Weihnachtsmann falsch geliefert

23. Dezember 2017 | Kultur | Ein Kommentar

Emilie Dorsteen, ein blondes niedersächsisches Kaltblut, war eine erfolgreiche Geschäftsfrau knapp unter vierzig, die sich nur vor eine Sache fürchtete: Die Einsamkeit in der Weihnachtszeit. Das konnte ihr Unlust bis hin zu Magenschmerzen verursachen. Die Zeit vor den Festtagen war gut zu ertragen, da gab es Konzerte, Weihnachtsfeiern, Treffen mit Freundinnen am bevorzugten Glühweinstand in der Innenstadt. Auch Zusammenkünfte mit karitativen Organisationen, die es natürlich „bringen mussten“, vertrieben ihr die Zeit. Früher hatte sie den Heiligen Abend auch gerne mit Freundinnen oder einem wechselnden Partner verbracht. Aber die Damen rund um sie hatten nun alle Familie, eine eigene Familie gab es nicht mehr und der letzte feste Partner hatte sich schon vor über einem Jahr verabschiedet. Sie war die letzte Dorsteen und sie würde Weihnachten alleine sein, so schaute es aus. Daran konnte sie nichts ändern. Oder doch?

Denn in den letzten Novembertagen war ihr dieser Gutschein einer Online-Partnervermittlung in die Hände gefallen. „Seien Sie Weihnachten nicht alleine, verbringen Sie Ihre Wunschweihnacht mit einem passenden Partner in einem Romantik-Hotel in Ihrer Nähe.“ Der Rabatt dieser nicht ganz kostenfreien Aktion betrug 200 Euro. Emilie rechnete den Rest schnell durch. Dieser kleine Wochenendausflug würde sie nicht mehr als sonst auch kosten, wenn man Service wie Weihnachtsmenü usw. berücksichtigte. Der Partner bezahlte seinen Teil selbst, sehr lobenswert, sie hasste es, wenn sie jemanden aushalten musste, und dazu kam noch der Rabatt. Bei bester Laune, der zweite oder dritte Glühwein vom Stand tat sein Übriges, schlug sie zu und orderte sich einen Mann zu Weihnachten. Oder einen Weihnachtsmann?, überlegte sie. Was würde sie anziehen? Für sie wichtige Fragen wie diese gingen ihr durch den Kopf. Die Bestellbestätigung erfolgte als E-Mail am nächsten Tag. Die ausführlichen Unterlagen würden ihr mit der Post zugehen. Der passende Mann war die Weihnachtsüberraschung. Herrlich, dachte Emilie, das war doch mal etwas, worauf man sich zu Weihnachten freuen konnte.

Schon Mitte Dezember herrschte Unordnung und Chaos im Bereich des Service der auf dem Markt tätigen Lieferfirmen. Das bekam auch Emilie in ihrem Geschäft zu spüren. Da sie aber bereits zeitig Vorsorge geleistet hatte, betraf sie es hauptsächlich privat. Ihre neue Lieblings-CD landete in der Apotheke, das Bücherpaket für die Busenfreundin im Reisebüro und, und, und… Meistens gab es noch nicht einmal eine Benachrichtigung. Das war alles sehr ärgerlich! Geschenke für Mitarbeiterinnen und Freundinnen ging sie also hauptsächlich auf herkömmliche Weise kaufen. Am 20. Dezember fiel es ihr endlich auf, sie fragte sich, wo blieb denn jetzt eigentlich ihr Weihnachts-Mann, bzw. die Unterlagen? Die hätten doch längst kommen müssen.

Emilie schrieb also an diesen Anbieter für Weihnachtsmänner und beschwerte sich. Es kam die Nachricht zurück, dass die Aktion sehr erfolgreich gewesen war und auch ihre Unterlagen mit einem großformatigen Foto ihres „Mannes für eine schöne Weihnacht“ längst ausgeliefert worden wären. Der Lieferfahrer hätte die Unterlagen dort und dort abgegeben. Emilie hatte natürlich keine Benachrichtigung erhalten. Sie überprüfte die Adresse, es war nicht die Apotheke und nicht das Reisebüro, sondern ein unscheinbares Haus in derselben Straße, der Albrechtsgasse, nicht weit von ihrem Geschäft. Sie war doch zu der Zeit dagewesen. Sie schäumte vor Wut, aber es half nichts. In der Mittagspause ging sie dort vorbei, es war die Nr. 40 und der Name der Person, die das Paket angenommen hatte, lautete Pfeiffer. Pfeiffer mit drei „f“., wie in diesem alten Film. Emilie fühlte sich schon fast veralbert.
In der Albrechtsgasse Nr. 40 wohnte ein altes Ehepaar, das Schneider hieß, ein sehr elegantes türkisches Ehepaar mit unaussprechlichen Namen, und ein junger Rechtsanwalt, der vor kurzem im Untergeschoss seine Kanzlei aufgemacht hatte. Wenn er nicht bald in der Stadt Protektion erhielt, wurde das wohl nichts. Aber niemand in dem Haus hieß Pfeiffer. Jemand hatte Emilie Dorsteen den Weihnachtsmann gestohlen. Das war unerhört und durfte überhaupt nicht sein!

