Klaus Manns Mephisto feierte im neuen theater Premiere
13. April 2015 | Kultur | 4 Kommentare„Mephisto“ ist ein Roman von Klaus Mann, verfilmt von István Szabó mit Klaus Maria Brandauer, erzählend von dem berühmten Schauspieler und Naziliebling Gustaf Gründgens, und nun von Regisseurin Henriette Hörnigk auf die Bühne des neuen theaters gebracht.
Eine Frau in der ersten Reihe, die wohl einen arbeitsreichen Samstag hinter sich hatte, war nach der ersten halben Stunde des dreieinhalbstündigen Abends eingeschlafen. Gehörte das zur Inszenierung? Wenn über Faschismus verhandelt wird, pflegt der deutsche Kleinbürger zu schlafen. Genialer Einfall.
Hagen Ritschel spielt den Hendrik Höfgen. Er spielt ihn kalt, maskenhaft, manchmal ganz klein und erbärmlich und immer in akuter körperlicher Bewegung. Ein klarer schöner Gedanke kommt da selten hervor. Alles ist Aktion, der richtige Gustaf Gründgens war dagegen mit solchen Mitteln auf der Bühne eher äußerst sparsam.
Ein begabter Schauspieler macht Karriere, spielt in der Provinz Hamburg alles was gut und teuer ist, engagiert sich im kommunistischen Revolutionstheater, arbeitet wie besessen und rücksichtslos an sich – und dann kommen die Nazis an die Macht, es ist ihm egal, sein Ort ist die Bühne, seine Traumrolle der Mephisto. Daneben wird viel privates gezeigt von der Männer- und Frauenliebe, von Theaterknatsch und Festlichkeiten. Die ersten anderthalb Stunden der Inszenierung schleppen sich so dahin und sind mehr oder weniger unterhaltsame Selbstbespiegelung.
Dann zieht die Fabel an. Das liegt an der Auseinandersetzung Höfgens mit seinem kommunistischen Freund und Kollegen Otto Ulrich, gespielt von Till Schmidt. Der muß leider den agitatorischen Trottel geben. Revolutionäres Theater heißt bei Hörnigk, daß zwei Männer zu einem Lied von Ernst Busch über eine rote Fahne hüpfen. Erwin Piscator dreht sich gerade im Grabe rum.
Der zweite Teil beleuchtet dann die Beziehung Höfgens zum damaligen preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, von Hilmar Eichhorn mit Humor und Schärfe schön gespielt. Seine Gattin und minderbemittelte Schauspielerin ist Elke Richter, die überzeugend zeigt: So dumm kann die Gattin eines Ministerpräsidenten sein. Höfgen bittet für seinen Freund, den Kommunisten. Ohne Erfolg, der wird wegen seiner Überzeugung ermordet, wie so viele in jenen Jahren. Höfgen macht weiter, wird gar Intendant des preußischen Staatstheaters.
Der Kommunist Ernst Busch, war da erfolgreicher, er hat nach dem Krieg für Gründgens interveniert. Gründgens wurde trotz seiner Vergangenheit freigelassen.
Nebenher wird musiziert von Martin Reik, da kommt denn auch schon mal „Just like a Women“ von Bob Dylan vor, warum auch immer. Ständig hält irgend jemand eine Videokamera in der Hand, mit der die Gesichter auf eine große Leinwand projeziert werden. Und immer ist alles in Bewegung. Es wird getanzt, gesprungen, gewälzt, gezappelt. (Empfohlen sei hier Hamlets Rede an die Schauspieler).
Wirklich interessant ist die Bühne von Claudia Charlotte Burchard, die endlich mal wieder die Möglichkeiten dieses Raumes ausschöpft. Ein langer Laufsteg ist die Bühne und nach einem langen Abend verschwinden die Schauspieler in darin eingelassene Klappen. Klappe zu Affe tot.
Das Premierenpublikum jedenfalls war regelrecht aus dem Häuschen vor Begeisterung.
Die galt hoffentlich der schauspielerischen Leistung von Hagen Ritschel und nicht einem Künstler, der, wenn auch mit Bauchschmerzen, mit den Nazis kollaborierte, die inzwischen ja unter die Naturkatastrophen eingeordnet werden.
Spieldauer 3 Stunden 30 Minuten mit Pause
Nächste Vorstellungen:
18.04.2015 19:30
30.04.2015 19:30
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Mathias Schulze bejubelt die Aufführung im Frizz in höchsten Tönen, nach seiner Einschätzung sind die regionalen Theaterkritiker alle unfähig, die Qualität dieser Aufführung zu erkennen.
http://www.halle-frizz.de/halle/182681/81/81/121001/design1.html
Jetzt muss ich mir das Stück selbst ansehen.
„Eine Frau in der ersten Reihe, die wohl einen arbeitsreichen Samstag hinter sich hatte, war nach der ersten halben Stunde des dreieinhalbstündigen Abends eingeschlafen. Gehörte das zur Inszenierung?“
frau wünscher war außerplanmäßig eingeschlummert.
Spätestens der Beifall des Premierenpublikums am Ende der Vorstellung wird wohl die Zeugin des Rezensenten (und damit seiner „Anklage“) aus ihrem vermeintlichen Tiefschlaf in der ersten Reihe gerissen haben – der „Edelfeder“ des lokalen Feuilletons allerdings halfen selbst die minutenlangen Bravo-Rufe nicht, wenigstens für einen Augenblick inne zu halten und seiner angestrengten Kopfarbeit über drei Stunden zu misstrauen, unbedingt und mit aller zu Gebote stehender Konsequenz ein anderes Stück als das auf der Bühne wahrnehmbare behaupten zu müssen. Da zeigt sich intellektueller provinzieller „Eigensinn“ in seiner schönsten Gestalt – verbunden mit der Anmaßung, damit auf einen Streich gleich noch einen Schuss besonderer Zuschauerbeschimpfung hinzuzufügen! Und allein dieses Ärgernisses wegen sehe ich mich als „Teilnehmer“ des Premierenabends überhaupt veranlasst, auf diese Art unangemessener Kritik überhaupt zu reagieren, die mir und anderen Lesern nachträglich erklärt, wir alle hätten am Ende dieses Abends einem Typus des Opportunisten zugejubelt, dem Künstler-Kollaborateur Höfgen – in seinem Teufelspakt mit den Nazis – als Erfolgsmodell! Das ist schlechterdings eine Unverschämtheit. Anderes soll hier nur mit einem einzigen Wort angedeutet werden: Halle erlebte am 11. 4. einen großen Theaterabend. Es war ein ästhetisches wie politisches Theater auf höchstem Niveau, mit einem wunderbaren Schauspieler-Ensemble, dem man eine halbwegs entsprechende professionelle Kritik wünschte.
Ein Zuschauer
Lohnen sich nun die dreieinhalb Stunden? Buch habe ich- mehrmals gelesen und Film mit Brandauer auch mehrmals gesehen. Beides Klasse! Nochmal die Frage, lohnt sich ein Besuch der Vorstellung?