Feininger für´s Ohr

19. Juli 2019 | Kultur, Rezensionen, Veranstaltungen | Keine Kommentare

Lutz Gerlach & Ulrike Mai (Foto Hoffmann .jpg)

Dass Lyonel Feininger nicht nur Maler, sondern auch ein begabter Musiker und Komponist war, spricht sich langsam im Bauhaus-Jubiläumsjahr herum. Man ist dabei, sein musikalisches Oevre zu erschließen. Die von Bauhausmeister Feininger zwischen 1921 und 1927 in Weimar und Dessau geschaffenen Fugenkompositionen für Orgel und Klavier werden selten aufgeführt und sind weitgehend unbekannt. Feiningers Begeisterung für die barocken Kompositionen von Johann Sebastian Bach schien irgendwie nicht zu seinem modernen malerischen Werk zu passen.
Feininger entstammte einer angesehenen Musikerfamilie. Sein Vater war Konzertgeiger, seine Mutter Pianistin und Sängerin. 1919 wurde er als erster Baumeister von Walter Gropius nach Weimar berufen. Dem ganzheitlichen Anspruch des Bauhauses folgend, widmete sich Feininger 1921 auch der Musik. Er hatte bereits als junger Maler die Vision einer Malerei, die von der gleichen, vielstimmig aufeinander bezogenen Komplexität und gleichzeitigen Durchschaubarkeit getragen war wie die Kompositionen von Johann Sebastian Bach. Er wurde zu einem glühenden Verehrer des barocken Komponisten. „Bach, weißt du, Bach, wenn ich ihn höre, so wie heute, oh da kann ich nicht sagen, was in mir für eine Welt aufgeht!…“ So schwärmte Feininger in einem Brief an seine Frau Julia.
Feininger begann er seine eigenen Fugen zu schreiben. Als Autodidakt auf dem Klavier konnte er sich dabei nur auf seine Übungen aus dem Wohltemperierten Klavier stützen. An dem Harmonium in seinem Maleratelier entstanden rasch aufeinanderfolgend drei Fugen für Klavier, dann 10 Fugen für Orgel. Mit einer selbstgefertigten Schablone aus Zink, in die er vorher sorgfältig Notenköpfe, Schlüssel und Pausen eingeschnitten hatte, setzte er jedes Zeichen mit einem scharf zugespitzen Bleistift aufs Notenpapier. Ein Ästhet wie Feininger, legte natürlich auch Wert auf ein künstlerisch ansprechend gestaltetes Notenbild.
Die Sommermonate verbrachte Feininger gerne am Meer, auf Rügen, auf der Insel Usedom und der pommerschen Ostseeküste. Bei seinen Meeraufenthalten fertigte er viele Skizzen („Naturnotizen“) an, auf deren Motive er bei späteren Arbeiten wiederholt zurückgriff. Das 1929 entstandene kubistische Bild „Stiller Tag am Meer“ gibt diese Stimmungen wieder.
Im Dezember 1924 erlebte das erste Stück von ihm die öffentliche Uraufführung im Meistersaal des Bauhauses. Bis dahin hat er bereits den größten Teil seiner Fugenkompositionen aufs Papier gebracht. Lyonel Feininger komponierte von 1921 bis 1928 sein musikalisches Hauptwerk. Danach beschäftigte er sich noch mit Feinheiten, schrieb die Fugen teilweise um. 1935 verließ er Deutschland.
Das kaum bekannte musikalische Werk Feiningers faszinierte die zwei musikalischen Multitalente Lutz Gerlach und Ulrike Mai. Selber von Bachs Kompositionen und der „Kunst der Fuge“ begeistert, setzten sie sich anlässlich BAUHAUS 100 mit dem Fugenwerk Feiningers auseinander. Ihnen geht es aber nicht um eine werktreue barocke Aufführung, sondern um eine zeitnahe Interpretation. Diese Gratwanderung meisterten sie am Klavier und Keyboard gefühl- und respektvoll, wovon man sich beim Konzert im Bad Lauchstädter Kursaal kürzlich (14.7.2019) überzeugen konnte. „Stiller Tag am Meer“ überschrieben sie in Anlehnung an Feininger ihr Konzert. Von Feiningers Originalkompositionen ausgehend improvisierten sie einfühlsam oder auch mal fugengewaltig. Lutz Gerlach ist ein Jazz- und Populärmusikerfahrener Komponist mit originellen überraschenden Ideen. Mit diesen erzeugte er farbige Stimmungsbilder bei den Zuhörern – Maler Feininger hätte das gefallen. Lutz Gerlach könnte dazu sicher auch wunderbare Lichtinstallationen kreieren. Aber auch die jazzigen, an Jacques Loussier erinnernden Bearbeitungen waren gelungen. Die Konzertbesucher dankten mit ausgiebigem Beifall den Virtuosen aus Ahrenshoop für das gelungene musikalische Crossover über Kompositionen von Lyonel Feininger. „Stiller Tag am Meer“ wird es noch einmal am 19.Oktober 2019 in der Lutherkirche Halle, ein Bauhausobjekt, geben.
(H.J. Ferenz)

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