Am Abend im Geschäft ging sie also nicht Glühweintrinken, sondern schrieb eine harsche E-Mail und bot um erneute Zusendung der Unterlagen, diesmal aber an die richtige Adresse.
„Wir bedauern sehr“, kam die Antwort am nächsten Morgen, „Aber ihrem Wunsch kann nicht entsprochen werden. Wir haben inzwischen eine Verfolgungsanfrage bez. der verschwundenen Sendung gestellt, hoffen das diese Ihnen noch vor Weihnachten zugeht, damit Sie ein schönes Weihnachtsfest mit Ihrem neuen Partner verbringen können.“
„Sehr witzig“, befand Emilie. Inzwischen schrieb ihr Kalender den 22. Dezember.
„Um welches Hotel handelt es sich denn?“, versuchte sie herauszufinden.
„Darüber können wir Ihnen leider keine Auskunft geben“, kam zurück. Danach konnte sie schreiben, was sie wollte, keine Antwort wurde mehr gegeben. Diese Weihnacht wurde wohl sehr einsam für Frau Dorsteen. Was würde wohl ihr Weihnachtsmann sagen?

Inzwischen schrieben wir den 23. Dezember. Frau Peiper in der Adalbertstraße 40, einer Randstraße der Innenstadt, auch diese nicht weit vom Geschäft von Frau Dorsteen entfernt, versuchte herauszufinden, wer denn nun eigentlich diese komische Sendung bekam. Sicher wurde zu Weihnachten darauf gewartet. Obwohl nach dem Format eigentlich nur ein Katalog darin sein konnte.
„Das ist dies Jahr anscheinend der große Hit“, hatte die Fahrerin gesagt, „Hier sicher für Ihre Nachbarin.“
Die Adresse war jetzt unleserlich. Für welche Nachbarin? Es stand nur noch „Emilie“ darauf. Zu allem Unglück schickte die Partnervermittlung Rechnungen und Unterlagen auf getrennten Wegen. Zur Firmenphilosophie gehörte es, in den Unterlagen die Klienten nur noch mit dem Vornamen anzureden. Eigentlich eine witzige Idee, befand Emiliana Peiper, als sie sich das Hotel in den Unterlagen und das Bild mit dem Partner in Spe betrachtete. Sie hatte kein schlechtes Gewissen, als sie den Gedanken fasste, einen Weihnachtsmann zu stehlen. Noch am selben Tag brachte sie ihren 15-jährigen Sohn bei den Großeltern unter, fuhr am Morgen des 24. Dezembers zum Romantik-Hotel in die Berge und stieß am Abend zu Weihnachten mit Ihrem Weihnachtsmann an. Es war ein junger Rechtsanwalt und wohnte seltsamerweise in der Albrechtsgasse, nicht weit von Adalbertstraße entfernt. Was es für Zufälle gibt! Und wer weiß, welche Schreckschraube sich sonst dieses Zuckerstückchen unter den Nagel gerissen hätte! Angestoßen auf eine wunderschöne weihnachtliche Zeit also ihr beiden Hübschen!

Emilie Dorsteen fuhr in kein Hotel, sondern schloss am 24. Dezember ihr Geschäft und ging in ihre Wohnung. Sie hatte noch nicht einmal einen Weihnachtsbaum gekauft. Vielleicht sollte sie einfach mal ausschlafen! Als sie bereits geduscht hatte und im Bademantel noch etwas Kurzes essen wollte, klingelte es an der Tür. Sie öffnete. Im Hausflur stand ein Weihnachtsmann, der ihr ein kleines Päckchen in die Hand drückte und sich mit „Fröhliche Weihnachten“ verabschiedete. Wer schenkte ihr denn jetzt noch etwas? Obwohl, es war Weihnachten!
„Warum bleiben Sie nicht, Weihnachtsmann?“, rief Emilie Dorsteen in ihrer Verzweiflung hinterher. Das war wahrscheinlich der letzte Weihnachtsmann, den sie jemals ergattern konnte!
„Das klingt verlockend, aber ich muss erst einmal meine Runde zu Ende machen.“, sagte er mit tiefer Stimme, „Aber ich vergesse es nicht, also, bis später!“
Das war der Apotheker, ganz sicher, dachte Emilie. So behaarte Bärtypen findet man gerade zu Weihnachten gut, er hatte sichtlich Spaß am Heiligen Abend den Weihnachtsmann zu spielen. Statt dem üblichen roten Anzug erschien er in einem eleganten Tiefblau. Das stand ihm wirklich gut. Nein, korrigierte sich Emilie, es stand ihm phantastisch. Er war der schönste Weihnachtsmann, den sie je gesehen hatte.

„Ich warte!“, rief sie hinterher, aber er stand schon vor dem Nachbarhaus. Mit einem „Hohoho“, klingelte er.
Im Päckchen war, als sie es öffnete, ein sehr geschmackvoller Silberring aus einer Designergalerie, wie sie bemerkte. Emilie begann, sich wieder anzukleiden. Sie zog das Kleid an, dass sie eigentlich für den Hotelabend gedacht hatte. Dann stellte sie roten Weihnachtssekt in den Kühlschrank und begann ein kleines Essen für zwei vorzubereiten. Nach dem kleinen Päckchen war sie sich sicher, es würde sich heute lohnen, noch mal auf den Weihnachtsmann zu warten. Und statt einem Ersatzweihnachtsmann bekam sie das Original sogar nach Hause geliefert. Vielleicht wurde es sogar Zeit für ein Christkind. Sie legte „Fröhliche Nacht“ in den CD-Spieler ein. Das „Hohoho“ könnte heute Nacht ruhig etwas länger dauern…

Paula Poppinga

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