am Rande: Lothar Günther schrieb die Turm-Seite in jeder „ZU“ – Universitätszeitung. Einmal kam auch die Kultursekretär der Bezirksleitung SED, Edith Brand, in den Turm und dem Anblick der dritten Etage meinte sie, hier könnte doch Willi Sitte sich verewigen. Darauf war die Überschrift in der nächsten „ZU“ : “Streicht Willi Sitte uns die Decke?“. Für alle Nachgeborenen, Willi Sitte war eine Institution, Chef des Verbandes bildender Künstler wie ich denke, auch ZK-Mitglied.

Alle Zeitungen mussten daraufhin eingesammelt und ein gestampft werden.

Die Einweihung des Turms am 6. Juni 1973 war erst mal ihren Gästen vorbehalten,ausgesuchten Studenten. Sie wurden durch den Sommereingang eingelassen, denn am Wintereingang wurde noch das Loch zu gebuddelt, in dem ein den Hauptsammler der Stadt angestochen hatte, um die Fäkalien zu entsorgen.Nie wieder, auch bei Empfängen im Ministerrat, habe ich ein solches Buffet erlebt. Spieße mit gebratenen Wachteln, Steaks usw. usw.

Die wunderbare Tür am Haupteingang kostete damals, angefertigt von einem Künstler, für uns sagenhafte 7000 Mark. Mit dem Ausbau des Turms ging auch meine Zeit zu Ende, Wochen später zeigte sich die Überanstrengung und ich musste für sechs Wochen ins Krankenhaus wegen einer Myocarditis. Darunter litt ich in all den folgenden Jahren, mittlerweile nun doch Schriftsteller. Durch Extrasystolen Vorhofflimmern,..

Doch 14 Tage vor dem 50. Jahrestag wurde mir ein Herzschrittmacher eingebaut, so das ich vielleicht auch den 100resten Jahrestag erleben werde. Zumindest der Schrittmacher.Mancher möge andere Erinnerungen haben, doch das sind die, die bei mir hängen geblieben sind. Im „Gottfried“ steht noch mehr davon.

Mit freundlichen Gruß, Konrad Potthoff

6. Juni 2023

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