Schon gewusst? Warum Bergleute einen Vogel hatten

2. März 2019 | Bildung und Wissenschaft | 3 Kommentare

Die Frischluftversorgung der Bergleute in den engen, tiefen Stollen der Bergwerke war und ist eine Gefahrenquelle. Es kann nicht nur der Sauerstoff knapp werden. Giftige Gase, womöglich geruchlos, bedrohen das Leben der Bergleute. Um diese Gefahr rechtzeitig zu erkennen, nahm man Vögel mit vor Ort. Warum gerade Vögel? Besonders gefährlich ist in den Stollen das hochgiftige Kohlenmonoxid. Kohlenmonoxid ist geruchslos. Schon sehr geringe Konzentrationen sind tödlich. Wieso? Sauerstoff wird von der Lunge mittels Hämoglobin im Blut zu den Geweben transportiert. Das Hämoglobin ist ein Protein mit einer eisenhaltigen Molekülgruppe. An diese Gruppe wird in der Lunge Sauerstoff angelagert. Im Körperinneren sorgen geeignete Bedingungen für die Abgabe des Sauerstoffs. Das von Sauerstoff befreite Blut fließt zurück in die Lunge, um dort erneut mit Sauerstoff beladen zu werden. Kohlenmonoxid verhindert das aber. Kohlenmonoxid diffundiert nach dem Einatmen rasch durch die Membranen der Lungenbläschen und bindet ziemlich fest an das Häm-Eisen des Hämoglobins. Es besitzt im Vergleich zu Sauerstoff eine etwa 240 bis 300-fach höhere Affinität zum Hämoglobin. Die Aufnahme von Sauerstoff wird dadurch blockiert. Bereits ab einer Kohlenmonoxid-Konzentration von nur 0,0035 % (35 ppm) kann es innerhalb von 6-8 Stunden zu ersten Vergiftungssymptomen kommen. Eine Konzentration von 0,08 % (800 ppm) führt innerhalb von 2 Stunden zur Bewusstlosigkeit. Bei einem Atemluftanteil von nur 1,28 % CO (12.800 ppm) tritt innerhalb weniger Minuten der Tod ein.

Luftstrom durch Vogellunge (schematisch)

Und was hat das mit Vögeln zu tun? Im Blutkreislauf der Vögel wird Sauerstoff genauso wie bei Menschen transportiert. Ihre Lungen sind jedoch anders aufgebaut. Während unsere Lungen immer ein Gemisch aus verbrauchter und frischer Luft enthalten, werden Vogellungen werden laufend von Frischluft durchströmt. Luftsäcke gewährleisten das kontinuierliche Strömen der Luft durch die Lunge. Sie fungieren als Blasebalg. Sie halten den ständigen, unidirektionalen Frischluftstrom aufrecht. Aus den hinteren Luftsäcken strömt die eingeatmete noch unverbrauchte Luft von hinten nach vorne in die Lunge und gelangt in die vorderen Luftsäcke, von wo die dann verbrauchte Luft zum Ausatmen in die Luftröhre geleitet wird. Die Bronchien verzweigen sich in der Lunge in feinste Luftkapillaren, die von Blutkapillaren umsponnen sind. Die Atemluft hat einen sehr kurzen Diffusionsweg und die Gasaustauschfläche ist um ein vielfaches größer als bei uns. Die Sauerstoffkonzentration im Blut wird fast so hoch wie in der eingeatmeten Frischluft. Dieses Atmungssystem ist dem Atmungssystem der Säugetiere weit überlegen. Mit diesen effizienten Lungen können Vögel problemlos den Himalaya trotz sauerstoffarmer Luft überfliegen.
Atmet ein Vogel Kohlenmonoxid-belastete Luft ein, so vergiften schon sehr geringe Konzentrationen dessen Hämoglobin so umfänglich, dass er aufgrund von Sauerstoffmangel im Körper von der Stange fällt. Diese Frühwarnung ermöglicht den Bergleuten das rechtzeitige Erkennen der Gefahr und eine sofortige Flucht. Als Anzeiger eignete sich der sangesfreudige Kanarienvogel hierfür besonders gut, da er im Gegensatz zu Finken, Tauben und Mäusen bereits sehr schnell auf Kohlenmonoxid reagiert. Während eine Maus erst nach bis zu 70 min. eine sichtbare Reaktion auf eine Kohlenmonoxidkonzentration von 0,77 % in der Luft zeigt, fällt der Kanarienvogel bereits nach 2,5 min. bei einer Konzentration von 0,29 % von der Stange. Aus diesem Grund kamen Kanarienvögel besonders auch zum Schutz von Rettungstrupps bei Unglücken zum Einsatz. Lauscht man dem Gesang eines Kanarienmännchens, wundert man sich, wieso der kleine Vogel offenbar bis zu einer halben Minute ohne Unterbrechung und ohne Luftholen singen kann. Der Eindruck täuscht aber, wie Wissenschaftler herausfanden. Der Vogel singt in der Ausatmungsphase. Er produziert ausgedehnte Serien von Gesangssilben mit sehr kurzen, von uns nicht wahrnehmbaren Pausen. In diesen Pausen findet die Einatmung statt.
Bergleute brachten den Kanarienvogel um 1730 als Haustier in den Oberharz. Er stammt von dem Kanarengirlitz ab, welcher von Madeira und den Azoren nach Europa eingeführt wurde. Die Zucht von Kanarienvögeln wurde zu einem beliebten Hobby und die Bergleute besserten mit der Vogelzucht ihr Einkommen auf. Vogelhändler brachten die gezüchteten Kanarienvögel in alle Welt.
In Deutschland profitierte eine Region ganz besonders von der goldenen Zeit des Kanarienvogels: Sankt Andreasberg im Harz. Über 350 Familien lebten zur Blütezeit in Sankt Andreasberg von der Kanarienzucht. Durch Kreuzungen hat man den gelben Vogel herausgezüchtet und ihm einen neuen, rollenden Gesang beigebracht. Deshalb heißt der Vogel ‚Harzer Roller‘. Kanarienvögel beherrschen unterschiedlichste Gesangsarten, „die Hohlrolle, die Knorre, die Wasserrolle, die Schocke, die Hohlklingel, die Glucke, Pfeife und die Klingeltouren“. Der erste Weltkrieg beendete die Hochzeit der Kanarienvogel-Zucht.
(H.J. Ferenz)

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