Christa Wolfs geteilter Himmel im Neuen Theater
24. Februar 2018 | Kultur | 7 KommentareDies ist die Geschichte des jungen Liebespaars Rita und Manfred, die im Jahr 1959 beginnt und bis zum August 1961 ihren Lauf nimmt, bis kurz vor dem Mauerbau. Sehr verschieden und sehr verliebt ziehen die angehende Lehrerin und der ambitionierte Chemiker bei dessen Eltern in Halle ein. Rita kommt als Dorfkind erstmals in die Stadt, weil Lehrer gebraucht werden. Wie im Sozialismus üblich arbeitet sie neben der Ausbildung im Waggonbau Ammendorf mit. In der ersten Zeit, in der Rita bei Manfred in Halle ankommt, muß sie sich zunächst emanzipieren, als Dorfkind und als Frau. Manfred hat zusammen mit einem Kollegen eine Maschine gebaut, die in der DDR nicht umgesetzt werden kann. Als ihm dies angeboten wird, nimmt er eine Stelle in Westberlin an. Rita fährt ihm nach und trifft sich mit ihm am 1. Augustsonntag 1961 (wenige Tage vor dem Mauerbau). Manfred versucht Rita zu locken, bei ihm zu bleiben,er hat Geld und Reisepläne. Aber Rita stellt die Sinnfrage: Was ist hier anders als zu Hause? Auch hier wird gegessen, getrunken, geschlafen, geliebt. Wozu der ganze Glitter, die schönen Autos? Was für einen Sinn hat das Leben? Dass Manfred gegangen ist, ist folgerichtig: Für ihn gibt es in Halle keine berufliche Perspektive. Aber Rita fragt „Kann ich dort auch Lehrerin sein?“ Rita geht zurück, aus ihrer Sicht auch folgerichtig. Sie will selbst gestalten – und bricht auf den Schienen im Waggonbau zusammen, zwei Waggons rasen auf sie zu – ein Unfall oder ein Suizidversuch?
Christa Wolfs Roman erschien im Mai 1963 und wurde bereits 1964 von Konrad Wolf verfilmt. Jetzt, 2018, wurde es im Neuen Theater von Peter Dehler auf die Bühne gebracht. Wo, wenn nicht hier? Ist es nur der Halle-Bezug, der die Inszenierung rechtfertigt, sozusagen DDR-Heimatbühne? Oder hat uns der „geteilte Himmel“ von damals auch heute noch etwas zu sagen? HalleSpektrum versuchte es an einem kalten Februarabend herauszufinden.
Es geht um die Liebe
Das Stück beginnt mit dem Ende der Handlung und erzählt in der Rückschau der Geschichte. Das Bühnenbild besteht aus Betten, Trennwänden und dem Vorhang, auf den am Ende der Himmel projiziert wird . Bis auf die Szene in Westberlin ist das Stück eine Bademantel- und Schlafanzugparty. Hilmar Eichhorn spielt abgeklärt und natürlich nicht den stürmischen Liebhaber, aber das ist hier angemessen: ein Fels von einem Manfred. Nicoline Schubert nimmt man auch nicht mehr die Neuzehnjährige ab, aber sehr ausdrucksvoll in der Darstellung: sehr stark in der Szene mit der Sinnfrage. Auf Alexander Gamnitzer und Esra Schreier kam die Aufgabe zu, alle anderen Rollen inkl. Sprecherrollen und Musikeinlagen zu spielen, sozusagen als Zweipersonennebenrollenorchester. Und wenn Eichhorn und Schubert wie ein altes Ehepaar wirken, ist es genau das, was Rita und Manfred nicht vergönnt war (oder ihnen erspart geblieben ist).
Was das Stück aktuell macht, ist nicht die DDR-Geschichte, ist nicht der Hallebezug, sondern die Zeitlosigkeit besteht in den Gründen, warum Menschen auseinander gehen müssen. Es ging Christa Wolf vor allem um Liebe. Liebe, die es beiden Partner ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.Das, was bei Christa Wolf als Systemkritik interpretiert wurde (besonders im Westen), kann heute als Kapitalismuskritik begriffen werden. War wäre aus Rita im Westen geworden? Eine Hausfrau neben einem Karrieremann? Das ist es, was den Wert eines literarischen Werkes ausmacht: dass es über seine Entstehungszeit hinaus eine Bedeutung hat und aus einer anderen Zeitepoche heraus neu gedeutet werden kann. Und die DDR-Sprache? Sozialistische Begriffe sind natürlich drin, aber um das Stück zu verstehen, muss man kein DDR-Kind sein.
Unser Fazit: Auf jeden Fall ansehenswert. Zeitlos wie Romeo und Julia, hat bereits den Wert eines Klassikers. Ca. 1 1/2 Std. Theatervergnügen.
Mit: Nicoline Schubert, Hilmar Eichhorn, Alexander Gamnitzer, Esra Schreier. Regie: Peter Dehler. Bühne & Kostüme: Birgit Voß. Dramaturgie: Therese Hörnigk
Weitere Aufführungen:
24. Februar, 10. März & 29. März, 19.30 Uhr | 11. März & 14. März, 15 Uhr, nt – Saal
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Sarah Kirsch hätte das HaSi nicht betreten, richtig! Aber bei Christa Wolf wäre ich mir da nicht so sicher.
Prinzessinnenräuber vor Tielenhemme, Riosal
Ne, ich glaub das Hasi wäre Christa Wolf wohl zu alternativ gewesen, da war sie doch bisschen elitärer unterwegs.
Wenn Wagners „Holländer“ als Kapitalismuskritik gedeutet werden kann, wie bei der Inszenierung des Opernhauses gelernt, dann auch Christa Wolfs „geteilter Himmel“. Jedenfalls ist es nicht nur „Systemkritik am Sozialismus“. Es ist eben ein Kunstwerk, das vielfältig interpretiert werden kann.
Das könnte heißen: Die Hasis machen es im Sinne von Christa Wolf. Richtig, @HansimGlück?
Nein, Kapitalismuskritik ist es nicht. Rita gibt sogar zu, dass sie sich die Verlockungen durchaus vorstellen kann.
Wenn man es in die heutige Zeit mitnehmen möchte, ist es ein Aufruf zu Idealismus und Gestalten, gegen die Abgestumpfheit der Zurechtmachgesellschaft.
Ob das jemand verstehen kann, für den der Himmel nie geteilt war?
Warum sollte Rita im Westen „eine Hausfrau neben einem Karrierenmann“ werden? Es gab auch im Westen der 1960er und -70er genug Lehrerinnen.
Den geteilten Himmel habe ich erst Anfang der 1980er gelesen. Das war für mich das erste Buch von Christa Wolf. Meine Meinung über das Buch war schon damals geteilt. War das Systemkritik oder ein Plädoyer für die Liebe ohne Abhängigkeiten? Später folgten weitere Bücher von ihr. Und ich kam auf die Idee, dass sich im „geteilten Himmel“ auch die innere Zerrissenheit eines Menschen widerspiegeln könnte, der sich nach grundlegenden Veränderungen sehnt, aber nicht die psychische Robustheit besitzt, seinen Sehnsüchten nachzugehen.
Meine Meinung über Christa Wolf und ihr Werk, so faszinierend ich auch ihr Schreibstil finde, bleibt bis heute geteilt.