„Boxershorts, Kartenspiel, Westpaket und Gummistiefel“

6. Februar 2020 | Kultur | Ein Kommentar

Vier Objekte aus der stadtgeschichtlichen Dauerausstellung „Entdecke Halle!“ inspirieren Studentinnen der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle zu eigenen künstlerischen Arbeiten Sonderausstellung vom 6. Februar bis 22. März im Stadtmuseum Halle

Im Stadtmuseum Halle wurde am 5. Februar zozo die Sonderausstellung „Boxershorts, Kartenspiel, Westpaket und Gummistiefel“ eröffnet. Im Rahmen eines Semesterprojekts, betreut von Prof. Bettina Göttke-Krogmann, ließen sich die Burg-Studierenden Carlotta Huck, Sophie Kikowatz, Juyeon Kim und Nora Lardon {Bachelorstudierende der Studienrichtung Textil, Studiengang Modedesign) von einem Objekt aus der stadtgeschichtlichen Dauerausstellung „Entdecke Halle!“ inspirieren und entwickelten hierzu textile Flächen und Objekte. Einzige Bedingung für die Auswahl des jeweiligen Ausstellungsstücks war, dass sich dieses mit einem öffentlich zugänglichen Gebäude der Stadt Halle in Verbindung setzen lässt. Entstanden sind aus alten und neuen Geschichten, Erkenntnissen und Beobachtungen verschiedene Stoffe, die gemeinsam mit den Ausgangsobjekten bis 22. März zozo im Stadtmuseum präsentiert werden.

Carlotta Huck, Sophie Kikowatz, Juyeon Kim und Nora Lardon nehmen die Besucherinnen und Besucher mit auf einen ganz besonderen Stadtrundgang durch Halle. Vier Geschichten, in der Dauerausstellung „Entdecke Halle!“ stellvertretend von Objekten erzählt, werden durch die textilen Arbeiten der Burg-Studentinnen weitererzählt. Boxershorts, Kartenspiel, Westpaket und Gummistiefel kehren als Stoff an seinen Ursprungsort im Stadtgebiet zurück. Die Ausstellung zeigt die Korrespondenz von ursprünglichem Objekt und den im Projekt im Textildesign an der Burg Giebichenstein Halle entstandenen Textilien.

Carlotta Huck wählte als Ausgangsobjekt eine „Packung Boxershorts für Herren“. Das Objekt wurde von einem seit 1988 als Schlosser im Kombinat VEB Chemische Werke Buna tätigen vietnamesischen Ingenieur zur Verfügung gestellt. Mit Ende der DDR meldete der Vertragsarbeiter ein Gewerbe als Textilhändler an. Für Carlotta Huck stehen die Boxershorts stellvertretend für Menschen, die in die DDR geholt wurden um zu arbeiten und wieder zu gehen. Aber manche blieben, manche kamen auch wieder. Ihre Arbeit verbindet die Studentin mit einem vietnamesischen Supermarkt in Halle-Neustadt. Sophie Kikowatz hat sich für ein Paar „Gummistiefel, die in Halle-Neustadt getragen wurden“ aus den Jahren um 1965 entschieden. Gummistiefel gehörten vor allem in den Anfangsjahren zur Grundgarderobe der Menschen, die in Halle-Neustadt wohnten und arbeiteten. Als die 1. Polytechnische Oberschule (POS) 1965 ihren Betrieb aufnahm, bekamen die Lehrerinnen und Lehrer jeweils ein Paar geschenkt, damit sie trockenen und sauberen Fußes zum Unterricht gelangten. Heute beheimatet das Gebäude der 1. POS in Halle-Neustadt das Landesbildungszentrum für Blinde und Sehgeschädigte Hermann von Helmholtz. Sophie Kikowatz hat sich von den Rasterstrukturen der Plattenbausiedlung und ihrer Fassaden inspirieren lassen. Entstanden ist eine Variation an gewebten Stoffen, die durch Struktur und Farbkontraste optisch in die eine Richtung abschirmen und schützen und die sich in die gegengesetzte Richtung öffnen und luftdurchlässig sind. Dies ist übrigens die zweite Arbeit, die von Sophie Kikowatz im Stadtmuseum zu sehen ist. Mit der Arbeit „Exclusive Design“, die in Zusammenarbeit mit ihrer Kommilitonin Gina Hartig entstanden ist, leistet sie auch einen Beitrag zu der aktuellen Sonderausstellung „Geschichten, die fehlen – Von Menschen mit Beeinträchtigungen“.

Juyeon Kim nahm ein „Selbstgefertigtes Skatspiel“ als Quelle der Inspiration. Das Spiel wurde von Dirk J. im Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Halle, dem „Roten Ochsen“, heimlich und zum Zeitvertreib aus Zigarettenschachteln gefertigt. Juyeon Kim hat sich bei ihrem Besuch einer Einzelzelle in Insassen des „Roten Ochsen“ und deren Gemütsverfassung versetzt, die auf ihrer Pritsche liegen und die Decke über sich anblicken. Die Decke könnte der einzige persönliche Ort gewesen sein, der von keinem sonst so intensiv wahrgenommen wurde, so die Annahme von Juyeon Kim. Die Stoffe an der Decke sind für sie kleine Denkmäler des Widerstandes in der Zelle und damit auch eine Metapher der Freiheit im kontrollierten Raum. Für Nora Lardon bildete ein „Westpaket aus Bachtel im Oberallgäu nach Halle (Saale) den Ausgangspunkt ihrer Arbeit – lediglich ein unscheinbaren Karton, auf dem handschriftlich der Inhalt notiert ist. Nora Lardon ordnet jeder ausgestellten Stoffgruppen einen Artikel aus der Inhaltsangabe – z Tafel Schokolade, i Paar Strümpfe, Zahncreme, 2 Zahnbürsten, i Stück Seife…“ zu und greift seine Besonderheit optisch, haptisch oder auch materiell auf. Orientiert an den Erzählungen von Zeitzeuginnen stehen ihre Arbeiten sinnbildlich für die Verschwommenheit von Erinnerungen. Denn letztendlich ergeben diese Erinnerungen ein: duftendes Paket Die Arbeit von Nora Lardon Arbeit führt zum einen zum ehemaligen Postamt in der Bernburger Straße (heute Gaststätte Altes Postamt) aber auch zur Hauptpost am Joliot-Curie-Platz.

 

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